Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

22 
 April 
 
2022

abgelegt in
Eich, Günter

 

DICHTUNG Günter Eich
LESUNG Günter Eich


 

D-Zug München-Frankfurt

Die Donaubrücke von Ingolstadt,
Das Altmühltal, Schiefer bei Solnhofen,
in Treuchtlingen Anschlußzüge –

Dazwischen
Wälder, worin der Herbst verbrannt wird,
Landstraßen in den Schmerz,
Gewölk, das an Gespräche erinnert,
flüchtige Dörfer, von meinem Wunsch erbaut,
in der Nähe deiner Stimme zu altern.

Zwischen den Ziffern der Abfahrtszeiten
breiten sich die Besitztümer unserer Liebe aus.
Ungetrennt
bleiben darin die Orte der Welt,
nicht vermessen und unauffindbar.

Der Zug aber
treibt an Gunzenhausen und Ansbach
und an Mondlandschaften der Erinnerung
– der sommerlich gewesene Gesang
der Frösche von Ornbau –
vorbei.

 
 
22 
 April 
 

abgelegt in
Eich, Günter

 

DICHTUNG Günter Eich
LESUNG Günter Eich


 

Kurz vor dem Regen

Gleich wird es regnen, nimm die Wäsche herein!
Auf der Leine die Klammern schwanken.
Ein Wolkenschatten verdunkelt den Stein.
Die Dächer sind voller Gedanken.

Sie sind gedacht in Ziegel und Schiefer,
gekalkten Kaminen und beizendem Rauch.
Mein Auge horcht den bestürzenden Worten, –
o lautloser Spruch aus dem feurigen Strauch!

Ein Schluchzen beginnt in mir aufzusteigen.
Die wandernden Schatten ändern den Stein.
Ein Windstoß zerrt an den flatternden Hemden.
Gleich regnet es. Hol die Wäsche herein!

 
 
22 
 April 
 

abgelegt in
Gedankenschau
Schlagwörter

0

 

Meistermaler Helios

Zulang bemessen die Frist des alljährlich währenden Winters,
in jene Hades den Anspruch erhob, dass Demeters Tochter
teile mit ihm den Thron im Reiche der Schatten.

Nun nahte
wieder der Frühling und mit ihm der sehnliche Aufstieg zum Lichte!
Doch noch fehlt’ es an Blumen, das Haupt der Wiedergekehrten
kränzend zu schmücken. Also befahl des Olympos Regent, der
wohlweise Zeus, nun dem Sonnengott Helios: “Wie *ich* mit dem Bündel
gleisender Blitze vermag finst’re Nacht zu erhellen, genüge
du dich am Tage und sende aus goldenem Köcher ihm nun die
prunkenden Pfeile! Husch, husch, rasch an’s Werk, es warten bereits des
Erdenreichs Zöglinge, die Pflanzen, voll Ungeduld der lichteren Tage.”

Helios gedachte bei sich: “Nur die Berge und Täler mit Licht zu
fluten, genüget mir nicht. Im blendenden Strahle ergleisen
würde alles sodann wie doch Zeus des Nachts schon getan … nein,
tauschen will meine Pfeile ich gegen sorgsam gewählte
Pinsel, sie tauchen in Floras köstliche Gabe, Hyazinthos’
Farbenpalette: In Lotos’ schneeischem Weiß, in Narzissos’
Gelb, in das Rot des Adonis’, ….” und mischte nach Vorbild der Iris’
farbenschimmerndem Steg zu erlesenen Farben sie nun.

Hier nun die Farben, hier Staffelei, von Uranos selbst nun
als Firmament ihm entliehen, spannte genügsamen Blicks nun
auf die Leinwand der Gott den heiteren Himmel, bereits in
stählerner Bläue grundieret, vereinzelt mit Wölkchen versehen.
Und wo kein Silbergewölke verweilte erwecket mit farb’gem
Streich er Magnolien am knospen Gezweige und rahmte vollendend
nunmehr sein Tagwerk mit rankem Verlangen der Äste sein Bild.