Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

10 
 Juni 
 
2018


 

MUSIK Johann Sebastian Bach
BEREITSTELLUNG Jos Leys


 

Tizian - Allegorie der Zeit
Tizian – Allegorie der Zeit

Wie gut, daß auch diese Erkenntnis nun zu ihm kam: daß es keine Zeit gab!

Das einzige, was zwischen Alter und Jugend, zwischen Babylon und Berlin, zwischen Gut und Böse, Geben und Nehmen stand, das einzige, was die Welt mit Unterschieden, Wertungen, Leid, Streit, Krieg erfüllt, war der Menschengeist, der junge ungestüme und grausame Menschengeist im Zustand der tobenden Jugend, noch fern vom Wissen, noch weit von Gott.

Er erfand Gegensätze, er erfand Namen. Dinge nannte er schön, Dinge häßlich, diese gut, diese schlecht. Ein Stück Leben wurde Liebe genannt, ein anderes Mord. So war dieser Geist, jung, töricht, komisch.

Eine seiner Erfindungen war die Zeit. Eine feine Erfindung, ein raffiniertes Instrument, sich noch inniger zu quälen und die Welt vielfach und schwierig zu machen! Von allem, was der Mensch begehrte, war er immer nur durch Zeit getrennt, nur durch diese Zeit, diese tolle Erfindung! Sie war eine der Stützen, eine der Krücken, die man vor allem fahren lassen mußte, wenn man frei werden wollte.

Aus: “Klein und Wagner” (Hermann Hesse)

 
 
12 
 Februar 
 
2018


 

Anfangs begreift Peter Taler nur, dass im Haus gegenüber, in dem der achtzigjährige Knupp wohnt, sonderbare Dinge vor sich gehen. Er beginnt zu beobachten und mit der Kamera festzuhalten – und merkt erst spät, dass er seinerseits beobachtet wird und längst in die Geschehnisse auf der anderen Seite der Straße verstrickt ist. Der alte Knupp, der vor zwanzig Jahren seine Frau verloren hat, ist davon überzeugt, dass man nicht wie Orpheus ins Totenreich hinabsteigen muss, um einen geliebten Menschen wiederzufinden. Denn er hat eine Theorie und kann sich dabei sogar auf berühmte Leute berufen. Allerdings ist deren Umsetzung nicht einfach. Um nicht zu sagen – schier unmöglich. Taler soll ihm dabei helfen.

Quelle: Diogenes-Verlag

Bewunderswert ist an diesem Roman wiederum die Textarchitektur, die innere Mechanik, die Zahnräder der Handlung, die mählich ineinander greifen und geheimnisvolle Türen verdichteter Ahnung öffnen.

Es gab keinen Zweifel. Knupp war nicht normal.

Knupp ist mit seinen monotonen, auf stete Wiederholung bedachte Alltagsgeschäfte durchaus eine konstante Zierpflanze im Variablengestrüpp ständiger Veränderung. Peter Taler strebt ja auch selbst nach ruhenden Bildern und deren Abgleich.

* * *

Suter malt nicht mit dem Pinsel das Bühnenbild, sondern drückt diesen der Fantasie des Lesers in die Hand, mit minimalistischen Anweisungen knapper Sätze selbst die innere Ausgestaltung vorzunehmen.