Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

9 
 März 
 
2008


 

Bodybuilder, Arzt und Veganer …



 

Das folgende Interview mit Alexander Dargatz führte Ralf Bürglin.
Quelle: »Schrot & Korn« – das Naturkostmagazin, Ausgabe: März 2006
Mit freundlicher Genehmigung von Naturkost.

 
Wir „Bios“ schreiben eine artgerechte Tierhaltung vor und meinen deshalb das tierische Leben zu achten. Als Veganer findest du es skandalös, Tiere zu halten.

„Tierhaltung“ und „artgerecht“: Das widerspricht sich doch bereits. Ein Tier zu halten, ist nicht artgerecht.

Zoologen erstellen so genannte Ethogramme – Listen der natürlichen Verhaltensweisen einer Art. Wenn ein Nutztier entsprechende Verhaltensmuster zeigt, geht man davon aus, dass es artgerecht gehalten wird.

Die Bio-Haltung stellt auf jeden Fall einen Fortschritt dar – das sehe ich schon. Dagegen ist die Massentierhaltung eine Katastrophe. Trotzdem ist es für mich generell nicht vertretbar, Tiere zu halten. Ich sehe keine moralische Grundlage dafür, Tiere zu benutzen und damit zu diskriminieren. Was gibt uns das Recht? Nur weil sie schwächer oder weniger intelligent sind? Es gibt auch weniger intelligente Menschen. Die diskriminieren wir hoffentlich auch nicht.

Konkreter: Was ist dagegen einzuwenden, Bio-Legehennen zu halten?

Auch die Bio-Legehennenhaltung hat beispielsweise das Problem, dass Hähne keine Eier legen. Das heißt, männliche Küken müssen aussortiert werden. Man muss sich überlegen, wie viele Millionen Hühner wir produzieren. Entsprechend viele männliche Tiere werden geboren, die als Küken zu Tiermehl verarbeitet werden.

Du sagst, es gibt keinen Grund Fleisch zu essen? Nichtveganer kontern mit Genuss und Tradition.

Als Veganer genieße ich jede Mahlzeit. Und Traditon ist für mich überhaupt kein Argument. Auch Sklaven zu halten, hatte über Jahrtausende Tradition. Und Krieg wurde ebenfalls schon immer geführt. Tradition muss also nicht heißen, dass es gut ist.

Nichtveganer argumentieren, Tiere des Essens wegen zu töten, habe eine natur- oder gar gottgegebene Berechtigung.

Ich glaube an den freien Willen. Jeder hat das Recht zu tun, was er will. Aber man muss dann eben auch mit den Konsequenzen leben.

Und das Argument Evolution?

Mir ist es völlig Wurst (grinst), wie meine Vorfahren gelebt haben. Was zählt ist meine Umwelt heute. Und der Trend scheint doch dahin zu gehen, dass wir die Welt nicht mehr nachhaltig mit Fleisch ernähren können – bei all der Umweltverschmutzung, die die Massentierhaltung verursacht. Und dann greife ich der Evolution durch Einsicht doch besser vor.

Deine Prinzipien geben deinem Leben einen Sinn. Machen Sie nicht auch unfrei?

(sehr spontan) Nein, im Gegenteil, ich fühle mich total wohl. (überlegt) Unfrei? Beim Auswärtsessen. Was Veganes im Restaurant zu kriegen, ist schon ziemlich schwer. Aber inzwischen, weiß ich eben auch, wohin ich gehen kann.

Deine Freundin macht mit?

Ja, die ist auch Veganerin.

Du bist Arzt, praktizierst aber noch nicht. Wohl schon bald wirst du Medikamente verschreiben, die teilweise aus Tierprodukten hergestellt sind beziehungsweise im Tierversuch getestet wurden. Kommst du da in einen Gewissenskonflikt?

Das ist ein großer Konflikt und einer der Gründe, warum ich noch nicht praktiziere. Ich suche für mich noch das passende Arbeitsumfeld.

Noch ein Grund für einen Veganer zum Grübeln: Anhänger des Jainismus – weltweit sechs Millionen Gläubige – tragen oft ein Tuch vor dem Mund oder kehren den Pfad vor sich, um nicht aus Versehen Kleinstlebewesen zu töten.

Ich kann das nachvollziehen. Als ich vor sechs Jahren mit der veganen Ernäherung anfing, war ich auch sehr streng. Mittlerweile gestehe ich mir durchaus einen positiven Egoismus zu. Ich will ja überleben. Und ich räume anderen Lebewesen keine Macht über mich ein – egal ob das Ameisen in meiner Wohnung oder Leute sind, die mich ausbeuten wollen. Ich beute niemanden aus, aber ich lasse das auch nicht mit mir machen. Jeder muss für sich entscheiden, was im Alltag praktikabel ist.

Tatsache ist doch – egal ob ich Bio, Veganer oder Jain bin – ein 100 Prozent moralisches Leben kann es nicht geben.

Ja, man macht ja auch Fehler. Und als Fazit gilt: Wer existiert, zerstört.

Überfordern wir die Leute dann, wenn wir sie bewegen wollen, sich zu „Bio“ oder Veganismus zu bekennen?

Wir fordern sie auf jeden Fall. Wir haben ja einen unheimlichen Informationsüberfluss. So viel Nachrichten, Werbung …

So viel Schrot&Korn. Diesmal 108 Seiten.

(schmunzelt) Genau. Die meisten werden erst dann aufmerksam, wenn sie merken, das könnte für mich von Vorteil sein. Bei Bio-Lebensmitteln ist das der gesundheitliche Aspekt. Veganer haben es da schwerer. Die gesundheitlichen Aspekte sind zwar da, aber ich argumentiere vor allem mit den ethischen. – Ich vermute, je mehr Menschen spüren, dass es ums Ganze geht, je mehr werden ihre Lebensweise ändern wollen.

Zu deiner Ernährung: Welchem speziellen Programm folgst du?

Programm? Ich habe keines mehr. Ernährungswissenschaften haben mich immer sehr interessiert. Aber seit ich vegan bin, esse ich einfach, was ich finden kann. Ich schau halt, dass es ausgewogen ist.

Und du brauchst keine Zusatzstoffe? Milchkühe – die wir zu Hochleistungs-Organismen gezüchtet haben – kommen doch ohne Kraftfutter auch nicht aus. Und du bist doch sozusagen der Inbegriff eines Kraftpakets.

Ich nehme eine Multivitamintablette pro Tag. Aber nur weil ich Sport mache, nicht weil ich vegan bin. Da denke ich habe ich tatsächlich einen erhöhten Bedarf. Zweitens hat unsere Nahrung an Qualität verloren. Da ist einfach nicht mehr viel drin.

Und wie siehts beim Eisen aus? In den ersten Semestern deines Medizinstudiums hast du gelernt, dass Vegetarismus zu Eisenmangel führt.

(wendet sich zum Regal um) Ja, ja, steht da im Herold: Innere Medizin. Ein Problem dabei ist es, Gruppen zu bilden. Es gibt nicht „den Vegetarier“ oder „den Veganer“. Der eine ernährt sich ausgewogen biologisch, der andere immer nur von Kartoffel-Chips. So was bleibt in manchen Studien unberücksichtigt. Tatsache ist, Veganer haben nicht häufiger einen Eisenmangel als Fleischesser. Des Weiteren kritisiere ich die Normwerte und deren Interpretation. Vegetarier und Veganer mögen einen im Durchschnitt niedrigeren Eisenspiegel haben, aber das muss kein Nachteil sein, da der Normwert aus der fleischessenden Gesellschaft stammt. Ein niedriger Spiegel ist nicht das Gleiche wie ein Mangel und kann auch gesundheitliche Vorteile haben.

Gibt es für dich einen Zusammenhang zwischen Bodybuilding und Veganismus?

Veganismus bedeutet Liebe und Respekt gegenüber der Umwelt. Bodybuilding ist Liebe und Respekt mir selbst gegenüber.

 
 

2 Kommentare zu “Topfit ohne Fleisch”

  1. Holger sagt:

    “Die Größe und den moralischen Fortschritt einer Nation kann man daran messen, wie sie die Tiere behandelt.”
    Mahatma Gandhi

    Hallo Holger,

    ich denke, dieser Grundsatz lässt sich auch auf die Behandlung von schwächeren Menschen übertragen.

    1.) Wie geht die Gesellschaft mit Behinderten um?
    2.) Wie sehen die Bildungschancen für sozialschwächere Kinder aus?
    3.) Wie beahndelt die Gesellschaft ältere Menschen, die aus dem “Leistungsbereich” der Arbeitswelt ausgeschieden sind und nur noch einen Kostenfaktor darstellen?

    LG,
    Ralph

  2. Pythia sagt:

    Dieser Unfug, daß wir “Allesfresser” sind, ist anscheinend nicht auszurotten. Von Natur aus können wir nur das essen, was wir mit den Händen greifen und den Zähnen zermahlen können.
    Möge doch jeder “Allesfresser” versuchen sich eine Kuh zu fangen und reinzubeißen – das klappt noch nicht einmal bei einem Hasen! :-))))

    “Es hört doch jeder nur, was er versteht.” (Goethe)

    Fleischlose Grüße – Pythia! 😉

    “Es hört doch jeder nur, was er versteht.” (Goethe)
    Wohl wahr, jeder konstruiert sich seine Moral letzt selbst, um ein Höchstgrad der Befriedigung seiner leiblichen Bedürfnisse zu erreichen.
    Traurig, aber wahr…

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