Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

16 
 November 
 
1999

abgelegt in
Balladen | Reimgedichte | Vertonungen

 

Der Nachtwächterstaat
 
Ein Trauerspiel in einem Streifzug

Bröselnder Sozialstaat
im Banne der wachsenden Verschuldung

Es spielen
Der VATER als der (Bundes-)Adler
Das KIND, symbolisch für das Bürgervolk
Der PLEITEGEIER, die Mißwirtschaft schlechthin



 
Wer gleitet so spät
durch Nacht und Wind?
Es ist der ADLER auf Fittichen beschwingt,
taucht er in die sanfte Abendglut,
dreht
kreisend über frischentschlüpfter Brut
seine wachenden Streifeszüge,
nichts entschwindet seinem durchforstenden Blick
durchkämmet Nachtgefild’ mit detektivischem Geschick
gleich des Bauern rackerndem Gepflüge.

»Mein Sohn, was birgst du so bang dein Gesicht?«
»Siehst, VATER, du den PLEITEGEIER nicht?
Den schnabelwetzenden PLEITEGEIER?«

»Mein Sohn, es hüllt sich nur ein nächtlich’ Schleier,
um des Mondes scheues Antlitz,
ein Flausch von weißen Wolkenschwaden,
gesponnen aus des Nebeldunstes feinstem Faden.

Welch’ schlichter Witz:
Ein PLEITEGEIER soll’s gar sein?
Gewiß, dies Schauerbild erweckt den Anschein
im kindlichen Gemüte,
daß ein Geier am Sternenhimmel wüte.

Doch sei getrost, mit unseren Finanzen
ist alles im Lote
dank den Mannheimern Allianzen!«
»Du liebes Kind, komm, reich’ meiner samt’gen Pfote
deine zarten Adlerskrallen !
Gar schönen Lerchengesang soll ins Ohr dir schmachtend hallen,
im Sinnesgarten, darfst schnuppern an der Gartenzier.
Deines Standes gebührender Fürstenmanier
schlemmernd speisen,
dich sätt’gend erlaben
an den prallen Segensgaben.
Der wundernd Blick soll schwelgend Dir entgleisen
von des Garten güldener Gewandung.«
Schürfe forschend in der Seel’ mit Gedankenfahndung
ob je ein Liebesbann Dich mehr betörte,
der dein innigheißes Sehnen barmend erhörte !
Nimmer ???
Drum schlürfe lüstern von dieser irdischen Glückseligkeit !

»Mein VATER, mein VATER, und hörest du nicht,
was PLEITEGEIER mir leise verspricht?«
»Sei ruhig, bleib’ ruhig, mein Kind !!!
‘s sind
flüsternde Wunschgedanken,
Gespinste ins Spatzenhirne dir geschmettert,
die zum Ohr empor sich ranken.
Mehr ist’s das rauschende Weben dürrer Blätter,
die geisterhaft säuseln im Windeswetter.«

»Willst, feiner Knabe, du mit mir gehn?
Meine Töchter sollen dich warten schön
und mit eines Königsadler’s Glanze dich beschmücken;
Meine Töchter als Kreditverleiher wollen Dich beglücken
mit räumigen Prunknestern auf klippigen Höh’n,
leichtem Beuteflug fern dem arbeitshektischen Gestöhn.
Drum schwing die Flatter, erhasch’ die nächste Windesböe,
bei ihnen gibt’s bis zum 31.12. zu günstigen Konditionen
fette Sonderkredite in Höhe
von Millionen.«

»Mein VATER, mein VATER, und siehst du nicht dort
PLEITEGEIER’s Töchter am düstern Ort?
Mit kommerziellem Lächeln und seriösen Krawatten
wollen sie schon einen Besuch mir abstatten,
zum kostenlosen Finanzierungsberatungsgespräch«

»Mein Sohn, mein Sohn, ich seh es genau,
muß ich dir erst die Leviten lesen,
du „verdresch”
den Traum
den Schaum
vom schillernden Anwesen
mit den alten Weiden, die scheinen so grau !
Im pompösen Luftschloßbau
mit Statikgutachten bist meisterliche du geübt,
unser Nachbar, grauer Star, hat die Linse dir wohl getrübt«

»Ich liebe dich, mich reizt deine schöne Gestalt,
und bist du nicht zahlungswillig, so nehm’ ich den Anwalt !!!«

»Mein VATER, mein VATER, er setzte zum Sturzfluge an!
PLEITEGEIER hat mir ein Leids getan!«

Dem VATER grauset’s, er flieget geschwind,
erspäht von Fern das verschuldete Kind,
erreicht das Nest, doch sapperlott,
in seinen Armen das Kind ist bankrott .

 
 
11 
 August 
 
1999

abgelegt in
Gedankenschau
 
 
30 
 Juni 
 
1999

abgelegt in
Reimgedichte | Vertonungen

 

Die prangendsten Blumengärten
meiner Jugend bewanderte Fährten
nenn’ ich jene, die mir hochbetaget
im greisen Geiste duftend noch verharren.

Eingesackt in des Totenbettes bleichem Kissen,
im Schoße ruhend, die knöchernen Hände, tief eingerissen,
das faltendurchzogene Antlitz trübsalszernaget
und den laugen Blick unter arthrotischem Knarren
morscher Halswirbel gen Himmel aufrichtend,
der grünenden Jugend entlegener Küste sichtend,
seufzend auf ein Letztes ich gedenke:

Ihr ward
meiner Jugend Pfad
säumende Rosenbeete
Eure tröstende Freundschaftsrede
die munt’ren Quellen irdischer Wonnen…

…und krafterschlaffend mich dann senke
ins weiche Federfüllen, paradiesisch besonnen.

Denn ein Freund
schäumt
überfließend beherzte Worte,
Silbenwölkchen wie Gold-Stäubchen.

Säumt
und bäumt
auf kahler Festtagstorte
kräuselsprießend Sahnehäubchen.

Redeblüten
auf Briefpapier im Übermaße ausgestreut
mit zartem Wortschmelz rieselnd übertäut
erfrischen müden
Kämpfergeist mit Pollenduft der geistigen Heimatlüfte.

Erfasst
die krallend’ Hand
beim Sturze in des Schicksal’s Felsgeklüfte,
verblasst
mit tränenwallendem Augenrand,
wenn selbst das Herz im Trauerstrudel bangt,
zerreisst sogleich das ascherne Sorgengewand,
wenn grämender Mienenzug zu neuem Glanz erlangt.

Tadelung im Flüsterton
anstatt der Leute Megaphon,

Ruhebänkchen auf steilem Hang,
Laternenschein auf Heimatgang,

Zisterne für die salz’gen Augenbäche,
Seelentröster mit kühlendem Gefäche,
stillt so die beutelnden Beschwerden.

Die wahrheitsgeläuterten Gebärden
sind der reinen Seele Spiegelbild,
enthüllt
was aus des Herzen’s tiefstem Brunnen quillt.

In Kokusmilch tauchend gebadet
erstehet fächernd des Freundes’ Seele blühender Lotus,
daß selbst von kunstbemühter Venus
eine Schöngeburt aufs Holdeste begnadet
dem schönen Edelsinne weichen muß.

Denn des schönwüchsigen Menschen alternder Statur,
verwehet gleich des Schlitten’s eingegrabener Spur
im rauhen Schneesturm des wütenden Lebens,
doch des fühlenden Herzens tröstenden Strebens
darf seiner keimenden Aussaat sich erfreu’n
braucht nicht des Todes’ Schatten scheu’n.

Obgleich Fleisch vergeht
wie Gräserhalme abgemäht
des Freundes Geist beschwingt
und dringt
auf ewig
in des Himmels blauen Äther.