22 April 2022 |
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Wuchtig rankt sich
wie ein dunkler Eichenstamm
mannigfach verästelt
so manches Problem empor,
in die hohen Himmel
zweifelnder Schau…
Schaud’re nicht,
mein Freund!
Ergreife kühnen Mutes
selbst die Axt.
Wohl kann
die erste Kerbe
weise ich Dir vorschlagen,
doch die Entscheidung…
…kannst letztlich
du nur fällen!
Gewiss…
22 April |
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DICHTUNG | Günter Eich | |
LESUNG | Günter Eich |
Ende August
Mit weißen Bäuchen hängen die toten Fische
zwischen Entengrütze und Schilf.
Die Krähen haben Flügel, dem Tod zu entrinnen.
Manchmal weiß ich, daß Gott
am meisten sich sorgt um das Dasein der Schnecke.
Er baut ihr ein Haus. Uns aber liebt er nicht.
Eine weiße Staubfahne zieht am Abend der Omnibus,
wenn er die Fußballmannschaft heimfährt.
Der Mond glänzt im Weidengestrüpp,
vereint mit dem Abendstern.
Wie nahe bist du, Unsterblichkeit, im Fledermausflügel,
im Scheinwerfer-Augenpaar,
das den Hügel herab sich naht.
22 April |
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DICHTUNG | Günter Eich | |
LESUNG | Günter Eich |
Botschaften des Regens
Nachrichten, die für mich bestimmt sind,
weitergetrommelt von Regen zu Regen,
von Schiefer- zu Ziegeldach,
eingeschleppt wie eine Krankheit,
Schmuggelgut, dem überbracht,
der es nicht haben will –
Jenseits der Wand schallt das Fensterblech,
rasselnde Buchstaben, die sich zusammenfügen,
und der Regen redet
in der Sprache, von welcher ich glaubte,
niemand kenne sie außer mir –
Bestürzt vernehme ich
die Botschaften der Verzweiflung,
die Botschaften der Armut
und die Botschaften des Vorwurfs.
Es kränkt mich, daß sie an mich gerichtet sind,
denn ich fühle mich ohne Schuld.
Ich spreche es laut aus,
daß ich den Regen nicht fürchte und seine Anklagen
und den nicht, der sie mir zuschickte,
daß ich zu guter Stunde
hinausgehen und ihm antworten will.