1 Mai 2022 |
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DICHTUNG | Günter Eich | |
LESUNG | Günter Eich |
Weg zum Bahnhof
Noch schweigt die Fabrik,
verödet im Mondschein.
Das Frösteln des Morgens
wollt ich gewohnt sein!
Rechts in der Jacke
die Kaffeeflasche,
die frierende Hand
in der Hosentasche,
so ging ich halb schlafend
zum Sechsuhrzug,
mich griffe kein Trauern,
ich wär‘ mir genug.
Nun aber rührt der warme Hauch
aus den Bäckerein
mein Herz an wie eine Zärtlichkeit
und ich kann nicht gelassen sein.
24 April 2022 |
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DICHTUNG | Günter Eich | |
LESUNG | Günter Eich |
Aurora
Aurora, Morgenröte,
du lebst, oh Göttin, noch!
Der Schall der Weidenflöte
tönt aus dem Haldenloch.
Wenn sich das Herz entzündet,
belebt sich Klang und Schein,
Ruhr oder Wupper mündet
in die Ägäis ein.
Uns braust ins Ohr die Welle
vom ewgen Mittelmeer.
Wir selber sind die Stelle
von aller Wiederkehr.
In Kürbis und in Rüben
wächst Rom und Attika.
Gruß dir, du Gruß von drüben,
wo einst die Welt geschah.
22 April 2022 |
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DICHTUNG | Günter Eich | |
LESUNG | Günter Eich |
Ende August
Mit weißen Bäuchen hängen die toten Fische
zwischen Entengrütze und Schilf.
Die Krähen haben Flügel, dem Tod zu entrinnen.
Manchmal weiß ich, daß Gott
am meisten sich sorgt um das Dasein der Schnecke.
Er baut ihr ein Haus. Uns aber liebt er nicht.
Eine weiße Staubfahne zieht am Abend der Omnibus,
wenn er die Fußballmannschaft heimfährt.
Der Mond glänzt im Weidengestrüpp,
vereint mit dem Abendstern.
Wie nahe bist du, Unsterblichkeit, im Fledermausflügel,
im Scheinwerfer-Augenpaar,
das den Hügel herab sich naht.