Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

1 
 April 
 
2012


 

DICHTUNG Theodor Fontane
LESUNG Otto Sander
BEREITSTELLUNG wortlover



Herr von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland,
Ein Birnbaum in seinem Garten stand,
Und kam die goldene Herbsteszeit
Und die Birnen leuchteten weit und breit,
Da stopfte, wenn’s Mittag vom Turme scholl,
Der von Ribbeck sich beide Taschen voll,
Und kam in Pantinen ein Junge daher,
So rief er: »Junge, wiste ‘ne Beer?«
Und kam ein Mädel, so rief er: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick hebb ‘ne Birn.«

So ging es viel Jahre, bis lobesam
Der von Ribbeck auf Ribbeck zu sterben kam.
Er fühlte sein Ende. ‘s war Herbsteszeit,
Wieder lachten die Birnen weit und breit;
Da sagte von Ribbeck: »Ich scheide nun ab.
Legt mir eine Birne mit ins Grab.«
Und drei Tage drauf, aus dem Doppeldachhaus,
Trugen von Ribbeck sie hinaus,
Alle Bauern und Büdner mit Feiergesicht
Sangen »Jesus meine Zuversicht«,
Und die Kinder klagten, das Herze schwer:
»He is dod nu. Wer giwt uns nu ‘ne Beer?«

So klagten die Kinder. Das war nicht recht –
Ach, sie kannten den alten Ribbeck schlecht;
Der neue freilich, der knausert und spart,
Hält Park und Birnbaum strenge verwahrt.
Aber der alte, vorahnend schon
Und voll Mißtraun gegen den eigenen Sohn,
Der wußte genau, was damals er tat,
Als um eine Birn’ ins Grab er bat,
Und im dritten Jahr aus dem stillen Haus
Ein Birnbaumsprößling sproßt heraus.

Und die Jahre gingen wohl auf und ab,
Längst wölbt sich ein Birnbaum über dem Grab,
Und in der goldenen Herbsteszeit
Leuchtet’s wieder weit und breit.
Und kommt ein Jung’ übern Kirchhof her,
So flüstert’s im Baume: »Wiste ‘ne Beer?«
Und kommt ein Mädel, so flüstert’s: »Lütt Dirn,
Kumm man röwer, ick gew’ di ‘ne Birn.«

So spendet Segen noch immer die Hand
Des von Ribbeck auf Ribbeck im Havelland.

 
 
24 
 Juli 
 
2011


 

Innerhalb des großen Feldes der Metrik (Verslehre) existiert der Begriff des alternierenden Verses.
Auf den Unterschied zwischen quantifizierenden und akzentuierender Metrik möchte ich hier nicht eingehen.
Um es in aller Knappheit zu erklären:
Im Deutschen gibt es betonte und unbetonte Silben, lange und kurze Silben.
Abgesehen von Vorsilben (Präfixe) oder dergleichen liegt die Betonung bei deutschen Wörtern immer auf der ersten Silbe.
Beispiel: Wie-se, Blu-me, Kin-der, Frau-en, Fecht-kunst.

Nebenei erwähnt -und zur Verdeutlichung- wird im Französischen meist endbetont,
Beispiel: par-don, mer-ci, bud-get, des-sert.

Fügt man mehrere Wörter zu einem Satz zusammen, so kann man bei richtiger Wortwahl einen Wechsel von betonten und unbetonten Silben, eine Hebung und Senkung der Satzmelodie erreichen, was den alternierenden Vers bezeichnet.

Beispiel: “Das Weib ist ein gebrechlich Wesen” (aus: “Maria Stuart” von Friedrich Schiller)

 

Jetzt gibt es aber auch Wörter, die je nach Sprachrhythmus in ihrer Betonung unterschiedlich betont ausgesprochen werden können.

Beispiel: “Weihnachtsgeld”
Ein deutsches Wort, daher Betonung am Anfang: “Weih-nachts-geld”.
Es handelt sich hierbei sogar um einen Daktylus: betont-unbetont-unbetont.

Das gleiche Wort kann allerdings auch anders betont werden,
zum Beispiel innerhalb der jambischen Zeile (unbetont-betont-unbetont-betont-…):
“Das Weihnachtsgeld macht alle glücklich!”

Die Betonung eines Wortes bezieht sich also nicht nur auf seine ureigene Betonung, sondern ist abhängig vom Kontext, vom “sprachrhythmischen Zusammenhang”.

Interessant fände ich daher, einmal das Eheversprechen genauer zu betrachten.
Welcher Silbenrhytmus liegt eigentlich vor auf die an den Bräutigam gerichteten Frage:
Willst du Anna nun zu deiner anvertrauten Frau heut’ nehmen,
so sprech’ laut vor aller Ohren: “Ja, ich will !” ?

Antwortet der Bräutigam jetzt aus Überzeugung -an den Sprachfluss angelehnt- mit “Ja, ich will !” (nicht mit einer Echolalie [1]die Wiederholung vorgesagter Phrase zu verwechseln!) ?
JA und WILL wären betont, somit betonungskonform und würden auf metrischer Ebene den gefassten Entschluss zur Ehe geradezu untermauern und die Absicht eines lebenslangen Bundes suggerieren.

Vielleicht ist die Redeformel aber auch daktylisch (betont-unbetont-unbetont): “Ja, ich will!”?
WILL‘ bliebe also unbetont und könnte alsbaldige Scheidungsabsichten signalisieren.

Fußnoten[+]