Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

8 
 April 
 
2012

abgelegt in
Zuckmayer, Carl

 

DICHTUNG Friedrich Carl Zuckmayer
LESUNG Fritz Stavenhagen
BEREITSTELLUNG wortlover


 

Ich weiß, ich werde alles wiedersehn.
Und es wird alles ganz verwandelt sein,
ich werde durch erloschne Städte gehn,
darin kein Stein mehr auf dem andern Stein –
und selbst noch wo die alten Steine stehen,
sind es nicht mehr die altvertrauten Gassen –
Ich weiß, ich werde alles wiedersehen
und nichts mehr finden, was ich einst verlassen.

Der breite Strom wird noch zum Abend gleiten.
Auch wird der Wind noch durch die Weiden gehn,
die unberührt in sinkenden Gezeiten
die stumme Totenwacht am Ufer stehn.
Ein Schatten wird an unsrer Seite schreiten
und tiefste Nacht um unsre Schläfen wehn –
Dann mag erschauernd in den Morgen reiten,
der lebend schon sein eignes Grab gesehn.

Ich weiß, ich werde zögernd wiederkehren,
wenn kein Verlangen mehr die Schritte treibt.
Entseelt ist unsres Herzens Heimbegehren,
und was wir brennend suchten, liegt entleibt.
Leid wird zu Flammen, die sich selbst verzehren,
und nur ein kühler Flug von Asche bleibt –
Bis die Erinnrung über dunklen Meeren
ihr ewig Zeichen in den Himmel schreibt.

 
 
23 
 November 
 
2007


 

Wer reitet so spät durch Nacht und Wind?
Es ist der Vater mit seinem Kind.
Er hat den Knaben wohl in dem Arm,
Er faßt ihn sicher, er hält ihn warm.

Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?
Siehst Vater, du den Erlkönig nicht!
Den Erlenkönig mit Kron’ und Schweif?
Mein Sohn, es ist ein Nebelstreif.

Du liebes Kind, komm geh’ mit mir!
Gar schöne Spiele, spiel ich mit dir,
Manch bunte Blumen sind an dem Strand,
Meine Mutter hat manch gülden Gewand.

Mein Vater, mein Vater, und hörest du nicht,
Was Erlenkönig mir leise verspricht?
Sei ruhig, bleibe ruhig, mein Kind,
In dürren Blättern säuselt der Wind.

Willst feiner Knabe du mit mir geh’n?
Meine Töchter sollen dich warten schön,
Meine Töchter führen den nächtlichen Reihn
Und wiegen und tanzen und singen dich ein.

Mein Vater, mein Vater, und siehst du nicht dort
Erlkönigs Töchter am düsteren Ort?
Mein Sohn, mein Sohn, ich seh’es genau:
Es scheinen die alten Weiden so grau.

Ich lieb dich, mich reizt deine schöne Gestalt,
Und bist du nicht willig, so brauch ich Gewalt!
Mein Vater, mein Vater, jetzt faßt er mich an,
Erlkönig hat mir ein Leids getan.

Dem Vater grauset’s, er reitet geschwind,
Er hält in den Armen das ächzende Kind,
Erreicht den Hof mit Mühe und Not,
In seinen Armen das Kind war tot.