Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

14 
 Juni 
 
2017


 

Labrys der Alkippe [1]Der Treue Spiegelbild

 
Musik
Robert Schumann [2]Kinderszenen Op. 15

Hippolytes Schlummersang [3]Hippolytes ist die Königin der Amazonen
… der sterbenden Alkippe

Hyppolytes
Noch wahrt [4]birgt / flammt das Antlitz geschmeidigen Sinn,
umsäumen der wallenden Locken samtenes Band,
der Wangen Linienschwung den feinen [5]zarten Schliff,
des schmucken Perlmutthalses schlanken Schaft.

Alkippe
Und mit der Lippe letzter Glut
präg’ nun der Stirne Klingenblatt
mit reiner Flamme Zartgravur.
→ zu Mnemosynes Geleit
Hephaistos’ Kunstschmiede

Fußnoten[+]

 
 
18 
 Mai 
 
2017


 

 

DICHTUNG Antoine de Saint-Exupéry
LESUNG Oskar Werner

 
Erbarme Dich meiner, o Herr, denn meine Einsamkeit lastet auf mir. Es gibt nichts, auf das ich wartete. Hier bin ich in dieser Kammer, in der nichts zu mir spricht. Und doch wünsche ich nicht die Gegenwart der Menschen herbei, denn ich weiß mich noch verlorener, wenn ich in der Menge untertauche. Aber sich jene andere, die mir gleicht und die sich in eben solch einer Kammer befindet und sich doch glücklich fühlt, wenn die Menschen, denen ihre Zärtlichkeit gehört, anderswo im Hause geschäftig sind. Sie hört sie nicht und sieht sie nicht. Sie empfängt nichts von ihnen im Augenblick. Aber um glücklich zu sein, genügt es ihr zu wissen, daß ihr Haus bewohnt ist.

Herr, auch ich erwarte nicht etwas, das ich sehen oder hören könnte. Deine Wunder sind nicht für die Sinne. Doch um mich zu heilen, genügt es, wenn Du meinen Geist erleuchtest, so daß ich mein Heim verstehe.

Wenn der Wanderer in seiner Wüste einem bewohnten Haus angehört, so freut er sich dessen, obwohl er weiß, dass es am anderen Ende der Welt liegt. Keine Entfernung hält ihn davon ab, sich von ihm nähren zu lassen, und wenn er stirbt, stirbt er in der Liebe … Ich erwarte also nicht einmal, Herr, dass mein Heim mir nahe sei.

Sieh den Spaziergänger, dem in der Menge ein Gesicht auffällt. Er verwandelt sich, selbst wenn das Gesicht nicht für ihn bestimmt ist. So geht es jenem Soldaten, der in die Königin verliebt ist: Er wird Soldat einer Königin. Ich erwarte also nicht einmal, Herr, dass jenes Heim mir verheißen sei.

Auf den weiten Meeren gibt es glühende Schicksale, die sich einer gar nicht vorhandenen Insel geweiht haben. Sie singen, während sie auf dem Schiff sind, die Hymne der Insel und fühlen sich glücklich dabei. Nicht die Insel ist es, die sie glücklich macht, sondern der Gesang. Ich erwarte also nicht einmal, Herr, dass jenes Heim überhaupt bestehe …

Die Einsamkeit, Herr, ist nur Frucht des Geistes, wenn er krank ist. Er bewohnt nur ein Vaterland, das der Sinn der Dinge ist. So ist es mit dem Tempel, wenn er Sinn der Steine ist. Nur für diesen Raum hat der Geist Flügel. Er freut sich nicht über die Dinge, sondern allein über das Gesicht, das man durch sie hindurch erkennt und das sie miteinander verknüpft.

Gib nur, dass ich zu erkennen lerne.

Dann, Herr, wird meine Einsamkeit überstanden sein…

[…]

 
 
20 
 Dezember 
 
2016

abgelegt in
Gibran, Khalil

 

Weisheit von Khalil Gibran aus: “Der Prophet”


DICHTUNG Khalil Gibran
LESUNG Jens Böttcher
BEREITSTELLUNG LYRIK & MUSIK



1
Wenn die Liebe dir winkt, so folge ihr, auch wenn ihre Wege hart und steil sind. Und wenn ihre Schwingen sich unter dich breiten, überlass dich ihnen, auch wenn das Schwert, das in ihrem Gefieder verborgen ist, dich verwunden kann. Und wenn sie zu dir redet, vertraue ihr, mag auch ihre Stimme deine Träume zerstören wie der Nordwind den Garten. Denn wie die Liebe dich krönt, so kreuzigt sie dich. Wie sie dich wachsen lässt, schneidet sie dich zurecht. Und wie sie zu deiner Höhe emporsteigt und dort die zartesten Zweige liebkost, die durch die Sonne zittern, steigt sie hinab zu deinen Wurzeln, um sie in ihrem Festhalten zu erschüttern. Wie Garben von Korn sammelt sie dich um sich. Sie drischt dich, um dich zu entblößen. Sie siebt dich, um dich von der Spreu zu trennen. Sie zermahlt dich bis zur Weiße. Sie knetet dich, bis du geschmeidig bist, und dann übergibt sie dich dem heiligen Feuer, damit du heiliges Brot wirst für das heilige Festmahl Gottes.

2
Aber wenn du in deiner Angst nur die Ruhe und das Vergnügen in der Liebe suchst, dann ist es besser für dich, deine Nacktheit zu bekleiden und den Dreschboden der Liebe zu verlassen, hinein in die immer gleiche Welt, wo du lachen wirst – aber nicht dein ganzes Lachen, und weinen – aber nicht all deinen Tränen. Liebe gibt nichts als sich selbst und nimmt von nichts als von sich selbst. Liebe besitzt nicht, noch lässt sie sich besitzen. Liebe allein genügt der Liebe.

3
Wenn du liebst, sage nicht: „Gott ist in meinem Herzen“, sondern: „Ich bin im Herzen Gottes“. Und glaube nicht, du könntest den Lauf der Liebe lenken, sondern die Liebe, wenn sie dich würdig findet, lenkt deinen Lauf. Liebe hat keinen anderen Wunsch, als sich selbst zu erfüllen. Wenn du liebst und noch wünschen musst, so seien deine Wünsche: zu schmelzen und einem plätschernden Bach gleich zu werden, der sein Lied der Nacht singt; die Pein allzu vieler Zärtlichkeiten zu kennen; wund zu sein von deinem eigenen Begreifen der Liebe und willig und freudig zu bluten; zur Zeit der Morgenröte zu erwachen mit überströmendem Herzen und zu danken für einen neuen Tag der Liebe; in der Mitte des Tages innezuhalten und den Verzückungen der Liebe nachzusinnen; in der Abenddämmerung dankbar heimzukehren und einzuschlafen mit einem Gebet für deinen Geliebten in deinem Herzen und einer Lobpreisung auf deinen Lippen.