Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

24 
 November 
 
2019

abgelegt in
Poe, Edgar Allan

 

DICHTUNG Edgar Allan Poe
ÜBERSETZUNG Hedwig Lachmann
LESUNG Dietmar Bär
ARRANGEMENT Simon Bertling & Christian Hagitte
für Edgar Allan Poe-Project


 

Anmerkung: “The Bells” von Edgar Allan Poe ist eines seiner bekanntesten Gedichte, natürlich nach Meisterwerken wie “The Raven”. “The Bells” wird am häufigsten als Allegorie für die Jahreszeiten des Lebens interpretiert, von den schönen silbernen Jugendglocken bis zu den schrecklichen eisernen Kirchenglocken, die Alter und Tod fordern. Die Unheimlichkeit des Themas des Gedichts wird offensichtlich, wenn der Leser feststellt, dass dieses Gedicht 1848 zur Veröffentlichung durch Poe eingereicht und kurz nach seinem Tod 1849 veröffentlicht wurde. Das Gedicht behandelt Themen wie Todesangst und das Unvermeidliche Verlauf des Lebenszyklus von der Jugend bis zum Tod.

Quelle: Lyrik & Musik

Hört die Schlittenglocken, die hellen,
Die fröhlichen, silbernen Schellen!
Wie sie klingen und klingen und klingen
Zu der Rosse feurigen Sprüngen.
Wie es ringsherum blinkt und blitzt,
Wie die Sterne glitzern und flinkern,
Daneben blinzeln und zwinkern
Halb verschmitzt –
Und im Mondlicht tanzen die Feyn
Einen seltsamen Runenreihn,
Bei den demantbestreuten Erlen
Zu den tönenden Silberperlen.
Und es klingt, klingt, klingt,
Und es dringt, dringt, dringt
Weithin, weit, weit, weit, weit,
Das klingende, das singende Geläut.
Hört die Hochzeitsglocken, die weichen,
Die goldenen, sangesreichen!
Wie sie wogen und wallen,
Wie sie schallen und hallen
In schmelzenden, schönen,
Verwehenden Tönen
Durch die schimmernde Nacht,
Während hoch im Blauen
Der Mond mit schlauen
Schalksaugen lacht.
Oh, welch brausende Wogen schwellen
Aus den tönenden, dröhnenden Zellen!
Hört, wie sie schwellen,
Wie sie entquellen
Den erzenen Kehlen,
Sich wonnig vermählen,
Anmutig erzählen
Von der Liebe, die bleibt,
Von der Lust, die sie treibt,
Sich zu schwingen, zu klingen
Weithin, weit, weit, weit, weit –
Mit tönendem, mit sehnendem Geläut!

Die Sturmglocken hört, aus Erz, aus Erz!
Wie zittert dabei das Menschenherz.
Von eisernen Fäusten gepackt,
Sausen sie aufwärts, scheuen
Wie wilde Rosse und schreien,
Und schreien und schreien und schreien
Einen gellenden Chor
Der Nacht ins Ohr
Ohne Takt.

Ihr eigenes, gespenstisches Grausen
Heulen sie aus und brausen
Im Klageruf an das Feuer,
Das wahnsinnige Ungeheuer.
Und wälzen sich höher und höher,
Dem Monde näher und näher.
Vom hölzernen morschen Gerüste
Treibt sie ein tolles Gelüste.
Sie klirren zusammen und schwirren
Ins Blaue und irren und irren,
Und tollen und tollen und tollen,
Und rollen und rollen und rollen
auf den zuckenden Busen der Nacht
Ein bleiches, starres Entsetzen
Und wecken die Schläfer und hetzen
Sie aus der nächtlichen Ruh.
Die stürzen blindlings hinzu,
Mit stockendem Atem zu lauschen
Dem flutenden, ebbenden Rauschen
Der grausen Gefahr,
Aus dem ebbenden, flutenden Läuten
Den Grimm des Feuers zu deuten,
Mit fliegenden Pulsen zu hören,
Aus der Glocken Schallen und Gellen,
Aus dem rasselnden, klirrenden Schellen
Das furchtbare Wallen und Gäre
Der Feuersgefahr –
Und es jammert die zitternde Schar
In der Not, die so fürchterlich dräut,
Weithin, weit, weit, weit, weit –
Mit gellendem, zerschellendem Geläut!
Hört den eisernen Glockenklang!
Wie bang, wie bang, ein Trauergesang!
Oh, wie wir angstvoll schaudern und beben,
Wenn sie des Nachts die Stimmen erheben,
Wie wir den Himmel suchen mit scheuen,
Erschrockenen Blicken, wenn sie so dräuen!
Oh, wie erschauert unsere Seele,
Wenn sie so hoffnungslos gramvoll tönen,
Wenn jeder Laut ihrer rostigen Kehle
Ein Stöhnen!
Und im Turm allein
Jene knöcherne Sippe,
Jene fahlen Gerippe,
Allein, allein,
Es sind nicht Männer, nicht Weiber,
Nicht Tier- und nicht Menschenleiber,
Es ist Gebein!
Es sind nachtwandelnde Geister,
Und ihr König, das ist der Meister,
Und er zieht, und er zieht, und er zieht
Aus den Glocken ein schauerlich Lied,
Und er rollt mit teuflischer Lust
Auf die zuckende Menschenbrust
Einen Stein.
Und er zieht den ächzenden Strang
Zu einem Triumphgesang,
Und er jauchzt und jubelt wild,
Und sein fröhlicher Busen schwillt,
Und er tanzt zu den Melodeien
Einen fröhlichen Runenreihn
Und schwingt den ächzenden Strang
Zu einem Triumphgesang,
Und er schwingt, und er schwingt, und er schwingt
Auf und ab, auf und ab, auf und ab,
Und er winkt, und er winkt, und er winkt
In das Grab, in das Grab, in das Grab.
Und er tanzt und jubelt und streut
Weithin, weit, weit, weit, weit –
Das klagende, verzagende Geläut.

 
 
18 
 Juni 
 
2017


 

Pompejanisches Fresko

 
Musik
Frédéric Chopin [1]Nocturne Op. 9, No. 1
Tünchend verhüllet der edlen Kunst
schwungvoller Pinsel
ergötzend mit lieblichem prangendem Reize
des Lebens erschauerndes Bild.
 
Doch blättert in Bälde
vom Lichte der Wahrheit bedränget
der farbliche Schleier
und rühret am fühlenden Herzen.
 
Vom Seufzton erschüttert
entblättert von Neuem
das Schreckbild dämonischer Fratzen,
die lechzend nach Weheklang lüstern.
→ zu Mnemosynes Geleit
Eherne Welt

Fußnoten[+]