Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

19 
 November 
 
2017


 

Sonett II.

Wenn vierzig Winter einst dein Haupt umnachten
Und tief durchfurchen deiner Schönheit Feld,
Dann ist dein Jugendflor, wonach wir itzt so trachten,
Ein mürbes Kleid, das unbemerkt zerfällt.

Ein ödes Lob, ein allverzehrend Schmähn
Wär’s dann, dem Forscher nach den Reizen all,
Nach dem frühen Reichtum, zu gestehn
Er sei dahin mit deines Auges Fall.

Weit rühmlicher wies deine Schönheit sich,
Könnt’st du erwidern „dies mein schönes Kind
Tilgt meine Schuld, vertritt mein Alter mich,
Weil seine Reize Erben meiner sind“. –

Dies ist’s, wodurch ein Greis sich neu verjüngt
Und kaltem Blut die Wärme wiederbringt.

 
 
18 
 November 
 
2017


 

Sonett VII.

Sieh! wenn von Osten her das Segenslicht
Sein Glanzhaupt zeigt, wie aller Augensphären
Ihm huldigen, dem kommenden Gesicht,
Mit Blicken seine heil’ge Hoheit ehren.
[…]
 
 
15 
 August 
 
2015


 

DICHTUNG Andreas Gryphius
LESUNG Ritter von Schönhering
BEREITSTELLUNG Ritter von Schönhering


 

Sein oder Nichtsein; das ist hier die Frage:
Obs edler im Gemüt, die Pfeil und Schleudern
Des wütenden Geschicks erdulden oder,
Sich waffnend gegen eine See von Plagen,
Durch Widerstand sie enden? Sterben — schlafen —

Nichts weiter! Und zu wissen, daß ein Schlaf
Das Herzweh und die tausend Stöße endet,
Die unsers Fleisches Erbteil, ‘s ist ein Ziel,
Aufs innigste zu wünschen. Sterben — schlafen —
Schlafen! Vielleicht auch träumen! Ja, da liegts:

Was in dem Schlaf für Träume kommen mögen,
Wenn wir die irdische Verstrickung lösten,
Das zwingt uns stillzustehn. Das ist die Rücksicht,
Die Elend läßt zu hohen Jahren kommen.
Denn wer ertrüg der Zeiten Spott und Geißel,

Des Mächtigen Druck, des Stolzen Mißhandlungen,
Verschmähter Liebe Pein, des Rechtes Aufschub,
Den Übermut der Ämter und die Schmach,
Die Unwert schweigendem Verdienst erweist,
Wenn er sich selbst in Ruhstand setzen könnte

Mit einer Nadel bloß? Wer trüge Lasten
Und stöhnt’ und schwitzte unter Lebensmüh?
Nur daß die Furcht vor etwas nach dem Tod,
Das unentdeckte Land, von des Bezirk
Kein Wandrer wiederkehrt, den Willen irrt,

Daß wir die Übel, die wir haben, lieber
Ertragen als zu unbekannten fliehn.
So macht Bewußtsein Feige aus uns allen;
Der angebornen Farbe der Entschließung
Wird des Gedankens Blässe angekränkelt;

Und Unternehmen, hochgezielt und wertvoll,
Durch diese Rücksicht aus der Bahn gelenkt,
Verlieren so der Handlung Namen. — Still!
Die reizende Ophelia! — Nymphe, schließ
In dein Gebet all meine Sünden ein!