Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

29 
 September 
 
2017


 

DICHTUNG Erich Kästner
LESUNG Arno Assmann


 

Nachts sind die Straßen so leer.
Nur ganz mitunter
markiert ein Auto Verkehr.
Ein Rudel bunter
raschelnder Blätter jagt hinterher.

Die Blätter haschen und hetzen.
Und doch weht kein Wind.
Sie rascheln wie Fetzen und hetzen
und folgen geheimen Gesetzen,
obwohl sie gestorben sind.

Nachts sind die Straßen so leer.
Die Lampen brennen nicht mehr.
Man geht und möchte nicht stören.
Man könnte das Gras wachsen hören,
wenn Gras auf den Straßen wär.

Der Himmel ist kalt und weit.
Auf der Milchstraße hat’s geschneit.
Man hört seine Schritte wandern,
als wären es Schritte von andern,
und geht mit sich selber zu zweit.

Nachts sind die Straßen so leer.
Die Menschen legen sich nieder.
Nun schlafen sie, treu und bieder.
Und morgen fallen sie wieder
übereinander her.

 
 
9 
 Februar 
 
2008

abgelegt in
Gedankenschau

 

In der Straßenbahn

» Was guckst du so blöde? «
» Wer? Ich? «
» Ja, DU! «

» Ich schaue nicht blöde, eher gelangweilt … gelangtweilt vom hektischen Verkehrsgetriebe, von den noch hektischeren, geschäftigen und anonymen Menschenmassen, kurzum: vom mich wieder ereilten Alltag einer pulsierenden Großstadt.

Und insbesondere gelangweilt von solchen Menschen wie dir, die glauben, sie könnten sich aus dieser grauen, tristen Masse der Anonymität, der Eintönigkeit emporschwingen, indem sie durch provokante Zurufe “auf”-zufallen sich erhoffen, um dadurch in den Fokus meiner näheren Betrachtung zu gelangen, meiner sinnlichen Anteilnahme an ihrem Dasein.

Du könntest auch deine sicherlich gesprächigeren Fäuste reden lassen, das würde mir auch keinen spürbaren Reiz zuführen, der mich aufhorchen ließe.
Auch über dich hat sich der graue Schleier der Anonymität gelegt, bist eins mit der leblosen Objektwelt um mich geworden, die in gefühlserkalteter Manier selbstgefällig sich nur selbst meint.

Wieso sollte ich dich -in alles in der Welt- also “blöde angucken”?

Ich schaue dich nämlich NICHT an, mein Blick ist nach innen gewandt und lediglich mein Kopf wendete sich in die Richtung, in der du vor gut zwei Haltestationen Platz genommen hast.

Du hättest dich auch woanders hinsetzen können.
Zur alten Dame mit ihrem Schoßhündchen, zum Beispiel.
Zum zeitungslesenden Geschäftsmann.
Zu den lärmenden Schulkindern.
Oder einfach -stehend- neben den Fahrkarten-Entwerter.

Aber NEIN, DU musstest ja dich unbedingt mir gegenüber hinsetzen.
Einfach so. Rein zufällig.

 
Natürlich könnte ich meinen gedankenversunkenen Blick auch aus dem Fenster richten.
Oder zur alten Dame mit ihrem Schoßhündchen.
Zum zeitungslesenden Geschäftsmann.
Zu den lärmenden Schulkindern.
Oder einfach nur auf den Fahrkarten-Entwerter.

Aber NEIN, ICH wendete meinen Kopf, und NUR meinen Kopf, dir zu.
Einfach so. Rein zufällig. «