Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

18 
 Juli 
 
2011

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1

 

Thomas der Zwilling

Jesus sprach:
„Werdet Vorübergehende!“

Hoher Himmel! Es rührt des Allmächtigen eherne Schwinge
Donner gebärend am wolkengeballten Gewölb. Ein
irrender Strahl durchzuckt den erbleichten Äther. Die Berge
-heiligen Donnerhorns nun übergossen- verharren in Ehrfurcht,
göttlicher Hoheit gewärtig. Es wogt der urmächt’ge Welthall
nun die schroffen Hänge hinab und wälzt sich dumpfwallend
in die Täler, drängt zu der Dörfer duckenden Hütten,
drängt zur versammelten Schar im häuslichen Kreis und verliert sich
schweigend im lauschen Ohr menschlichen Staunens. Oh, du …

… Wunderklang Gottes, aller Naturen durchwogende Stimme!
Tön’ als erhabener Lehrmeister deinen Erdengeschöpfen,
mahn’ der Vergänglichkeit sie! Denn gleichwie dein Donner dem
Himmel entfuhr, dem göttlichen Urquell entsprang, so verlor sich
dies Große doch im Kleinen, im Irdischen nied’rer Behausung.

Lehre uns gleichwohl des flüchtigen Wandels hienieden auf Erden,
nichts währet immerdar, ist gezeitigt, gestundet dem Schicksal!

→ zu Mnemosynes Geleit
Evangelium nach Thomas
 
 
19 
 September 
 
2008

abgelegt in
Gedankenschau
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8

 

“Glauben ist nicht Wissen”, heißt es oft.

Dieser Ansicht bin ich nicht, denn Glaube kann auch eine feste, unerschütterliche Überzeugung sein und nicht nur im religiösen Bereich.

Andererseits nützt auch das größte enzyklopädische (Welt-)Wissen nichts, wenn man nicht an sich und seine Fähigkeiten glaubt und dieses angehäufte, rational abgeklärte, empirisch gesicherte Wissen nicht anwendet im Glauben seiner eigenen Wirkungskraft, seiner Selbstwirksamkeit.

Eingestaubte Bücherregale (=externalisiertes Wissen) sind in sich schon erstorben, entfachter Glaube indes schürt an.

Das glaube ich zu wissen.

 
 
15 
 September 
 
2008

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2

 

Annegret

ein Gedicht zum Thema “Fleisch”
von Schlunz vegan



 
Die Annegret hat ein Gerät,
mit dem man tote Schweine brät.
Doch weil das Ding so krank ausschaut,
hat sie’s auch gleich im Schrank verstaut.
Da sitzt sie nun und sagt sich leise:
Rohe Schweine schmecken scheisse!
Geht los, kauft sich nen grossen Topf
und kocht darin nen Schweinekopf.
Das Hirn quillt raus, die Augen auch,
und schwimmen zwischen Speck und Lauch.
Das Ganze drei mal umgerührt,
danach wird dann der Kopf tranchiert.
So steht sie vor mir mit ner Säge,
in meinem Magen dreht sich’s rege,
sägt und schnippelt an dem Schädel…
völlig weich, das arme Mädel.
Die Ohren gibts beim Bäcker auch,
mit Zucker, ohne Speck und Lauch.
Doch Nase, Backen und die Augen,
tun nich mal was als Kuchen taugen.
Sie sticht ganz tief, es spritzt das Blut
“Das Ding is ja noch gar nich gut!”
Das Kochen dauert seine Zeit,
doch Hunger macht sich in ihr breit.
Da fällt ihr ein, dass son Gerät,
zum Braten ja im Schrank noch steht.
Sie holt es raus, obwohl ihr graut,
dass dieses Ding voll krank ausschaut.
Das abgetrennte Einerlei,
die Zunge und den ganzen Brei,
legt sie nun auf das Bratgerät,
so wie`s in Mutters Kochbuch steht.
Der Schädel grinst mich wässrig an,
ob sowas nasses braten kann?
Das Ding fängt furchtbar an zu zischen,
doch Annegret, die steht inzwischen
tief versunken überm Topf
und sucht die Augen von dem Kopf.
So habe ich nun schnell kapiert,
dass dieser Kopf bald explodiert,
mache mich ganz flink vom Acker,
sag noch: “Anne, halt Dich wacker!”
Schliesse hinter mir die Tür
und frag mich: Was kann ich dafür?

(Schlunz 1999)