Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

8 
 September 
 
2012


 

DICHTUNG Theodor Storm
LESUNG Florian Friedrich



Schließe mir die Augen beide
mit den lieben Händen zu!
Geht doch alles, was ich leide,
unter deiner Hand zur Ruh.

Und wie leise sich der Schmerz
Well’ um Welle schlafen leget,
wie der letzte Schlag sich reget,
füllest du mein ganzes Herz.

 
 
25 
 August 
 
2012


 

DICHTUNG Paul Celan
LESUNG Paul Celan
BEREITSTELLUNG wortlover


 

Wundgeheilt: wo-,
wenn du wie ich wärst, kreuz-
und quergeträumt von
Schnapsflaschenhälsen am
Hurentisch

– würfel
mein Glück zurecht, Meerhaar,
schaufel die Welle zuhauf, die mich trägt, Schwarzfluch,
brich dir den Weg
durch den heißesten Schoß,
Eiskummerfeder -,

wo-
hin
kämst du nicht mit mir zu liegen, auch
auf die Bänke
bei Mutter Clausen, ja sie
weiß, wie oft ich dir bis
in die Kehle hinaufsang, heidideldu,
wie die heidelbeerblaue
Erle der Heimat mit all ihrem Laub,
du, wie die
Astralflöte von
jenseits des Weltgrats – auch da
schwammen wir, Nacktnackte, schwammen,
den Abgrundvers auf
brandroter Stirn – unverglüht grub
sich das tief-
innen flutende Gold seine Wege nach oben -, hier,

mit bewimperten Segeln,
fuhr auch Erinnrung vorbei, langsam
sprangen die Brände hinüber, ab-
getrennt, du,
abgetrennt auf
den beiden blau- schwarzen Gedächtnis-
schuten,
doch angetrieben auch jetzt
vom Tausend-
arm, mit dem ich dich hielt,
kreuzen, an Sternwurf-Kaschemmen vorbei,
unsre immer noch trunknen, trinkenden,
nebenweltlichen Münder – ich nenne nur sie -,

bis drüben am zeitgrünen Uhrturm
die Netz-, die Ziffernhaut lautlos
sich ablöst – ein Wahndock,
schwimmend, davor
abweltweiß die
Buchstaben der
Großkräne einen
Unnamen schreiben, an dem
klettert sie hoch, zum Todessprung, die
Laufkatze Leben,
den
baggern die sinn-
gierigen Sätze nach Mitternacht aus,
nach ihm
wirft die neptunische Sünde ihr korn-
schnapsfarbendes Schleppseil,
zwischen
zwölf-
tonigen Liebeslautbojen
– Ziehbrunnenwinde damals, mit dir
singt es im nicht mehr
binnenländischen Chor –
kommen die Leuchtfeuerschiffe getanzt,
weither, aus Odessa,

die Tieflademarke,
die mit uns sinkt, unsrer Last treu,
eulenspiegelt das alles
hinunter, hinauf und – warum nicht? wundgeheilt, wo-, wenn –

herbei und vorbei und herbei.

 
 
22 
 Juli 
 
2012


 

DICHTUNG Ingeborg Bachmann
LESUNG Ingeborg Bachmann
BEREITSTELLUNG wortlover


 

Vom Lande steigt Rauch auf.
Die kleine Fischerhütte behalt’ im Auge,
denn die Sonne wird sinken,
eh du zehn Meilen zurückgelegt hast.

Das dunkle Wasser, tausendäugig,
durchblutet Poseidons Reich
und schlägt die Wimper von weißer Gischt auf
dich anzusehn, groß und lang,
dreißig Tage lang.

Auch wenn das Schiff hart stampft
und einen unsicheren Schritt tut,
steh’ ruhig auf Deck.

An den Tischen essen sie jetzt den geräucherten Fisch.
Vorne werden die Männer hinknien
und die Netze flicken.

Aber nachts wird geschlafen,
eine Stunde oder zwei Stunden
und ihre Hände werden weich sein.

Fahl von Salz und Öl,
weich wie das Brot des Traumes,
von dem sie brechen.

Die erste Welle der Nacht schlägt ans Ufer,
die zweite erreicht schon dich.
Aber wenn du scharf hinüber schaust,
kannst du den Baum noch sehn,
der trotzig den Arm hebt.
Einen hat ihn der Wind schon abgeschlagen.

Und du denkst, wie lange noch?
Wie lange noch wird das krumme Holz den Wettern standhalten?

Vom Lande ist nichts mehr zu sehn.
Du hättest dich mit einer Hand in die Sandbank krallen
oder mit einer Locke an die Klippen heften sollen.

In die Muscheln blasend
begleiten die Ungeheuer des Meers
Nereus’ Töchter über die Wellen.
Sie reiten und schlagen
mit blanken Säbeln die Tage in Stücke.
Eine rote Spur bleibt im Wasser.
Dort legt dich der Schlaf hin,
zwischen Proteus und Glaukos.
Die Najaden treffen mit kaltem Stahl deine Brust.

Und dir schwinden die Sinne.
Da ist etwas mit den Tauen geschehen.
Man ruft dich und du bist froh,
dass man dich braucht.

Das Beste ist die Arbeit auf den Schiffen,
die weithin fahren:
Das Tauknüpfen, das Wasserschöpfen, das Bände dichten
und das Hüten der Fracht.

Das Beste ist müde zu sein
und am Abend hinzufallen.

Das Beste ist am Morgen
mit dem ersten Licht hell zu werden,
gegen den unverrückbaren Himmel zu stehen,
der ungangbaren Wasser nicht zu achten
und das Schiff über die Wellen zu heben
auf das immer wiederkehrende Sonnenufer zu.