Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

7 
 Oktober 
 
2012


 

DICHTUNG Erich Fried
LESUNG Erich Fried
BEREITSTELLUNG wortlover


 

Triptychon (Frankfurt-Neckargemünd-Dilsberg)

1
Deutlich die Bilder
der Erinnerung
und der Sehnsucht

Deine wartende Hand
der Ausdruck deiner Augen
und die Haarlocke
die dein linkes Auge verschattet

Oder Bäume
die Bäume zu beiden Seiten
unserer Mainbrücke
als stünden sie mitten im Wasser
(aber stehen auf einer Insel
auf festem Grund)

2
Und ich mitten
in dieser Ferne von dir
denke in die Ferne
denke an die Nähe
denke an deinen Atem
an mein Leben mitten im Wasser
(auf meiner Insel
die nicht meine
und nicht im Main ist)

Zu viele Linien waren in meiner Hand
zu viele Menschen waren auf dieser Messe
zuviel Gesoll und Gehaben
zuviel Zeit ohne dich

3
Im Neckar gespiegelt
Herbstsonne ohne dich
Glänzende Flecken
wandern von Stunde zu Stunde
flußauf und beleuchten
die Hinterburg
rechts am Hang

Langsam erkaltendes Licht
auf dem Balkon ohne dich
Und im Zimmer die Bücher
in der Küche die Teemaschine
ohne dich
und das rötliche Buntsandsteinpflaster
auf dem ich noch einmal hinauf
zur „Sonne” und wieder
hinuntergehe
in das Haus ohne dich

Nun Nachdenken
nun Ausruhen
ohne dich

Kummer lernen
Er wird nicht der Einzige sein
Herbst lernen
Frösteln lernen
Ins Tal schauen
ohne dich.

 
 
23 
 August 
 
2012


 

DICHTUNG Gottfried Benn
LESUNG Gottfried Benn



Blüht nicht zu früh, ach blüht erst, wenn ich komme,
dann sprüht erst euer Meer und euren Schaum,
Mandeln, Forsythien, unzerspaltene Sonne —
dem Tal den Schimmer und dem Ich den Traum.

Ich, kaum verzweigt, im Tiefen unverbunden,
Ich, ohne Wesen, doch auch ohne Schein,
meistens im Überfall von Trauerstunden,
es hat schon seinen Namen überwunden,
nur manchmal fällt er ihm noch flüchtig ein.

So hin und her — ach blüht erst, wenn ich komme,
ich suche so und finde keinen Rat,
daß einmal noch das Reich, das Glück, das fromme,
der abgeschlossenen Erfüllung naht.

 
 
3 
 April 
 
2012


 
Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

Tausend Dank an Lutz Görner für die Einstellung auf YouTube!
Eventuelle Kommentare zum Video-Clip bitte direkt auf YouTube!

 

 
An den Mond (0:20)
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

Füllest wieder Busch und Tal
Still mit Nebelglanz.
Lösest endlich auch einmal
Meine Seele ganz.

Breitest über mein Gefild
Lindernd deinen Blick,
Wie des Freundes Auge mild
Über mein Geschick.

Jeden Nachklang fühlt mein Herz
Froh und trüber Zeit.
Wandelt zwischen Freud und Schmerz
In der Einsamkeit.

Fließe, fließe lieber Fluss!
Nimmer werd ich froh.
So verrauschte Scherz und Kuss
Und die Treue so.

Ich besaß es doch einmal,
Was so köstlich ist!
Dass man doch zu seiner Qual
Nimmer es vergisst!

Rausche Fluss das Tal entlang,
Ohne Rast und Ruh,
Rausche, flüstre meinem Sang
Melodien zu,

Wenn du in der Winternacht
Wütend überschwillst
Oder um die Frühlingspracht
Junger Knospen quillst.

Selig, wer sich vor der Welt
Ohne Hass verschließt,
Einen Freund am Busen hält
Und mit dem genießt,

Was von Menschen nicht gewusst,
Oder nicht bedacht,
Durch das Labyrinth der Brust
Wandelt in der Nacht.

 

 
Warum gabst du uns die tiefen Blicke (2:55)
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

[…]
Kanntest jeden Zug in meinem Wesen.
Spähtest, wie die reinste Nerve klingt.
Konntest mich mit einem Blicke lesen,
Den so schwer ein sterblich Aug durchdringt.

Tropftest Mäßigung dem heißen Blute,
Richtetest den wilden, irren Lauf,
Und in deinen Engelsarmen ruhte
Die zerstörte Brust sich wieder auf.
[…]

 

 
Wanderers Nachtlied (7:21)
Johann Wolfgang von Goethe (1749 – 1832)

Der du von dem Himmel bist.
Alle Freud und Schmerzen stillest.
Den, der doppelt elend ist,
Doppelt mit Erquickung füllest.
Ach, ich bin des Treibens müde!
Was soll all die Qual und Lust?
Süßer Friede,
Komm, ach komm in meine Brust!

 

 
Gespräch mit dem Historiker Heinrich Luden am 13.12.1813  (8:00)

Ich habe oft einen bitteren Schmerz empfunden das bei dem Gedanken an das deutsche Volk, das so achtbar im Einzelnen und so miserabel im Ganzen ist. Eine Vergleichung des deutschen Volkes mit anderen Völkern erregt mir peinliche Gefühle, über die ich auf jegliche Weise hinwegzukommen suche. Und in der Wissenschaft und in der Kunst habe ich die Schwingen gefunden, durch die man sich darüber hinwegzuhelfen vermag. Denn Wissenschaft und Kunst gehören der Welt an und vor ihnen verschwinden die Schranken der Nationalität. Aber der Trost, den sie gewähren, ist doch nur ein leidiger Trost und ersetzt nicht das stolze Bewusstsein einem großen und geachteten Volke anzugehören.