Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

9 
 Oktober 
 
2016


 

DICHTUNG Friedrich Hölderlin
LESUNG Mathias Wieman
BEREITSTELLUNG wortlover


 

Wenn ihr Freunde vergeßt, wenn ihr die Euern all,
  O ihr Dankbaren, sie, euere Dichter schmäht,
    Gott vergeb’ es, doch ehret
      Nur die Seele der Liebenden.

Denn o saget, wo lebt menschliches Leben sonst,
  Da die knechtische jetzt alles, die Sorge, zwingt?
    Darum wandelt der Gott auch
      Sorglos über dem Haupt uns längst.

Doch, wie immer das Jahr kalt und gesanglos ist
  Zur beschiedenen Zeit, aber aus weißem Feld
    Grüne Halme doch sprossen,
      Oft ein einsamer Vogel singt,

Wenn sich mählich der Wald dehnet, der Strom sich regt,
  Schon die mildere Luft leise von Mittag weht
    Zur erlesenen Stunde,
      So ein Zeichen der schönern Zeit,

Die wir glauben, erwächst einziggenügsam noch,
  Einzig edel und fromm über dem ehernen,
    Wilden Boden die Liebe,
      Gottes Tochter, von ihm allein.

Sei gesegnet, o sei, himmlische Pflanze, mir
  Mit Gesange gepflegt, wenn des ätherischen
    Nektars Kräfte dich nähren,
      Und der schöpfrische Strahl dich reift.

Wachs und werde zum Wald! eine beseeltere,
  Vollentblühende Welt! Sprache der Liebenden
    Sei die Sprache des Landes,
      Ihre Seele der Laut des Volks!

 
 
23 
 August 
 
2016

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DICHTUNG Rainer Maria Rilke
LESUNG Corinna Harfouch / Otto Schenk
BILDER Joan Miró
BEREITSTELLUNG wortlover



DER FREMDE
Du bist nicht bang, davon zu sprechen?

DIE BLINDE
Nein.
Es ist so ferne. Das war eine andre.
Die damals sah, die laut und schauend lebte,
die starb.

DER FREMDE
Und hatte einen schweren Tod?

DIE BLINDE
Sterben ist Grausamkeit an Ahnungslosen.
Stark muss man sein, sogar wenn Fremdes stirbt.

DER FREMDE
Sie war dir fremd?

DIE BLINDE
– Oder: sie ist’s geworden.
Der Tod entfremdet selbst dem Kind die Mutter. –
Doch es war schrecklich in den ersten Tagen.
Am ganzen Leibe war ich wund. Die Welt,
die in den Dingen blüht und reift,
war mit den Wurzeln aus mir ausgerissen,
mit meinem Herzen (schien mir), und ich lag
wie aufgewühlte Erde offen da und trank
den kalten Regen meiner Tränen,
der aus den toten Augen unaufhörlich
und leise strömte, wie aus leeren Himmeln,
wenn Gott gestorben ist, die Wolken lallen.
Und mein Gehör war groß und allem offen.
Ich hörte Dinge, die nicht hörbar sind:
die Zeit, die über meine Haare floss,
die Stille, die in zarten Gläsern klang, –
und fühlte: nah bei meinen Händen ging
der Atem einer großen weißen Rose.
Und immer wieder dacht ich: Nacht und: Nacht
und glaubte einen hellen Streif zu sehn,
der wachsen würde wie ein Tag;
und glaubte auf den Morgen zu zugehn,
der längst in meinen Händen lag.
Die Mutter weckt ich, wenn der Schlaf mir schwer
hinunterfiel vom dunklen Gesicht,
der Mutter rief ich: »Du, komm her!
Mach Licht!«
Und horchte. Lange, lange blieb es still,
und meine Kissen fühlte ich versteinen, –
dann war’s, als säh ich etwas scheinen:
das war der Mutter wehes Weinen,
an das ich nicht mehr denken will.
Mach Licht! Mach Licht! Ich schrie es oft im Traum:
Der Raum ist eingefallen. Nimm den Raum
mir vom Gesicht und von der Brust.
Du musst ihn heben, hochheben,
musst ihn wieder den Sternen geben;
ich kann nicht leben so, mit dem Himmel auf mir.
Aber sprech ich zu dir, Mutter?
Oder zu wem denn? Wer ist denn dahinter?
Wer ist denn hinter dem Vorhang? – Winter?
Mutter: Sturm? Mutter: Nacht? Sag!
Oder: Tag?…….Tag!
Ohne mich! Wie kann es denn ohne mich Tag sein?
Fehl ich denn nirgends?
Fragt denn niemand nach mir?
Sind wir denn ganz vergessen?
Wir?…….Aber du bist ja dort;
du hast ja noch alles, nicht?
Um dein Gesicht sind noch alle Dinge bemüht,
ihm wohlzutun.
Wenn deine Augen ruhn
und wenn sie noch so müd waren,
sie können wieder steigen.
… Meine schweigen.
Meine Blumen werden die Farbe verlieren.
Meine Spiegel werden zufrieren.
In meinen Büchern werden die Zeilen verwachsen.
Meine Vögel werden in den Gassen
herumflattern und sich an fremden Fenstern verwunden.
Nichts ist mehr mit mir verbunden.
Ich bin von allem verlassen. –
Ich bin eine Insel.

DER FREMDE
Und ich bin über das Meer gekommen.

DIE BLINDE
Wie? Auf die Insel?… Hergekommen?

DER FREMDE
Ich bin noch im Kahne.
Ich habe ihn leise angelegt –
an dich. Er ist bewegt:
seine Fahne weht landein.

DIE BLINDE
Ich bin eine Insel und allein.
Ich bin reich. –
Zuerst, als die alten Wege noch waren
in meinen Nerven, ausgefahren
von vielem Gebrauch:
da litt ich auch.
Alles ging mir aus dem Herzen fort,
ich wusste erst nicht wohin;
aber dann fand ich sie alle dort,
alle Gefühle, das, was ich bin,
stand versammelt und drängte und schrie
an den vermauerten Augen, die sich nicht rührten.
Alle meine verführten Gefühle…
Ich weiß nicht, ob sie Jahre so standen,
aber ich weiß von den Wochen,
da sie alle zurückkamen gebrochen
und niemanden erkannten.

Dann wuchs der Weg zu den Augen zu.
Ich weiß ihn nicht mehr.
Jetzt geht alles in mir umher,
sicher und sorglos; wie Genesende
gehn die Gefühle, genießend das Gehn,
durch meines Leibes dunkles Haus.
Einige sind Lesende
über Erinnerungen;
aber die jungen
sehn alle hinaus.
Denn wo sie hintreten an meinen Rand,
ist mein Gewand von Glas.
Meine Stirne sieht, meine Hand las
Gedichte in anderen Händen.
Mein Fuß spricht mit den Steinen, die er betritt,
meine Stimme nimmt jeder Vogel mit
aus den täglichen Wänden.
Ich muss nichts mehr entbehren jetzt,
alle Farben sind übersetzt
in Geräusch und Geruch.
Und sie klingen unendlich schön
als Töne.
Was soll mir ein Buch?
In den Bäumen blättert der Wind;
und ich weiß, was dorten für Worte sind,
und wiederhole sie manchmal leis.
Und der Tod, der Augen wie Blumen bricht,
findet meine Augen nicht…..

DER FREMDE (leise)
Ich weiß.

 
 
16 
 Juni 
 
2016

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

 

Rätsel (1:05)
Hoffmann von Fallersleben (1798– 1874)
Ein Männlein steht im Walde
Ganz still und stumm,
Es hat von lauter Purpur
Ein Mäntlein um.
Sagt, wer mag das Männlein sein,
Das da steht im Wald allein
Mit dem purpurroten Mäntelein?

Das Männlein steht im Walde
Auf einem Bein,
Und hat auf seinem Haupte
Schwarz Käpplein klein.
Sagt, wer mag das Männlein sein,
Das da steht im Wald allein
Mit dem kleinen schwarzen Käpplein?

Das Männlein dort auf einem Bein,
Mit seinem roten Mäntelein
Und seinem schwarzen Käppelein
Kann nur die Hagebutte sein!

Auf unsrer Wiese gehet was (1:59)
Hoffmann von Fallersleben (1798– 1874)
Auf unsrer Wiese gehet was,
Das watet durch die Sümpfe.
Es hat ein schwarz-weiß Röcklein an,
Und trägt auch rote Strümpfe.
Es fängt die Frösche schnapp, schnapp, schnapp,
Und klappert lustig klapperdiklapp.
Wer kann es mir verraten?

Ihr denkt, das ist der Klapperstorch,
Der watet durch die Sümpfe?
Weil er ein schwarzweiß Röcklein hat,
Und trägt auch rote Strümpfe?
Zwar fängt er Frösche schnapp, schnapp, schnapp
Und klappert lustig klapperdiklapp.
Doch es ist die Frau Störchin!

Wer hat die schönsten Schäfchen (2:54)
Hoffmann von Fallersleben (1798– 1874)
Wer hat die schönsten Schäfchen?
Die hat der goldne Mond
Der hinter unsern Bäumen
Am Himmel droben wohnt.

Er kommt am späten Abend,
Wenn alles schlafen will,
Hervor aus seinem Hause
Am Himmel leis und still.

Dann weidet er die Schäfchen
Auf seiner blauen Flur:
Denn all die weißen Sterne
Sind seine Schäfchen nur.

Sie tun sich nichts zuleide,
Hat eins das andre gern,
Und Schwestern sind und Brüder
Da droben Stern an Stern.

Wenn ich gen Himmel schaue,
So fällt mir immer ein:
O lasst uns auch so freundlich
Wie diese Schäfchen sein!

Winter ade (4:05)
Hoffmann von Fallersleben (1798– 1874)
Winter ade! Scheiden tut weh.
Aber dein Scheiden macht,
Dass jetzt mein Herze lacht.
Winter ade!

Gerne vergess ich dein,
Kannst immer ferne sein.
Gehst du nicht bald nach Haus,
Lacht dich der Kuckuck aus.
Winter ade!

Frühlingsbotschaft (4:33)
Hoffmann von Fallersleben (1798– 1874)
Kuckuck, Kuckuck rufts aus dem Wald:
Lasset uns singen,
Tanzen und springen!
Frühling, Frühling wird es nun bald.

Kuckuck, Kuckuck lässt nicht sein Schrein:
Komm in die Felder,
Wiesen und Wälder!
Frühling, Frühling, stelle dich ein!

Kuckuck, Kuckuck, trefflicher Held!
Was du gesungen,
Ist dir gelungen:
Winter, Winter räumet das Feld.

Wettstreit (5:15)
Hoffmann von Fallersleben (1798– 1874)
Der Kuckuck und der Esel,
Die hatten großen Streit,
Wer wohl am besten sänge
Zur schönen Maienzeit.

Der Kuckuck sprach: »Das kann ich!«
Und hub gleich an zu schrein.
»Ich aber kann es besser!«
Fiel gleich der Esel ein.

Das klang so schön und lieblich,
So schön von fern und nah.
Sie sangen alle beide:
Kuku kuku ia!

Frühlings Ankunft (6:10)
Hoffmann von Fallersleben (1798– 1874)
Alle Vögel sind schon da,
Alle Vögel, alle!
Welch ein Singen, Musizieren,
Pfeifen, Zwitschern, Tirelieren!
Frühling will nun einmarschieren,
Kommt mit Sang und Schalle.

Wie sie alle lustig sind,
Flink und froh sich regen!
Amsel, Drossel, Fink und Star
Und die ganze Vogelschar
Wünschet uns ein frohes Jahr,
Lauter Heil und Segen.

Was sie uns verkünden nun,
Nehmen wir zu Herzen:
Wir auch wollen lustig sein,
Lustig wie die Vögelein,
Hier und dort, feldaus, feldein
Singen, springen, scherzen!

Abschied (7:10)
Hoffmann von Fallersleben (1798– 1874)
Morgen müssen wir verreisen,
Und es muss geschieden sein:
Traurig ziehn wir unsre Straße.
Lebe wohl, mein Schätzelein!

Lauter Augen, feucht von Tränen,
Lauter Herzen, voll von Gram:
Keiner kann es sich verhehlen,
Dass er schweren Abschied nahm.

Kommen wir zu jenem Berge,
Schauen wir zurück ins Tal,
Schaun uns um nach allen Seiten,
Sehn die Stadt zum letzten Mal.

Wenn der Winter ist vorüber,
Und der Frühling zieht ins Feld,
Will ich werden wie ein Vöglein,
Fliegen durch die ganze Welt.