10 März 2012 | |
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Rezitierte Gedichte
An meinen Vater (1:59)
Johann Christian Günther (1625 – 1723)
Sag wie lange soll ich noch, dich,
Mein Vater, selbst zu sprechen,
Mit vergeblichem Bemühen
Hoffnung, Glück und Kräfte schwächen?
Macht mein Schmerz dein Blut nicht rege,
O so rühre dich dies Blatt,
Das nunmehr die letzte Stärke
Kindlicher Empfindung hat.
Fünfmal hab ich schon versucht,
Nur dein Antlitz zu gewinnen,
Fünfmal hast du mich verschmäht,
O was sind denn dies für Sinnen!
Hab ich dich nicht überall
Treu gerühmt und froh gepriesen?
Hat sich ein verstockter Sinn
Gegen deine Zucht gewiesen?
Hab ich nicht mit Lust studieret,
Um dich Vater zu erfreun,
Und mit wohlgeratnen Früchten
Deines Kummers Trost zu sein?
Lass doch nun nicht durch die Neider
Dich in mir so arg verlachen,
Lass dir doch nicht deine Mühe
Durch ihr Maul zuschanden machen!
Trau doch deinem Fleisch und Blute,
Gönne mir Geduld und Ohr.
Wäre ich mit Recht verklaget,
Warum lässt du mich nicht vor?
Was ich dann und wann getan,
Ist die Hitze junger Jahre.
Denn wo wird wohl einer alt,
Der nicht Gleiches auch erfahre?
O warum bestraft man denn
Meine Menschlichkeit so scharf?
Welcher Richter ist so grausam,
Dass man gar nicht bitten darf?
Und was sind es denn nun auch
Für so grob und schwere Sünden,
Die so mühsam und so spät
Ablass und Errettung finden?
Sag, was sind Sie? Meistens Lügen,
Junge Torheit, viel Verdacht
Und mit einem Worte Mücken,
Die man zu Kamelen macht.
Scheint dir auch die Art und Weise
Meines Lebens wunderlich,
Ach, dem ist bald abgeholfen.
Und womit? Versöhne dich!
Strafe nehm ich willig an,
Nur bestrafe mich bescheiden
Ohne Aufsehn und gerecht.
Denn dies Volk kann ich nicht leiden,
Das uns fast auf all und jedes
Eine Sittenpredigt hält
Und alsdann am ärgsten denket,
Wenn es sich am frömmsten stellt.
Jene sind es, die da gleich
Donner, Blitz und Höll erwecken,
Die da ein verirrtes Schaf
Mit der gröbsten Keule schrecken,
Jene sind es, die sich selbst
Für gerecht und heilig halten,
Mit Verachtung auf uns sehn,
Die befleckten Hände falten.
Kommt es zu der Nächstenliebe,
Zum Vergessen, zum Verzeihn,
Ja, dann wird von solchen Christen
Niemand wohl zu Hause sein.
Strafe sollte uns doch nie
Nur als Zornlust oder Hass erscheinen
Und die Rute, die da schlägt,
Muss der Kinder Bestes meinen.
Wo hingegen Straf und Schärfe
Das Vergehen übersteigt,
Wird das edelste Gemüt
Mehr gebrochen als gebeugt.
Wilder Frevel ist es wert,
Dass ihn Draht und Geißel schwäche,
Und die Bosheit braucht Gewalt,
Dass man ihr den Starrkopf breche.
Aber Irrtum, Fall und Schwachheit,
Fällt ein Mensch auch noch so oft,
Fordert billig nichts als Liebe,
Die allzeit das Beste hofft.
Such ich mich auch noch so wohl
Unter Leuten aufzuführen,
Muss ich dennoch überall
Freund und Ansehen bald verlieren,
Wenn man hört, dass selbst der Vater,
Den ein guter Leumund schmückt,
Mich, sein Kind, nicht hören will.
Das ists, Vater, was mich drückt.
Dadurch fällt mein zeitlich Wohl
Und das Heil des ganzen Lebens.
Alles was ich denk und tu,
Wird durch deinen Zorn vergebens.
Sage mir, wer soll mir denn
Auf der Welt noch weiter traun?
Bin ich meiner Eltern Gräuel,
Muss auch Fremden vor mir graun.
Vater, blicke doch zurücke
Und erinnre dich der Zeit,
Da ich als ein Kind voll Hoffnung
Dein und vieler Aug erfreut.
Mein Gehorsam, wie du weißt,
Hat dir zwanzig Jahr gefallen;
Was ich dann und wann verbrach,
Das geschieht doch beinah allen.
Ach, ihr Väter, du im Himmel
Und auch du auf dieser Welt,
Seid mir gnädig, dass mein Leben
Noch ein wenig Kraft behält!
Jetzo bet ich Tag und Nacht
Bei so überhäufter Plage:
Nimm mich doch, mein Gott,
Nicht weg in der Hälfte meiner Tage!
Führe mich durchs Kreuz zur Weisheit,
Gib mir aber auch dabei,
Dass ich klug, getreu, geduldig
Und der Welt noch nützlich sei.
Vater, denkt denn deine Liebe
Gar an keine Wiederkehr?
Ach, ich bitte deinetwegen,
Mach uns nicht das Sterben schwer!
Lass den demutsvollen Kuss
Die Versöhnung wiederbringen;
Denn danach, ich weiß gewiss,
Wird mir alles wohl gelingen.
Ich verspreche dir die Freude,
Die der Eltern Kreuz versüßt,
Wenn das Wachstum guter Kinder
Ihres Nachruhms Spiegel ist.
Es war niemals meine Art,
Große Dinge zu begehren
Noch des lieben Gottes Ohr
Mit viel Wünschen zu beschweren.
Denn er weiß, was ich in meiner
Not, von dir, mein Vater, will:
Gibt er mir dein Herz bald wieder,
Schweig ich gern zu allem still.
10 März | |
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Rezitierte Gedichte
Brüder (0:22)
Johann Christian Günther (1695 – 1723)
Brüder lasst uns lustig sein,
Weil der Frühling währet,
Und der Jugend Sonnenschein
Unser Laub verkläret.
Grab und Bahre warten nicht.
Wer die Rosen jetzo bricht,
Dem ist der Kranz bescheret.
Das Haupt bekränzt, das Glas gefüllt,
So leb ich, weil es leben gilt.
An Rosen such ich mein Vergnügen,
An Rosen, die zu Herzen gehn,
An Rosen, die den Frost besiegen
Und hier das ganze Jahr durchblühn.
Auf Rosen mach ich gute Reime
Auf Rosen schläfet meine Brust.
Auf Rosen hab ich sanfte Träume
Von still und warm und weicher Lust.
Und wenn ich einst von hinnen fahre,
So wünsch ich Rosen auf die Bahre.
Als er ihretwegen einen schweren Traum hatte (1:40)
Johann Christian Günther (1695 – 1723)
Lass mich schlafen, Eleonore!
Willst du nicht zufrieden sein,
Dass ich mich am Tage quäle,
Und mein Herz viel tausend Pein
Deinetwegen muss ertragen?
Soll mich noch ein Schattenspiel
Mit verliebten Träumen plagen?
Engelskind, das ist zu viel!
Können selbst die ärmsten Sklaven,
Wenn das Schiff vor Anker liegt,
Bei der Nacht doch ruhig schlafen,
Ich allein schlaf unvergnügt;
Auch die Nacht kann mich nicht schützen,
Denn mein Herz erfährt dabei,
Dass es muss erbärmlich schwitzen:
Tag und Nacht ist einerlei.
Wenn der überhäufte Kummer
Meinen schwachen Gliederrest
Ganz zuletzt in einem Schlummer
Auf das Bette sinken lässt,
Darf ich zwar zum Himmel steigen,
Welcher deinen Schoß umschleußt,
Weil dein gütiges Bezeigen,
Mir im Traum die Leiter weist.
Und bei meinem süßen Schlafen,
Wenn sich Mast und Segel regt,
Läuft mein Schiff in deinen Hafen,
Den die Venus angelegt.
Ich beschiff bei Sturm und Blitzen
Diese neugefundne Welt,
Wenn die Wellen um mich spritzen,
Und der Schaum ins Bette fällt,
Land ich, eh ich michs versehe,
Bei den Zucker-Inseln an,
So dass ich sie in der Nähe
Halb entzückt besteigen kann.
Wenn ich mich in Träumen paare,
Find ich keinen Widerstand,
Den ich oft bei Tag erfahre.
Denn im Schlaf darf meine Hand
Nach den Purpurmuscheln greifen,
Die dein Ufer ausgesät.
Ja, ich darf noch weiter streifen,
Weil mir alles offen steht.
Aber, ach! wenn ich erwachet,
Sinket mir mein steifer Mut.
Ob ich gleich im Schlaf gelachet,
Und es mir noch sanfte tut.
Denn die Glieder sind zerschlagen,
Und der ausgebrochne Schweiß
Stehet, dass ichs kaum mag sagen,
Auf dem Leibe tropfenweis.
Drum so stelle, liebste Seele,
Künftig hin dein Martern ein.
Da ich mich am Tage quäle,
Lass die Nächte meine sein.
Sich am bloßen Schatten laben,
Ist ein Eis, das bald zerbricht.
Was ich nicht kann wachend haben,
Mag ich auch im Traume nicht.
An Leonoren (5:30)
Johann Christian Günther (1695 – 1723)
Mein Kummer weint allein um dich,
Mit mir ist’s so verloren,
Die Umständ überweisen mich,
Ich sey zur Noth gebohren.
Ach, spare Seufzer, Wuntsch und Flehn,
Du wirst mich wohl nicht wiedersehn
Als etwan in den Auen,
Die Glaub und Hofnung schauen.
Vor diesem, da mir Fleiß und Kunst
Auf künftig Glücke blühte
Und mancher sich um Günthers Gunst
Schon zum Voraus bemühte,
Da dacht ich, wider Feind und Neid
Die Palmen der Beständigkeit
Mit selbst erworbnem Seegen
Dir noch in Schoos zu legen.
Der gute Vorsaz geht in Wind;
Ich soll im Staube liegen
Und als das ärmste Findelkind
Mich unter Leuten schmiegen.
Man läst mich nicht, man stöst mich gar
Noch stündlich tiefer in Gefahr
Und sucht mein schönstes Leben
Der Marter preiszugeben.
So wird auch wohl mein Alter seyn
Ich bin des Klagens müde
Und mag nichts mehr gen Himmel Schreyn
Als: Herr, nun las im Friede!
Kraft, Muth und Jugend sind fast hin,
Daher ich nicht mehr fähig bin,
Durch auserlesne Sachen
Mir Gut und Ruhm zu machen.
Nimm also, liebstes Kind, dein Herz,
O schweres Wort, zurücke
Und kehre dich an keinen Schmerz,
Womit ich’s wiederschicke;
Es ist zu edel und zu treu,
Als daß es mein Gefehrte sey
Und wegen fremder Plage
Sein eignes Heil verschlage.
Du kanst dir durch dies theure Pfand
Was Köstlichers erwerben,
Mir mehrt es nur den Jammerstand
Und läst mich schwerer sterben;
Denn weil du mich so zärtlich liebst
Und alles vor mein Wohlseyn giebst,
So fühl ich halbe Leiche
Auch zweyfach scharfe Streiche.
Ich schwur vor diesem: Nur der Tod,
Sonst soll uns wohl nichts trennen;
Verzeih es jezo meiner Noth,
Die kan ich dir nicht gönnen;
Ich liebe dich zu rein und scharf,
Als daß ich noch begehren darf,
Daß Lorchen auf der Erde
Durch mich zur Wittwen werde.
So brich nur Bild und Ring entzwey
Und las die Briefe lodern;
Ich gebe dich dem ersten frey
Und habe nichts zu fodern.
Es küße dich ein andrer Mann,
Der zwar nicht treuer küßen kan,
Jedoch mit größerm Glücke
Dein würdig Brautkleid schmücke.
Vergiß mich stets und schlag mein Bild
Von nun an aus dem Sinne;
Mein leztes Wüntschen ist erfüllt,
Wofern ich dies gewinne,
Daß mit der Zeit noch jemand spricht:
Wenn Philimen die Ketten bricht,
So sind’s nicht Falschheitstriebe,
Er hast sie nur aus Liebe.
Ich sterbe dir, und soll ein fremder Sand
Den oft durch dich ergötzten Leib bedecken,
So gönne mir das letzte Liebespfand
Und laß ein Kreuz mit dieser Grabschrift stecken:
Wo ist ein Mensch, der treulich lieben kann?
Hier liegt der Mann.
Grabinschrift (7:24)
Johann Christian Günther (1695 – 1723)
Hier starb ein Schlesier, weil Glück und Zeit nicht wollte,
Dass seine Dichtkunst ganz zur Reife kommen sollte.
Mein Pilger, lies geschwind und wandre deine Bahn,
Sonst steckt dich noch mein Staub mit Lieb und Unglück an.