Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

9 
 April 
 
2012


 

Grundsätzlich ist meine Meinung, dass es keine artgerechte Tierhaltung gibt, genauso wenig wie es menschenwürdige Sklavenhaltung gibt.
Auch ein “Edel”-Sklave am Hofe des Pharaos zur Zeit des Alten Ägypten mag unter Umständen einen noch höheren, gebildeteren Lebensstandard genossen haben wie manch freier (“bildungsferne”) Landmann.
Allerdings rechtfertigt das nicht den Sklavenhandel.

Oft sehe ich mich gedanklich zurückversetzt in die Zeit des Sezessionskrieges der Nord- und Südstaaten Amerikas (1861-1865), indem die Südstaaten vehement auf die überlieferte Tradition der Sklavenhaltung pochten, weil es eben schon „IMMER SO WA(H)R…“
Die Sklaven der Südstaaten waren -wie heute die Tiere- ein ökonomischer Faktor, mehr nicht, und der Umgang mit ihnen (unentgeltliches Arbeiten, Auspeitschen, Vergewaltigung, Lusttöten) galt als normal.
Sklaven waren Gebrauchsgegenstände (Sachen) und gehörten zum üblichen Inventar des Hausstandes, waren feste Tradition (nebenbei gesagt ist Krieg auch eine “menschliche Tradition”).

Die Fernsehserie „Fackeln im Sturm“ wird vielleicht von vielen als kitschig abgetan, spiegelt aber eindringlich die damaligen gesellschaftlichen Verhältnisse, die sich sehr wohl auf unsere Zeit übertragen lassen.
Sklaverei wurde damals wie heute die Tierhaltung mit tradierter Werteüberlieferung gerechtfertigt, ohne selbstreflexiv kritisch rational überdacht zu werden.

Das Befassen mit der Wahrheit schmerzt, könnte den faulen Zahn überdauerter Wertevorstellung ziehen und riskiert vor allem den etablierten Lebensstandard, den man als so unverzichtbar ansieht, als unentbehrlich.

 
 
27 
 August 
 
2011

abgelegt in
Gedankenschau

 

Die Erzählung ist nicht ganz unbekannt.
Ein schiffbrüchiger Mann mit nur noch einem Auge strandet an einer fernhin entlegenen Insel, die von Blinden besiedelt wird.
Diese Blindheit ist kein erworbener Defekt, sondern besteht seit ihrer Geburt, ist typisch für diese Art von Menschen. Diese Menschen kennen demzufolge keine Farben, ist das Grün des Grases fremd, die Himmelsbläue blieb zeitlebens ungesehen, die flammende Abendröte hieß nimmer sie schwärmen.
Doch die Blinden trauern nicht der bunten Farbenwelt nach.
Wieso auch? Was man nicht kennt, kann man auch nicht vermissen.

Und das gesellschaftliche Leben auf der Insel funktioniert auch ohne Farben.
Die Lebensbereiche sind gut auf die sensorischen Fähigkeiten der Bevölkerung abgestimmt und der Alltag gestaltet sich als völlig normal.
Nur dass eben der visuelle Wahrnehmungskanal nichtexistent ist.
Aber das tut der Lebensqualität keinen Abbruch, stellt auch keine existentielle Bedrohung dar.
Man hat sich damit arrangiert.

Die Frage ist nun, ob des Einäugigen Sehkraft in diesem gesellschaftlich abgesteckten Kontext eine Gabe ist oder eine Behinderung darstellt?
Wird der Einäugige zum König, zum Herdenführer gewählt aufgrund seiner “umsichtigen Gabe” oder wird er wegen seiner Andersartigkeit als Aussätziger verstoßen oder gar als halluzinierender Psychopath in eine Nervenheilanstalt eingeliefert?

Wie soll sich der Einäugige verhalten?
Soll er aufbegehren, Wahrheit verlauten?
Oder soll er sich diplomatisch den Gegebenheiten anpassen, unauffällig sein Tagwerk verrichten und tagtäglich sich selbst verleugnen, seinem Wesen, seinem angestammten Recht auf Individualität untreu sein?

höhlengleichnis_hoehlengleichnis_platon

Quelle: Radio Sai Hörer Journal

In Anlehnung an das Höhlengleichnis von Platon wollen die Blinden dem Einäugigen vielleicht keinen Glauben schenken.
Sie haben sich an die diffusen Schattenspiele in der dunklen Höhle ihrer Wahrnehmung gewöhnt, fühlen sich wohl in ihrer traulich eingerichteten Gedankenwelt und empfinden das farben- und konturengebärende Sonnenlicht als Irritation, als erschütterndes Irregulativ ihres marmorn gesockelten (und vielleicht auch stilisierten) Weltbildes.

Ihre Welt braucht keine geistigen Grenzerweiterungen.
Ihre Welt braucht keine Konturen.
Ihre Welt braucht keine Farben.