Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

25 
 November 
 
2017


 

Sonett XII.

Zähl’ ich die Glocke, die die Zeiten mißt,
Seh’ ich den wackern Tag in Nacht verloren,
Und wie des Veilchens Lenz vorüber ist,
Wie sich mit Silber dunkle Haar’ umfloren;

Erblick’ ich hoher Wipfel dürres Laub,
Die erst ein Schattendach der Herde waren,
Geschürzt in Garben grünen Feldesraub
Weißbärtig, wie im Sarg, zur Scheuer fahren:

Dann kommt mir deine Schönheit in den Sinn,
Daß du der Zeiten Trümmer mußt vermehren;
Weil Reiz und Jugendschmuck sich selbst entfliehn,
Sich selbst so schnell als andre blühn, zerstören,

Und vor dem Sensenhieb der Zeit nichts wahrt
Als, ihm zum Trutz, Fortzeugung deiner Art.

 
 
3 
 Juni 
 
2016

Schlagwörter

0

 

Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

 

Die wilden Gänse (1:15)
Hoffmann von Fallersleben (1798– 1874)
Ihr wilden Gänse habt es gut,
Ihr ziehet frei und wohlgemut
Von einem Strand zum andern Strand
Durchs ganze liebe deutsche Land.

Uns zahmen Menschen gehts nicht so:
Wir reisten gern auch frei und froh
Ununtersucht und unbekannt
Durchs ganze liebe deutsche Land.

Kaum sind wir aber fort von Haus,
So muss auch schon der Pass heraus.
Wir werden niemals sorgenfrei
Vor lauter Maut und Polizei.

O dass doch einer es erdenkt,
Wie man den Luftball sicher lenkt!
Hier hört nicht auf die Hudelei –
Nur in den Lüften sind wir frei.

Mein Vaterland (2:50)
Hoffmann von Fallersleben (1798– 1874)
Meine Liebe, du mein Vaterland,
Wie könnt ich dein vergessen!
Ich weiß, was du mir bist,
Wenn auch die Welt ihr Liebstes
Und Bestes bald vergisst.
Ich sing es hell und ruf es laut:
Mein Vaterland ist meine Braut!
Wie könnt ich dein vergessen!
Ich weiß, was du mir bist.

Wie könnt ich dein vergessen!
Dein denk ich allezeit!
Ich bin mit dir verbunden,
Mit dir in Freud und Leid.
Ich will für dich im Kampfe stehn,
Und sollt es sein, mit dir vergehn.
Wie könnt ich dein vergessen!
Dein denk ich allezeit.

Wie könnt ich dein vergessen!
Ich weiß, was du mir bist,
So lang ein Hauch von Liebe
Und Leben in mir ist.
Ich suche nichts als dich allein,
Als deiner Liebe wert zu sein.
Wie könnt ich dein vergessen!
Ich weiß, was du mir bist.

Treue Liebe bis zum Grabe
Schwör ich dir mit Herz und Hand.
Was ich bin und was ich habe,
Dank ich dir, mein Vaterland!

Nicht in Worten nur und Liedern
Ist mein Herz zum Dank bereit,
Mit der Tat will ich erwidern
Dir in Not, in Kampf und Streit.
Treue Liebe bis zum Grabe
Schwör ich dir mit Herz und Hand.
Was ich bin und was ich habe,
Dank ich dir, mein Vaterland!

Das Lied der Deutschen (5:42)
Hoffmann von Fallersleben (1798– 1874)
Deutschland, Deutschland über alles,
Über alles in der Welt,
Wenn es stets zu Schutz und Trutze
Brüderlich zusammenhält.
Von der Maas bis an die Memel,
Von der Etsch bis an den Belt –

Deutsche Frauen, deutsche Treue,
Deutscher Wein und deutscher Sang
Sollen in der Welt behalten
Ihren alten schönen Klang.
Uns zu edler Tat begeistern
Unser ganzes Leben lang –

Einigkeit und Recht und Freiheit
Für das deutsche Vaterland!
Danach lasst uns alle streben
Brüderlich mit Herz und Hand!
Einigkeit und Recht und Freiheit
Sind des Glückes Unterpfand –
Blüh im Glanze dieses Glückes,
Blühe, deutsches Vaterland!

Gründers Mittagslied (1:15)
Hoffmann von Fallersleben (1798– 1874)
Ich bin ein Gründer, froh und frisch,
Schon heute setz ich mich zu Tisch,
Als dürft ich weiter mich nicht quälen,
Als meine Zinsen nur zu zählen.

Gottlob, ich weiß mir selber Rat,
Nichts soll mich kümmern, Stadt noch Staat:
Dem Gründerleben treu ergeben,
Verschaff ich mir ein würdig Leben.

Was gehet das Verdienst mich an?
Nur der Verdienst ist doch mein Mann:
So flecht ich mir zum eignen Lohne
Aus Aktien eine Bürgerkrone.

 
 
30 
 Dezember 
 
2012

Schlagwörter

0

 
Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

Tausend Dank an Lutz Görner für die Einstellung auf YouTube!
Eventuelle Kommentare zum Video-Clip bitte direkt auf YouTube!

 

 

An Sibylle (0:47)
Annette von Droste-Hülshoff (1797 – 1848)

Die Abendröte war zerflossen.
Wir standen an des Weihers Rand,
Und ich hielt meine Hand geschlossen
Um deine kleine, kalte Hand. Ich sprach:
»So müssen wir denn wirklich scheiden?
Das Schicksal würfelt mit uns beiden,
Wir sind wie herrenloses Land.

Da wir von keines Herdes Pflicht gebunden,
Meint jeder nur, wir seien grad
Für sein Bedürfnis nur erfunden,
Das hilfsbereite fünfte Rad.
Was nützt es uns, dass frei wir stehen,
Auf keines Mannes Hände sehen?
Sie zeichnen dennoch uns den Pfad!

O hätten wir nur Mut, zu walten
Der Gaben, die das Glück beschert!
Wer dürft uns hindern? Wer uns halten?
Wer neiden uns den eignen Herd?
So leiden wir nach altem Rechte,
Dass, wer sich selber macht zum Knechte,
Nicht ist der goldnen Freiheit wert.

Zieh hin, wie du berufen worden,
Nach der Campagna Glut und Schweiß!
Und ich will ziehn nach meinem Norden,
Zu siechen unter Schnee und Eis.
Nicht würdig sind wir bessrer Tage,
Denn wer nicht kämpfen mag, der trage!
Dulde, wer nicht zu handeln weiß!«

So habe ich an Weihers Rand gesprochen,
Im Zorne halb, und halb in Pein.
Du, ich, wir hätten gern den Bann gebrochen
Aus all dem Sticheln, allen Tyrannein.
Doch als drauf Regenwolken stiegen,
Wühlten erst recht wir mit Vergnügen
Uns in den Ärger ganz hinein.

So lang die Tropfen einzeln fielen,
Wars Naphtaöl für unsern Trutz.
Auch eins von des Geschickes Spielen:
Zum Schaden uns und Keiner Nutz!
Doch als der Himmel Schlossen streute,
Da machten wirs wie andre Leute
Und suchten einer Linde Schutz.

Dort stand ein Häuflein dicht beisammen,
Sich schauernd unterm Blätterdach.
Die Wolke zuckte Schwefelflammen
Und jagte Regenstriemen nach.
Wir hörtens auf den Blättern springen.
Jedoch kein Tropfen konnte dringen
In unser laubiges Gemach.

Ein armes Häuflein Männlein war es,
Das hier dem Wettersturm entrann.
Ein hagrer Jud gebleichten Haares,
Mit seinem Hund ein blinder Mann,
Ein Schuladjunkt im magren Fracke,
Und dann, mit seinem Bettelsacke,
Der kleine, hinkende Johann.

Und alle sahn bei jedem Stoße
Behaglich an dem Stamm hinauf.
Rückten ihr Bündelchen im Schoße
Und drängten lächelnd sich zuhauf.
Denn um so ärger schlug der Regen,
So breiter warf, dem Sturm entgegen,
Die Linde ihre grünen Schirme auf.

Ich fühlte seltsam mich befangen.
Beschämt, mit hocherglühten Wangen,
Hab in die Krone ich geschaut,
Der Linde, die doch keinem Manne eigen,
Verloren in der Heide stand,
Nicht Früchte trug in ihren Zweigen,
Nicht Nahrung für des Herdes Brand.

Zur Freundin sah ich, sie herüber,
Wir dachten Gleiches wohl vielleicht,
Denn auch Sibylles Miene wurde trüber,
Auch ihre lieben Augen feucht.
Doch haben wir kein Wort gesprochen,
Vom Baum ein Zweiglein nur gebrochen
Und still die Hände uns gereicht.

 

 
Schenke am See (6:18)
Annette von Droste-Hülshoff (1797 – 1848)

Ists nicht ein heitrer Ort, mein junger Freund,
Das kleine Haus, das schier vom Hange gleitet?
Wo so possierlich uns der Wirt begrüßt,
So übermächtig sich die Landschaft breitet?
Wo uns ergötzt, im neckischen Kontrast,
Das Wurzelmännchen mit verschmitzter Miene,
Das wie ein Aal sich schlingt und kugelt fast,
Im Angesicht der stolzen Alpenbühne?

Sitz nieder. – Trauben! – Und behend erscheint
Zopfwedelnd der geschäftige Pygmäe.
O sieh nur, wie manch reife Beere weint
Schon blutge Tränen um des Endes Nähe –
Frisch, greif in die kristallne Schale, frisch!
Die saftigen Rubine glühn und locken!
Schon fühl ich an des Herbstes reichem Tisch,
Den kargen Winter nahn auf leisen Socken –

Das sind dir Hieroglyphen, junges Blut.
Und ich, ich will an deiner lieben Seite
Froh schlürfen meiner Neige letztes Gut –
Schau her, schau drüben in die Näh und Weite,
Wie uns zur Seite sich der Felsen bäumt,
Als könnten wir mit Händen ihn ergreifen!
Wie uns zu Füßen das Gewässer schäumt,
Als könnten wir im Schwunge drüber streifen!

Trink aus! – die Alpen liegen stundenweit.
Nur nah die Meersburg, heimisches Gemäuer.
Wo Träume lagern langverschollner Zeit,
Seltsame Mär und zornge Abenteuer!
Wohl ziemt es mir, in Räumen schwer und grau,
Zu grübeln über dunkler Taten Reste,
Doch du, Levin, schaust aus dem grimmen Bau,
Wie eine Schwalbe aus dem Mauerneste.

Sieh drunten auf dem See im Abendrot
Die Taucherente hin und wieder schlüpfend!
Nun sinkt sie nieder wie des Netzes Lot,
Nun wieder aufwärts mit den Wellen hüpfend!
Seltsames Spiel! Recht wie ein Lebenslauf!
Wir beide schaun gespannten Blickes nieder.
Du flüsterst lächelnd: immer kommt sie auf.
Und ich, ich denke, immer sinkt sie wieder.

Noch einen Blick dem segensreichen Land,
Den Hügeln, Auen, üppgem Wellenrauschen,
Und heimwärts dann, wo von der Zinne Rand
Freundliche Augen unserm Pfade lauschen.
Herr Wirt! – Da haspelt in behendem Lauf
Das Männlein Abschied wedelnd uns entgegen:
»Guts Nächtle! Stehns nit zu zeitig auf!«
Das ist der lustgen Schwaben Abendsegen.