Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

4 
 Dezember 
 
2011


 

Sprecher Bruno Ganz   |   Bereitstellung Skuelander

Leuchtest du wie vormals nieder,
Goldner Tag! und sprossen mir
Des Gesanges Blumen wieder
Lebenatmend auf zu dir?
Wie so anders ists geworden!
Manches, was ich trauernd mied,
Stimmt in freundlichen Akkorden
Nun in meiner Freude Lied,
Und mit jedem Stundenschlage
Werd ich wunderbar gemahnt
An der Kindheit stille Tage,
Seit ich Sie, die Eine, fand.

Diotima! edles Leben!
Schwester, heilig mir verwandt!
Eh ich dir die Hand gegeben,
Hab ich ferne dich gekannt.
Damals schon, da ich in Träumen,
Mir entlockt vom heitern Tag,
Unter meines Gartens Bäumen,
Ein zufriedner Knabe, lag,
Da in leiser Lust und Schöne
Meiner Seele Mai begann,
Säuselte, wie Zephirstöne,
Göttliche! dein Geist mich an.

Ach! und da, wie eine Sage,
Jeder frohe Gott mir schwand,
Da ich vor des Himmels Tage
Darbend, wie ein Blinder, stand,
Da die Last der Zeit mich beugte,
Und mein Leben, kalt und bleich,
Sehnend schon hinab sich neigte
In der Toten stummes Reich:
Wünscht’ ich öfters noch, dem blinden
Wanderer, dies Eine mir,
Meines Herzens Bild zu finden
Bei den Schatten oder hier.

Nun! ich habe dich gefunden!
Schöner, als ich ahndend sah,
Hoffend in den Feierstunden,
Holde Muse! bist du da;
Von den Himmlischen dort oben,
Wo hinauf die Freude flieht,
Wo, des Alterns überhoben,
Immerheitre Schöne blüht,
Scheinst du mir herabgestiegen,
Götterbotin! weiltest du
Nun in gütigem Genügen
Bei dem Sänger immerzu.

Sommerglut und Frühlingsmilde,
Streit und Frieden wechselt hier
Vor dem stillen Götterbilde
Wunderbar im Busen mir;
Zürnend unter Huldigungen
Hab’ ich oft, beschämt, besiegt,
Sie zu fassen, schon gerungen,
Die mein Kühnstes überfliegt;
Unzufrieden im Gewinne,
Hab’ ich stolz darob geweint,
Daß zu herrlich meinem Sinne
Und zu mächtig sie erscheint.

Ach! an deine stille Schöne,
Selig holdes Angesicht!
Herz! an deine Himmelstöne
Ist gewohnt das meine nicht;
Aber deine Melodien
Heitern mählig mir den Sinn,
Daß die trüben Träume fliehen,
Und ich selbst ein andrer bin;
Bin ich dazu denn erkoren?
Ich zu deiner hohen Ruh,
So zu Licht und Lust geboren,
Göttlichglückliche! wie du? –

Wie dein Vater und der meine,
Der in heitrer Majestät
Über seinem Eichenhaine
Dort in lichter Höhe geht,
Wie er in die Meereswogen,
Wo die kühle Tiefe blaut,
Steigend von des Himmels Bogen,
Klar und still herunterschaut:
So will ich aus Götterhöhen,
Neu geweiht in schön’rem Glück,
Froh zu singen und zu sehen,
Nun zu Sterblichen zurück.

 
 
13 
 August 
 
2011


 

Was soll der Götter laun’sches Narrenspiel,
das unentwegt mit heißem Lustgefühl
begehrt, dem siechend’ Erdensohn zu drängen?

Kühlt sich des Zeuses Brust, die ruhmerglühte,
mit Tränenflut menschlicher Trauergesängen?

Füllst Du, Poseidon, denn die Weltenmeere trübsals-
erpicht mit Menschenzähr’ um Menschenzähre?

Raubst Helios Du das Lächeln Deiner Siegesstrahlen
von dem erlosch’nen Augenlicht gefall’ner Helden
in rauer Heeresschlacht, um fremdbeprunkt zu prahlen?

Trittst, Chloris Du, hinzu, um reinlich nun der Rosen
Gewand im Pril verfloss’nem Streiterblut zu tränken?

Oh, soll doch an des Aulis’ Strande Abendhimmel
sich Helios Götteraug’ ins schwarze Weltmeer senken
und Nyx mit finst’rem Blick allmählich nachten!

Des Leidgeplagten tränbegoss’nes Trachten
ängstigt nicht der eise Würgegriff,
nahen Todes glatter Lanzenstich
lüstern in die matte Brust gerammt,
ja, löscht nichts, was eh’ schon ward verflammt.

Wähne dich glücklich, oh eitles Herrschergeschlecht, denn erhaben
thronest du! Siegesgewiß waltet dein Zepter der Macht,
teilst mit der Themis entheiligtem Schwert der Gemeinen
Länderbesitz und beglückst Fürstenverwalter damit.
Zwingst des Menschen geschändetes Haupt unters Joch des verhängten
Frones und nährest dich wohl von der Gepeinigten Müh’.

Harre drum, Musensohn, fröhlich der kommenden Tage. In Bälde
endigt der Willkür Regent, sprengt deiner Ketten Gewalt.
Denn deiner Freiheit ermatteter Flügel, er schlägt kühn zu seiner
Zeit und trägt dich getrost hoch zu der Träume Palast.

 
 
28 
 Mai 
 
1995


 

Meinen Sternengruß, Dir Erdenkind!

Ist’s nicht ein Ergötzen, berauschend märchenhaft:
Freilich eine Kluft der Ferne zwischen uns klafft,
doch durch eine fein erlesene Wörterschar,
gesät auf dieses Marmorpapier,
gepflückt von deiner Augenzier,
ist Dir mein Wesen hauchend nah.

Vielmehr darf auch ich dich wittern,
durch deiner Finger banges Zittern,
denn dieses Blatt, in deines Schoßes Wiege ruhend ergeben
ist nichts and’res als mein geschrieb’nes Leben.

Doch dieser Blumenstrauß der Grußwortspendung
ist nicht die eigentliche Nutzanwendung
meiner brieflichen Entsendung.

Vielmehr sind es zwei Belangen,
die mich zu der Feder drangen:

Pro primo
winkte mir der Dichtkunst kühles Wasserbad,
umspült von treibenden Seerosenblüten,
um im Wörterstrom ergossener Geistessaat,
ein Kunstgedicht erneut zu schmieden.

Secundo
wollt’ ich den pfählernen Seelenfrust,
brennend mir in schmachtender Brust,
offenbarenden Wortlaut verleihen.

Und dieser Herzensbrief aus tiefster Seele,
deinen trauten Händen ich anbefehle,
lasse meine Not dir angedeihen.

Denn es sei mir fern, vermähltem Björn,
mit läst’gem Briefe gar zu stör’n
beim Musenspiel zerschmolzener Herzen:
“Küssetausch und kindlichem Scherzen,
beseelt durch flammende Loderkerzen.”
Ja, ja, fürwahr, das sinnlich’ Weibliche kann betör’n !!!

Und Susanne, mein einst loderndes Laternenlicht,
auf verwaistem Lebenspfad,
stählernd mir das Rückengrat,
bedarf erklärender Worte wohl nicht !

All’ die Träume sind entschwunden,
der glückseligen Zweisamkeit,
tief gefurcht die Schmerzenswunden,
weshalb floh sie, die holde Maid ???

Beraubet des Friedens, die Freude vergällt,
zerrissen ist unser Liebesband,
schwere Betrübnis war das Entgelt
ihrer Liebe kärgliches Pfand …

Doch sei’s drum, was vergangen,
soll verblassen und nicht länger mir anhangen.

Nunmehr, Freudentochter, mein Begehr,
weshalb mit einem Briefchen ich dich beehr’ :

Der Frauen Psyche, wahrlich eine Wissenschaft,
ist mir ein Buch siebenfach versiegelt,
an dem der Männergeist im Begreifen erschlafft,
und ihn um ein Weites überflügelt.

Selbst wenn der ganze Tross höfischer Damen
schwärmerisch mit Honigworten mich umgarnen
mich mit ihren lockenden Schmeichelblicken
hold verzaubern und beglücken,
ja, wenn jener zarte Wimpernschlag,
ein leis’ Bekenntnis in sich barg,
sanft auf Schwingen sich enthob,
mir zielgewiß ins Herze flog,
und mich im Liebestraume wog…,
und all’ dies Possen, scherzendes Spiel,
entfremdet jeglich’ reinem Gefühl,
mich erwählt zum Opfer weiblicher Intrige,
heuchlerischer Rede und täuschender Lüge,
so ward ich stets zum Toren auserkoren.

Das ist nie und nimmer
des weiblichen Blütenzaubers Schimmerglanz,
vielmehr ist es eitler Töchter verpönter Reigentanz.

Schmachtend nun als Schattengewächs
so ohne Prunk und Farbenklecks,
ist mir ein traurig Los gefallen !!!
Sollt’ ich blindlings dem Schicksal entgegenwallen,
durch Kostverzehr von der Liebe süßer Reben,
meinem Schicksal mich still ergeben:

Trotz Kräftezehren und Perlenschweiß
rosten auf dem Abstellgleis,
Weisheiten zitieren
nach Philosophen-Manier
mit Treueschwüren zieren
des Dichters Panier.

Unermüdlich Liebesglut schüren,
beredte Zunge auf Hochglanz polieren,
Geist bekunden, Geschenke schnüren,
stets seufzend pochen an verschloß’nen Türen
und mich selbst dabei zum Narren küren…

Oder als Pianist über Tasten gleiten,
mit Beigesang Lauschenden Wonne bereiten,
um liebesentfacht mit herzzereißenden Oden,
der Frauen hartes Ackerland beroden,
sodann edle Silbentröpfchen auszugießen,
auf dass ein Bündnis möge sprießen,
und stets bitt’re Abfuhr dann genießen.

Niemals, niemals, niemals…

Oder soll ich vielleicht ewig auf Burgruinen
im Nachtesschleier mich erkühnen,
als wandelndes Schattenbild gespenstisch zu geistern,
gepflasterte Wege, die einsam und belaubt,
schwermütig zu beschreiten mit gesenktem Haupt
und mich der Lyrik zu bemeistern?

Um den zähen Gedankenfluss,
voll zerfleischenden Verdruss,
in liebliche Worte und Reimerguss
tränenbenetzend auf totem Pergament begraben
anstatt mich daran zu erlaben,
mit geschmeidigem Zauberworte
eines Prinzesschens Herzenspforte
zu passieren. Ehrfurchtsvoll dann einzutauchen,
um mit gold’nen Lettern
fein umrankt von Efeublättern
die Herzenstafeln anzuhauchen.

Ich war eben nie der strahlende Poet,
der gleich einem schweifenden Komet
in der Frauen Herzen niederschlug,
und den Siegeskranz davontrug.

Oh, strömt, ihr gnadenreichen Perlentränen
aus dem versiegten Herzensborn,
stillt dies Verlangen, erfüllet dies Sehnen
spült hinweg den Schmerzensdorn.

Der Herzensgarten im Dürren liegt,
Gevatter Tod sich an mich schmiegt.
Die Landschaft gleicht trotz Monat “Mai”
toter, öder Wüstenei.

Ihr Tränen, oh, eilet, oh fließet,
damit dies Gärtchen wird begießet.

Bewässert die Wiesen,
die Blümlein lasst sprießen,
Besprenget mir das Herzensbeet,
Hoffnung wird dann ausgesät.
Benetzt die karge Gartenerde,
auf daß ein Bäumchen wachsen werde.

Ein Bäumchen, das seine zarten Wurzeln schlägt,
sich dann empor geschwinde regt,
und einmal reife Früchte trägt.

Ich möchte doch nur im gold’nen Dämmerlichte
des lauen Abends mit strahlendem Gesichte
durch begrünte Wälder schweifen :
mit unverzagtem Schritte, Sonnenschein im Gemüt,
das Herz voll Liebestaumel heißerglüht,
belad’nes Sorgenbündel abzustreifen.

Oh, süße Stille, mein Herz erfülle,
an dieser freudgeweihten Stätte hier.
Der Grashalme Reigen, mir Majestät zeigen,
und selbst die Bäume bilden Spalier.

Die Zapfen der Zweige beschweren zur Neige,
beschirmen mir das Haupt,
sich demütig beugend und damit mir zeugend,
dass ich zum König werd’ geglaubt.

Wenn die Sonne sich nun senkt,
den Horizont in weinrot tränkt,
vollendend ihre Himmelsbahn,
der letzte Sonnenstrahl zerfließt,
zerronnener Tag die Nacht begrüßt,
die nun ihr Regiment tritt an,
dann läßt sich am Firmament erspäh’n,
der leuchtende Mond, der ganz souverän,
schwebend steigt zur Himmelsfeste empor,
zur werten Dienerschaft, die Treue ihm schwor,
welches sind die mannigfaltigen Sterne,
die lieblich funkeln
im Nachtesdunkeln,
gleich Laterne an Laterne.

Ja, nur dort, in höheren Sphären möcht’ ich gesunden,
dort allein entströmt
der heilende Quell tiefgefurchter Herzenswunden.
Im Einklang beseelter Geisteswesen
wird nieversiegte Tränenflut
zeugend von der Schmerzensglut
mitfühlend gefaßt in heiligen Gefäßen.

Zarter Hände Wangenstreich
spendend dort im Friedensreich
lässt verwelken der Damen blühendes Lächeln,
lässt verdörren weltlicher Küssetausch,
wenn himmlische Winde mir Lind’rung zufächeln
und mich betören im Sinnesrausch.

Nie mehr wird mein zartgesponnenes Versgeflecht zerstoben,
denn dortdroben
in des Spiegelpalastes Herrlichkeit
von Posaunenschall umwoben
wird meiner Worte Lauterkeit
in den Adelsstand erhoben.

Wenn all’ der Erdentand verblaßt,
entkleidend meiner Erdenhülle,
umwolkter Äther mich erfaßt,
und meine Seel’ mit Glanz erfülle :

Aus “spottbegrabener” Witzfigur
erwächst dann keimend, triumphal,
gleich einem blendenden Opal,
die schillernde Adamskreatur…