Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

26 
 Januar 
 
2016

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein
 

Die rheinischen Weinbauern (2:08)
Georg Weerth (1822 – 1856)
An Ahr und Mosel glänzten
Die Trauben gelb und rot.
Die fleißgen Bauern meinten,
Nun wär vorbei die Not.
Da kamen die Herren der Banken
Herbei aus aller Welt:
»Wir nehmen ein Drittel der Ernte
Für unser geliehenes Geld!«
Da kamen die Herren Beamten
Aus Koblenz und aus Köln:
»Das zweite Drittel gehöret
Dem Staate an Steuern und Zölln!«
Und als die Bauern flehten
Zu Gott in höchster Pein,
Da schickt er ein Hageln und Wettern
Und brüllt: »Der Rest ist mein!«
Viel Leid geschieht jetzunder,
Viel Leid und Hohn und Spott,
Und wen der Teufel nicht peinigt,
Den peinigt der liebe Gott!
Das Hungerlied (3:50)
Georg Weerth (1822 – 1856)
Verehrter Herr und König,
Weißt du die schlimme Geschicht?
Am Montag aßen wir wenig,
Und am Dienstag aßen wir nicht.

Und am Mittwoch mussten wir darben,
Und am Donnerstag litten wir Not.
Und ach, am Freitag starben
Wir fast den Hungertod!

Drum lass am Samstag backen
Das Brot, fein säuberlich.
Sonst werden wir sonntags packen
Und fressen, o König, dich!

Pfingstlied (6:00)
Georg Weerth (1822 – 1856)
Sie herzten und sie küssten sich
Mit liebevoller Gebärde.
Der junge Herr Frühling wonniglich,
Der besuchte die schöne Frau Erde.

Er ist der guten, ehrlichen Frau
Mit eins an den Hals gesprungen,
Dass bis hinauf in den Himmel blau
Nur Lust und Jubel erklungen.

»Es freut mich, Geliebter, dass du hier!
Lang währte des Winters Tosen.
Meine Felder brauchen die goldne Zier,
Meine Gärten Lilien und Rosen.

Verstummt sind all meine Nachtigalln,
Seit ich dich verloren hatte.
Drum schmücke den Vögeln die grünen Halln
Und den Hirschen die blumige Matte.

Ich habe so oft an dich gedacht,
Wenn der Schnee fiel im nassgrauen Winter.
Doch sprich, was hast du mir mitgebracht
Für die lieblichen Menschenkinder?«

»Für die Menschenkinder?« versetzte da
Der junge Herr Frühling stutzend –
In die Tasche griff er behend: »Voilá!
Revolutionen ein Dutzend.«

 
 
15 
 August 
 
2015


 

DICHTUNG Andreas Gryphius
LESUNG Ritter von Schönhering
BEREITSTELLUNG Ritter von Schönhering


 

Sein oder Nichtsein; das ist hier die Frage:
Obs edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern
Des wütenden Geschicks erdulden oder,
Sich waffnend gegen eine See von Plagen,
Durch Widerstand sie enden? Sterben — schlafen —

Nichts weiter! Und zu wissen, daß ein Schlaf
Das Herzweh und die tausend Stöße endet,
Die unsers Fleisches Erbteil, ‘s ist ein Ziel,
Aufs innigste zu wünschen. Sterben — schlafen —
Schlafen! Vielleicht auch träumen! Ja, da liegts:

Was in dem Schlaf für Träume kommen mögen,
Wenn wir die irdische Verstrickung lösten,
Das zwingt uns stillzustehn. Das ist die Rücksicht,
Die Elend läßt zu hohen Jahren kommen.
Denn wer ertrüg der Zeiten Spott und Geißel,

Des Mächtigen Druck, des Stolzen Mißhandlungen,
Verschmähter Liebe Pein, des Rechtes Aufschub,
Den Übermut der Ämter und die Schmach,
Die Unwert schweigendem Verdienst erweist,
Wenn er sich selbst in Ruhstand setzen könnte

Mit einer Nadel bloß? Wer trüge Lasten
Und stöhnt’ und schwitzte unter Lebensmüh?
Nur daß die Furcht vor etwas nach dem Tod,
Das unentdeckte Land, von des Bezirk
Kein Wandrer wiederkehrt, den Willen irrt,

Daß wir die Übel, die wir haben, lieber
Ertragen als zu unbekannten fliehn.
So macht Bewußtsein Feige aus uns allen;
Der angebornen Farbe der Entschließung
Wird des Gedankens Blässe angekränkelt;

Und Unternehmen, hochgezielt und wertvoll,
Durch diese Rücksicht aus der Bahn gelenkt,
Verlieren so der Handlung Namen. — Still!
Die reizende Ophelia! — Nymphe, schließ
In dein Gebet all meine Sünden ein!

 
 
30 
 Dezember 
 
2012

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

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Blumentod (0:33)
Annette von Droste-Hülshoff (1797 – 1848)

Wie sind meine Finger so grün?
Blumen hab ich zerrissen.
Sie wollten für mich blühn
Und haben sterben müssen.

Wie neigten sie um mein Angesicht,
Wie fromme schüchterne Lieder.
Ich war in Gedanken, ich achtets nicht
Und bog sie zu mir nieder.

Zerriss die lieben Glieder
In sorgenlosem Mut.
Da floss ihr grünes Blut
Um meine Finger nieder.

Sie weinten nicht, sie klagten nicht,
Sie starben ohne Laut.
Nur dunkel ward ihr Angesicht,
Wie wenn der Himmel graut.

Sie konnten mirs nicht ersparen,
Sonst hätten sies wohl getan.
Wohin bin ich gefahren
In trüben Sinnens Wahn?

O töricht Kinderspiel!
O schuldlos Blutvergießen!
Es gleicht dem Leben viel.
Lasst mich die Augen schließen.

Denn was geschehn ist, ist geschehn,
Und wer kann für die Zukunft stehn?

 

 
Am ersten Sonntage nach Heilige Drei Könige (2:44)
Annette von Droste-Hülshoff (1797 – 1848)

Evang.: Jesus lehrt im Tempel

Oh, sieh, ich habe dich gesucht mit Schmerzen,
Mein Herr und Gott, wo werde ich dich finden?
Ach, nicht im eigenen, ausgestorbnen Herzen,
Wo längst dein Ebenbild erlosch in Sünden.
Da tönt aus allen Winkeln, ruf ich dich,
Mein eignes Echo wie ein Spott um mich.

Wer einmal hat dein göttlich Bild verloren,
Was ihm doch eigen war, wie seine Seele,
Mit dem hat sich die ganze Welt verschworen,
Daß sie dein heilig Antlitz ihm verhehle;
Und wo der Fromme dich auf Tabor schaut,
Da hat er sich im Tal sein Haus gebaut.

So muß ich denn zu meinem Graun erfahren
Das Rätsel, das ich nimmer konnte lösen,
Als mir in meinen hellen Unschuldsjahren
Ganz unbegreiflich schien, was da vom Bösen,
Daß eine Seele, wo dein Bild geglüht,
Dich gar nicht mehr erkennt, wenn sie dich sieht.

Rings um mich klingt der klare Vogelreigen:
»Hör doch, wir Vöglein singen seinem Ruhme!«
Und will ich mich zu einer Blüte neigen:
»Sieh doch, sein mildes Auge schaut aus jeder Blume.«
Ich hab dich drum in der Natur gesucht.
Doch weltlich Wissen war die eitle Frucht!
Oh bittre Schmach,
Dies Wissen musste meinen Glauben töten.

 

 
Im Grase (4:50)
Annette von Droste-Hülshoff (1797 – 1848)

Süße Ruh, süßer Taumel im Gras.
Von des Krautes Arom umhaucht.
Tiefe Flut, tief, tief trunkne Flut.
Wenn die Wolk am Azure verraucht.
Wenn aufs müde schwimmende Haupt
Süßes Lachen gaukelt herab.
Liebe Stimme säuselt und träuft,
Wie die Lindenblüt auf ein Grab.

Wenn im Busen die Toten dann,
Jede Leiche sich streckt und regt,
Leise, leise Odem einzieht,
Die geschlossne Wimper bewegt.
Tote Lieb, tote Lust, tote Zeit.
Wenn all die Schätze, im Schutt verwühlt,
Sich berühren mit schüchternem Klang,
Gleich den Glöckchen, vom Winde umspielt.

Stunden, flüchtiger ihr als der Kuss
Eines Strahls auf den trauernden See.
Als des ziehenden Vogels Lied,
Das mir niederperlt aus der Höh.
Als des schillernden Käfers Blitz,
Wenn den Sonnenpfad er durcheilt.
Als der flüchtige Druck einer Hand,
Die zum letzten Male verweilt.

Dennoch, Himmel, immer mir nur
Dieses Eine nur: für das Lied
Jedes freien Vogels im Blau
Eine Seele, die mit ihm zieht.
Für jeden kärglichen Strahl
Meinen farbig schillernden Saum.
Jeder warmen Hand meinen Druck
Und für jedes Glück meinen Traum.

 

 
Die Schwermütige (7:47)
Annette von Droste-Hülshoff (1797 – 1848)

Wenn in dem dunkeln Haine
Die sanfte Nachtigall,
Während ich traurig weine,
Mir bringt der Schwermut Schall,
So ists als bräche mir das Herz
Vor lauter wehmutsvollem Schmerz.

Wenn auf der hellen Heide
Die frohe Lerche steigt,
– Ach, diese Augenweide
Macht auch mein Herz nicht leicht –
Dann denk ich ans entflohne Glück.
Es wich wie sie so schnell zurück.

Geh ich zur kleinen Quelle
Und folg ihr überall,
So sprech ich: »Murmle helle,
Du Bach klar wie Kristall.
Ich hol dich schnelles Ding nicht ein.«
So wirds auch mit dem Glücke sein.

So macht mir alles Kummer.
Das Beste wird zur Qual.
Und selbst im tiefsten Schlummer
Verfolgts mich überall.
O böse Mördrin meiner Ruh!
Melancholie, wann weichest du?