Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

10 
 April 
 
2012

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

Tausend Dank an Lutz Görner für die Einstellung auf YouTube!
Eventuelle Kommentare zum Video-Clip bitte direkt auf YouTube!

 

 
Lenore (0:50)
Gottfried August Bürger (1747 – 1794)

Lenore fuhr ums Morgenrot
Empor aus schweren Träumen:
Bist untreu, Wilhelm, oder tot?
Wie lange willst du säumen? –
Er war mit König Friedrichs Macht
Gezogen in die Prager Schlacht,
Und hatte nicht geschrieben,
Ob er gesund geblieben.

Der König und die Kaiserin,
Des langen Haderns müde,
Erweichten ihren harten Sinn,
Und machten endlich Friede.
Und jedes Heer, mit Sing und Sang,
Mit Paukenschlag und Kling und Klang,
Geschmückt mit grünen Reisern,
Zog heim zu seinen Häusern.

Und überall all überall,
Auf Wegen und auf Stegen,
Zog alt und jung dem Jubelschall
Der Kommenden entgegen.
Gottlob! rief Kind und Gattin laut,
Willkommen! manche frohe Braut.
Ach! aber für Lenoren
War Gruß und Kuß verloren.

Sie frug den Zug wohl auf und ab,
Und frug nach allen Namen.
Doch keiner war, der Kunde gab,
Von allen, die da kamen.
Als nun das Heer vorüber war,
Zerraufte sie ihr schwarzes Haar
Und warf sich hin zur Erde,
Verzweifelt, was nun werde.

Lenore weinte und sie rang
Die Hände bis zum Untergang
Der Sonne. Bis am Himmelsbogen
Die goldnen Sterne zogen.
Als sie schon schlief! gings trapp trapp trapp,
Als wie von Rosseshufen;
Und klirrend stieg ein Reiter ab,
An des Geländers Stufen.

Und horch! Es klirrt der Pfortenring
Ganz lose, leise, klinglingling!
Dann kamen durch die Pforte
Vernehmlich diese Worte:
Lenore, du, mach auf mein Kind!
Schläfst, Liebchen, oder wachst du?
Wie bist du gegen mich gesinnt?
Sag, weinest oder lachst du? –

Ach, Wilhelm, du? – So spät bei Nacht? –
Geweinet hab ich und gewacht.
Ach, großes Leid erlitten!
Wo kommst du hergeritten? –
Wir satteln nur um Mitternacht.
Weit ritt ich her von Böhmen.
Ich habe spät mich aufgemacht,
Und will dich mit mir nehmen. –

Ach, Wilhelm, erst herein geschwind!
Den Baum und Strauch durchsaust der Wind,
Herein! In meinen Armen,
Herzliebster, sollst erwarmen! –
Lass sausen doch den Wind, den Sturm!
Lass sausen, Kind, lass sausen!
Der Rappe scharrt, zwölf schlägts vom Turm
Ich darf allhier nicht hausen.

Komm, schürze, spring und schwinge dich
Auf meinen Rappen hinter mich!
Musst heut noch hundert Meilen
Mit mir ins Brautbett eilen. –
Was willst du hundert Meilen noch
Mich heut ins Brautbett tragen?
Still, Liebste! Horch, die Glock brummt noch,
Die zwölf schon angeschlagen.

Lenore, sieh! der Mond scheint hell.
Wir und die Toten reiten schnell.
Ich bringe dich, was Wette,
Noch heut ins Hochzeitsbette.
Sag an, wo ist dein Kämmerlein?
Wo? Wie dein Hochzeitbettchen? –
Weit, weit von hier! – Still, kühl und klein! –
Sechs Bretter und zwei Brettchen! –

Hats Raum für mich? – Für dich und mich!
Komm, schürze, spring und schwinge dich!
Die Hochzeitgäste hoffen.
Die Kammer steht uns offen. –
Lenore schürzte, sprang und schwang
Sich auf das Ross behende.
Um den geliebten Wilhelm schlang
Sie ihre Lilienhände.

Und hurre hurre, hopp hopp hopp!
Gings fort in sausendem Galopp,
Dass Ross und Reiter schnoben,
Und Kies und Funken stoben.
Wie flogen rechts, wie flogen links,
Gebirge, Bäum und Hecken!
Wie flogen links und rechts und links
Die Dörfer, Städt und Flecken! –

Graut Liebchen dir? – Der Mond scheint hell! –
Hurra! die Toten reiten schnell!
Graut Liebchen dir vor Toten? –
Ach! Wilhelm, lass die Toten! –
Vollbracht, vollbracht ist unser Lauf!
Das Hochzeitsbette tut sich auf!
Die Toten reiten schnelle!
Wir sind, wir sind zur Stelle. –

Da sieh! Da sieh! im Augenblick,
Sieh nur! ein grässlich Wunder!
Des Reiters Kleidung, Stück für Stück,
Fiel ab, wie mürber Zunder.
Zum Schädel, ohne Zopf und Schopf,
Zum nackten Schädel ward sein Kopf,
Sein Körper zum Gerippe,
Mit Stundenglas und Hippe.

Hoch bäumte sich, wild schnob sein Pferd,
Und sprühte Feuerfunken.
Wie Nebel war es in der Erd
Verschwunden und versunken.
Sie hört Geheul aus hoher Luft,
Gewinsel hört sie aus der Gruft.
Lenorens Herz, mit Beben,
Rang zwischen Tod und Leben.

 
 
1 
 November 
 
2011


 

Wie jede Blüte welkt
und jede Jugend
dem Alter weicht,
blüht jede Lebensstufe,
blüht jede Weisheit
auch und jede Tugend
zu ihrer Zeit und
darf nicht ewig dauern.

Es muss das Herz bei jedem Lebensrufe
bereit zum Abschied sein und Neubeginne,
um sich in Tapferkeit und ohne Trauern
in and’re, neue Bindungen zu geben.
Und jedem Anfang wohnt ein Zauber inne,
der uns beschützt und der uns hilft zu leben.

Wir sollen heiter Raum um Raum durchschreiten,
an keinem wie an einer Heimat hängen,
der Weltgeist will nicht fesseln uns und engen,
er will uns Stuf’ um Stufe heben, weiten.

Kaum sind wir heimisch einem Lebenskreise
und traulich eingewohnt, so droht Erschlaffen,
nur wer bereit zu Aufbruch ist und Reise,
mag lähmender Gewöhnung sich entraffen.

Es wird vielleicht auch noch die Todesstunde
uns neuen Räumen jung entgegensenden,
des Lebens Ruf an uns wird niemals enden…

Wohlan denn, Herz, nimm Abschied und gesunde!

 

Dichter Hermann Hesse   |   Sprecher Gottfried John

 
 
10 
 August 
 
2011


 

Hat der alte Hexenmeister
Sich doch einmal wegbegeben!
Und nun sollen seine Geister
Auch nach meinem Willen leben.
Seine Wort und Werke
Merkt ich und den Brauch,
Und mit Geistesstärke
Tu ich Wunder auch.
Walle! walle
Manche Strecke,
Daß, zum Zwecke,
Wasser fließe
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergieße.

Und nun komm, du alter Besen,
Nimm die schlechten Lumpenhüllen!
Bist schon lange Knecht gewesen:
Nun erfülle meinen Willen!
Auf zwei Beinen stehe,
Oben sei ein Kopf,
Eile nun und gehe
Mit dem Wassertopf!
Walle! walle
Manche Strecke,
Daß, zum Zwecke,
Wasser fließe
Und mit reichem, vollem Schwalle
Zu dem Bade sich ergieße.

Seht, er läuft zum Ufer nieder;
Wahrlich! ist schon an dem Flusse,
Und mit Blitzesschnelle wieder
Ist er hier mit raschem Gusse.
Schon zum zweiten Male!
Wie das Becken schwillt!
Wie sich jede Schale
Voll mit Wasser füllt!
Stehe! stehe!
Denn wir haben
Deiner Gaben
Vollgemessen! –
Ach, ich merk es! Wehe! wehe!
Hab ich doch das Wort vergessen!

Ach, das Wort, worauf am Ende
Er das wird, was er gewesen.
Ach, er läuft und bringt behende!
Wärst du doch der alte Besen!
Immer neue Güsse
Bringt er schnell herein,
Ach! und hundert Flüsse
Stürzen auf mich ein!
Nein, nicht länger
Kann ich’s lassen;
Will ihn fassen.
Das ist Tücke!
Ach, nun wird mir immer bänger!
Welche Miene! welche Blicke!

O du Ausgeburt der Hölle!
Soll das ganze Haus ersaufen?
Seh ich über jede Schwelle
Doch schon Wasserströme laufen.
Ein verruchter Besen,
Der nicht hören will!
Stock, der du gewesen,
Steh doch wieder still!
Willst’s am Ende
Gar nicht lassen?
Will dich fassen,
Will dich halten
Und das alte Holz behende
Mit dem scharfen Beile spalten.

Seht, da kommt er schleppend wieder!
Wie ich mich nur auf dich werfe,
Gleich, o Kobold, liegst du nieder;
Krachend trifft die glatte Schärfe.
Wahrlich! brav getroffen!
Seht, er ist entzwei!
Und nun kann ich hoffen,
Und ich atme frei!
Wehe! wehe!
Beide Teile
Stehn in Eile
Schon als Knechte
Völlig fertig in die Höhe!
Helft mir, ach! ihr hohen Mächte!

Und sie laufen! Naß und nässer
Wird’s im Saal und auf den Stufen.
Welch entsetzliches Gewässer!
Herr und Meister! hör mich rufen! –
Ach, da kommt der Meister!
Herr, die Not ist groß!
Die ich rief, die Geister,
Werd ich nun nicht los.
In die Ecke,
Besen! Besen!
Seid’s gewesen.
Denn als Geister
Ruft euch nur, zu seinem Zwecke,
Erst hervor der alte Meister.

 

Sprecher Ulrich Tukur   |   Bereitstellung Wortlover