Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

1 
 Oktober 
 
1995


 

Oktober 1995

I. Handlung
Ein moderner Schlagzeuger nimmt seine erste Unterrichtsstunde bei einem alten Klaviermeister. Bei dieser Zusammenkunft prallen natürlich zwei Welten aufeinander.

II. Schauspieler

Schüler Einkleidung
   T-Shirt
   Sonnenbrille
   Kurze Flatterhose, z.B. Bermuda
   Schuhwerk ( hochgeschnürt ), z.B. Wanderschuhe
Haare eingegeelt und grüngefärbt
 
Klaviermeister Einkleidung
   Altmodische, enganliegende Kleidung
Klavier bzw. Synthesizer
Notenständer
Notenbuch ( mit inliegender Sprechrolle )
 

 
Der Schüler, schon auf seinen Platz auf der Bühne eingenommen, trommelt lautstark auf seinem Schlagzeug, durch dessen Lärm sogleich der Lehrer ins Geschehen stürzt.

Klaviermeister
So, so, ein Jugendsproß, der dem Zeitgeist frönt,
dem Muse und Taktgefühl gänzlich entwöhnt,
betäubet mir mein Zartgehör, bedrängt
die laue Magengrube und verrengt
mit Trommelwirbel und Paukenlärm
das sich verkrampfende Gedärm …

Lehrer legt seine Handfläche mit einem sichtlichen Ausdruck der Übelkeit auf die Bauchgegend

Schüler
Dies Stöckeschlagen ist der Puls der Zeit,
der rasend schlägt und hämmernd Euch befreit,
vom Packeis treibender Traditionen …

Klaviermeister
leicht in Rage
… und dafür pfleg’ ich keine Ambitionen !!!

– Pause – danach ernüchternd

Nehmt Euch doch selbst in Augenschein:
Die Haarestracht verkrustet zu Zementgestein
und grüngefärbt, ist sie gar schimmlich ???
Der schnöde Kleidertand,
dies kostümierte Flattergewand,
erscheint vom Preis mir unerschwinglich,
daß selbst der Schneider teuren Stoff einsparte,
sodaß im Arm- und Beinbereich,
bloßgelegt das nackte Fleisch,
sowohl das zärtlich glatte als auch das kräuselnde behaarte !

zeigt auf Arm und Beingegend

Welch Nutzen zollen diese dunklen Augengläser ???

auf die Sonnenbrille deutend

Seid ihr am grauen Star erkrankt ?
Plagt Euch ein körperlich’ Gebrechen,
denn weil der schwankend Gang sonst wankt,
der keineswegs vom Standvermögen ist beseelt
schnürt ihr das Schuhwerk, wie Efeupflanzen hochgerankt,
das Eure schlaffen Sehnenbänder stählt.

orthopäd. Schuhe ?

Ein Ausbunt modischer Vernarrtheit,
ein Schmückstück jeglichen Maskenballs
gibt Zeugnis herrschenden Wertezerfalls,
des unheilbaren Wahnsinns wohl geweiht !!!

Schüler
Es gibt viele Formen des menschlichen Wahnsinns,
und ich bin nur eine davon !!!

Klaviermeister nimmt am Klavier Platz und besänftigt sich

Klaviermeister
Der Worte sind genug geflossen,
so laßt uns unbefangen, unverdrossen,
zu tätigem Werke nunmehr schreiten,
Euren ungebändigten Geiste striegeln,
den wildentflammten zum Gleichmaß zügeln,
sogleich zu luft’gen Höhen gleiten,
wo güld’ne Klänge uns entgegensonnen,
himmlische Harfenspiele uns bewonnen,
und mit seliger Lauterkeit betört
des Herzens Einheit wiederkehrt,
die Ihr mit lautem Getöse entzweie schluget !!!

Ihr, Banausen-Hirn, schleicht Euch unbefuget
ins musikalische Konstrukto,
obwohl der Schaffensgeist entfloh.

Ihr schlürft aus seichten, stinkenden Tümpeln,
muß eines Besseren Euch belehr’n,
den geistigen Unrat zu entrümpeln,
das Herzensstübchen auszukehren.

Senkt seinen Blick

Lauscht meinem zarten Fingerspielen
und laßt den überhitzen Geist Euch kühlen
der sonst in blinder Raserei verglüht,
denn nur wer ohne Unterlaß bemüht,
des dumpfen Hammerschlags schmetternder Stöckchen,
bleibeschwert,
verkehrt
in einen Schwebeflug eiskristall’ner Flöckchen
vermag durch bedächtiges Trommelstreicheln,
dem lauschend Publikum zu schmeicheln.

Ihr schürt verwegen
des Herzens Ofen voller Überschwang,
daß jede süße Speise überkocht,

Klaviermeister fängt an zu spielen

Klaviermeister
Verspürt hingegen
der Seele leichten Wellengang,
der flehend an die Herzenspforte pocht,

Wie bunte, aufgestiegene Herbstwinddrachen
bricht helles, unbeschwertes Kinderlachen,
sich unaufhaltsam Bahn,
erkaltete Herzen sonnen sich warm,
es schmilzet jeglicher Herzensgram,
und alles Geschöpf verfällt dem süßen Wahn.

Schüler mißachtet die belehrenden Worte und trommelt nach eigenem Gutdünken wild darauf los …

Klaviermeister
Gemach, gemach,
als ob ein Bienenschwarm
Euch stach,
erlieget ihr der wilden Tobsucht,
mit voller, ungedämpfter Wucht,
dem Instrumente Klänge zu entlocken,
und anstatt in Augenleuchten zu frohlocken,
muß mir der rauhe Atem stocken.

Laßt doch Eurer Stöcke Donnerbeben,
voller Anmut niederschweben.

Schüler
[…]

 

 
vielleicht könnte ein weiterer Verlauf folgen durch den Text
Musikliebhaber

 
 
1 
 Januar 
 
1995


 

evtl. Orthographie- und Interpunktionsfehler wurden belassen

Thor’s musikalischer Hammerschwung
im Widerstreit mit Apollo’s goldenen Harfenklängen

Ein Loblied auf die Vielfalt des Lebens,
die Wahrung der Identität trotz intellektueller Schwankungen
im Erdental tümmelnden Menschengevolks

Es spielen

Thor
in moderner Befrackung wie T-Shirt, Bermuda-Hose, Sonnenbrille,
wanderträchtiges Schuhwerk (hochgeschnürte orthopädische Schuhe),
Haare eingegeelt und grüngefärbt
steht symbolisch für
(behinderte) Menschen mit motorischen (spastischen) Einbußen,
allerdings Höchstmaß an Individualität

Apollo
gegenwärtig in Gestalt eines liebsäuselnden Windstoßes
steht symbolisch für
das menschliche (utopische) Idealbild,
Nichtduldung “unterentwickelten” Daseins,
Klischeedenken vieler “Normal-Menschen” (Uniformität)

Einst ersann Thor, sich des Menschen Schlagzeug zu bemächtigen und trat bei Apollo in die Akademie der musischen Künste.

Thor, im Unterrichtssaal auf den Meister harrend und von tatendrängender Ungeduld getrieben, ließ sich wirkenden Sinnes hinter einem Schlagzeug nieder und versucht nun eigenmanierlich, dem Instrumente Töne zu entlocken.

Apollo kommt windesheulend bestürzt herbeigeeilt.

Apollo
Seht, seht ! Ein Jugendsproß, der dem Zeitgeist frönt,
dem musisches Taktgefühl gänzlich entwöhnt,
betäubet mir mein Zartgehör, bedrängt
die laue Magengrube und verrengt
mit Trommelwirbel und Paukenlärm
das sich verkrampfende Gedärm …

Thor
Dies Stöckeschlagen ist der Puls der Zeit,
der rasend schlägt und hämmernd Euch befreit
vom Packeis treibender Traditionen …

Apollo
leicht in Rage
… und dafür pfleg’ ich keine Ambitionen !!!

– Pause – danach ernüchtert Thor belächelnd

Nehmt Euch doch selbst in Augenschein :
Die Haarestracht, verkrustet zu Zementgestein,
und grüngefärbt, mich dünkt sie schimmlich!
Der schnöde Kleidertand,
dies kostümierte Flattergewand,
erscheint vom Preis mir unerschwinglich,
weil selbst der Schneider teuren Stoff einsparte,
sodaß im Arm- und Beinbereich,
bloßgelegt das nackte Fleisch,
sowohl das zärtlich glatte als auch das kräuselnde behaarte !

Welch Nutzen zollen diese dunklen Augengläser ???
Seid ihr am grauen Star erkrankt ?

Plagt Euch ein körperlich’ Gebrechen,
denn weil der schwanke Gang sonst wankt,
der keineswegs von Standvermögen ist beseelt
schnürt ihr das Schuhwerk, wie Efeupflanzen hochgerankt,
das Eure schlaffen Sehnenbänder stählt ?

Ein Ausbund modischer Vernarrtheit,
ein Schmückstück jeglichen Maskenballs
gibt Zeugnis unredlichen Modezerfalls,
des Menschen Wahnsinns wohl geweiht ?

Thor
Ihr schimpfet meine grelle Garderobe,
blanke Tändelei der Zeit,
doch seid gewiß, daß ich mit vollem Lobe
mich rühme dieser Kläglichkeit.

Apollo findet keine argumentative Erwiderung und läßt sich an der Harfe nieder

Apollo
Der Worte sind genug geflossen,
so laßt uns unbefangen, unverdrossen,
zu tätigem Werke nunmehr schreiten,
Euren ungebändigten Geiste striegeln,
den wildentflammten zum Gleichmaß zügeln,
sogleich in luft’ge Höhen aufzugleiten,
wo güld’ne Klänge uns entgegensonnen,
himmlische Harfenlaute uns bewonnen,
und von seliger Lauterkeit betört
des Herzen’s Einheit wiederkehrt,
die Ihr mit lautem Getöse entzweie schluget !!!
Ihr, Banausen-Hirn, schleicht Euch unbefuget
ins musikalische Konstrukto,
obwohl des Genius Mächten Euch entfloh.
Ihr schlürft aus seichten, stinkenden Tümpeln,
muß eines Besseren Euch belehr’n,
den geistigen Unrat zu entrümpeln,
das Herzensstübchen auszukehren.
Senkt seinen Blick
Lauscht meinem zarten Windesspielen
und laßt den überhitzen Geist Euch kühlen,
der sonst in blinder Raserei verglüht,
denn nur wer ohne Unterlaß bemüht,
den dumpfen Hammerschlag schmetternder Stöckchen,
bleibeschwert,
verkehrt
in einen sanften Schwebeflug eiskristall’ner Flöckchen,
vermag durch bedächtiges Trommelstreicheln,
dem sinnenden Publikum genüßlich zu schmeicheln.
Ihr schürt verwegen
des Herzen’s Ofen voller Überschwang,
daß jede süße Speise überkocht.

Apollo’s Götterodem streicht belebend durch die aeolische Harfe

Apollo
Verspürt hingegen
der Seele leichten Wellengang,
der flehend an die Herzenspforte pocht,
Wie bunte, aufgestiegene Herbstwinddrachen
bricht helles, unbeschwertes Kinderlachen,
sich unaufhaltsam Bahn,
erkaltete Herzen sonnen sich warm,
es schmilzet jeglich Herzensgram,
süß verfallend diesem heiligen Wahn.

Thor mißachtet die belehrenden Worte und trommelt nach eigenem Gutdünken wild darauf los …

Apollo
Gemach, gemach,
als ob ein Bienenschwarm
Euch stach,
erlieget ihr der wilden Tobsucht,
mit voller, ungedämpfter Wucht,
dem Instrumente Klänge zu entlocken –
Und anstatt in Augenleuchten zu frohlocken,
muß mir der rauhe Atem stocken.
Laßt doch Eurer Stöcke Donnerbeben,
voller Anmut niederschweben.

Thor
Wenn mich der Muse Freudenschauer küßt,
so biet’ ich auch die and’re Wange dar.
Doch wenn der Plagegeister Polterschar
mich bedränget, würgend brüst’t,
entfliehet der seligen Empfindung Überschwang.
Zerronnen ist der Seele hebender Lobgesang
und der Freude Jubelklang ermattet,
wenn Seelengrame schwängernd mich begattet.
Gewiß,
der mißratende Ton
klang holder schon.

Ihr seid lichtend rege in Euren Schädelwänden.
Ich leid’ gichtend träge an schroffen Künstlerhänden.

Eure geistige Liebkosung
kündigt sich durch Flüsterung,
meidend jegliche Ertosung.
Meine aufgescheuchten Bässe
der Musen heiterer Exzesse
unholdsamen Kusses
gebieret des Musicuses
eintretende Blässe.

Ihr zupft der Musen goldene Saite,
das Harfenspiel auf himmlischer Weide
und schimpfet meine schlichten Künste
des Banausen närrischen Ausgedünste.

Sprecher
Doch wessen Gesanges rührende Kunst,
erntet des Hörer’s applaudierende Gunst ???

Der Rauscher schrillen ultimativen Trommelgeblänges ?
Der Flauscher stillen rezitativen Operngesänges ?

Totenbleich vegetieren ?
Farbenfroh brillieren ?

Rebellisch aufwühlsam ?
Höllisch einfühlsam ?

Dumpfes Bässe-Scheppern ?
leckeres Tönekleckern ?

Promptgebärender Regenprall ?
Ewigwährender Wasserfall ?

Ölige Sommerpfütze ?
Morgentau-Geklitze ?

Verhöhntes krönen ?
Verschöntes verpönen ?
Wem nun Schulterklopfen löhnen ?

Sind schon die abstrusen Klänge
Kind vom Musengeschwänge ???

Mehr ein mitleidbegossenes Sorgenkind
kunstbefrackter Ohrenschmauser
schwärmend reckend
für den melodiösen Säuselwind.

Ein abgelackter Ohrenbrauser
wärmend streckend
indes findend sich ersinnt
in den lautgebarenden Künsten wildem Gehege
des Donnerwaltens rauhem Stege
hagelschmetternden Gelautens
des Leben’s Fährte goldenem Wege.
Verschmähet die tiefragenden Gründe
der sanften ‘Streicher’-Winde
still bewogten seligssprechenden Flautens.
Erfreut
sich jeglicher Dornensaat,
was reißend wunded,
wird ergötzlich befunded,
schwant seinem Herzen butterzart
und dünkt sich fest vertäut
im Hafen höchster Sinnesfreud’.

So bricht sich selbst des Leben’s Woge Bahn :

Dem rauhen Geist sonnt Klingelglöckchen schlicht profan,
ihm wonnet mehr pompöses Glockengeläut.
Dem zarten Kind indes der seligen Musengötter,
entfliehet den Klängen lauttösendem Gewetter.

Es rühmet sich des Schöpfer’s Werke
in bunter, mannigfaltiger Gestalt
erlanget wahre Glanzesstärke
erst durch der Fülle wechselnder Gewalt.

Und so wie Flora tausendblütig farbenlichtern
die Waldbewohner brüderlich versühnt,
wird erst im trauten Bunde aller Stände,
der Wohlgewandeten und Schlichter’n,
durch Segensgruß lorbeerumwund’ner Hände
der Menschen Freunschaftsband begrünt.