2 Juni 2019 |
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DICHTUNG | Theodor Fontane | |
LESUNG | Rolf Nagel | |
BEREITSTELLUNG | wortlover |
Laß ab von diesem Zweifeln, Klauben,
vor dem das Beste selbst zerfällt,
und wahre dir den vollen Glauben
an dieser Welt trotz dieser Welt.
Schau hin auf eines Weibes Züge,
das lächelnd auf den Säugling blickt,
und fühl’s: es ist nicht alles Lüge,
was uns das Leben bringt und schickt.
Und, Herze, willst du ganz genesen,
sei selber wahr, sei selber rein!
Was wir in Welt und Menschen lesen,
ist nur der eigene Widerschein.
Beutst du dem Geiste seine Nahrung,
so laß nicht darben sein Gemüt,
des Lebens höchste Offenbarung
doch immer aus dem Herzen blüht.
Ein Gruß aus frischer Knabenkehle,
ja mehr noch eines Kindes Lall’n
kann leuchtender in deine Seele
wie Weisheit aller Weisen fall’n.
Erst unter Kuß und Spiel und Scherzen
erkennst du ganz, was Leben heißt;
o lerne denken mit dem Herzen,
und lerne fühlen mit dem Geist.
8 Januar 2019 |
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DICHTUNG | Johann Wolfgang von Goethe | |
LESUNG | Will Quadflieg | |
BEREITSTELLUNG | wortlover |
Des Maurers Wandeln,
Es gleicht dem Leben,
Und sein Bestreben,
Es gleicht dem Handeln
Der Menschen auf Erden.
Die Zukunft decket
Schmerzen und Glücke
Schrittweis dem Blicke;
Doch ungeschrecket
Dringen wir vorwärts
Und schwer und ferne
Hängt eine Hülle,
Mit Ehrfurcht, stille
Ruhn oben die Sterne
Und unten die Gräber.
Betracht‘ sie genauer
Und siehe, so melden
Im Busen der Helden
Sich wandelnde Schauer
Und ernste Gefühle.
Doch rufen von drüben
Die Stimmen der Geister,
Die Stimmen der Meister:
Versäumt nicht zu üben,
Die Kräfte des Guten!
Hier winden sich Kronen
In ewiger Stille,
Die sollen mit Fülle
Die Tätigen lohnen!
Wir heißen euch hoffen.
6 Januar 2019 |
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DICHTUNG | Khalil Gibran | |
LESUNG | Sebastian Koch | |
MUSIK-REALISATION | Andreas Lucas | |
BEREITSTELLUNG | LYRIK & MUSIK |
„Ihr möchtet die Zeit messen,
die doch ohne Maß ist und unermeßlich.
Ihr möchtet euer Handeln und selbst
den Lauf eures Geistes nach Stunden
und Jahreszeiten ordnen.
Aus der Zeit möchtet ihr einen Fluß machen,
von dessen Ufer aus ihr, in Muße,
dessen Strömen betrachten könnt.
Doch das Zeitlose in euch ist sich der Zeitlosigkeit des Lebens bewußt.
Und wer weiß, dass das Gestern nichts
als die Erinnerung des Heute und das
Morgen das, was das Heute erträumt.
Und was in euch singt und gewahrt,
wohnt nach wie vor in den Grenzen jenes
ersten Moments, der die Sterne im
Weltraum verstreute.
Wer von euch spürt etwa nicht, daß
seine Fähigkeit zu lieben unbegrenzt ist?
Und dennoch, wer empfindet nicht, daß
eben diese Liebe, wenn auch unbegrenzt,
doch restlos im Zentrum seines Wesens
enthalten ist und sich nicht von Liebes-
gedanken zu Liebesgedanken
bewegt – noch von Liebeshandlung zu Liebeshandlung?
Und ist etwa Zeit nicht ganz so wie die
Liebe – ungeteilt und raumlos?
Aber – wenn ihr schon die Zeit in
Gedanken nach Jahreszeiten bemessen
müßt, dann möge jede einzelne Jahres-
zeit alle übrigen Jahreszeiten umfasssen.
Und – das Heute umarme das Vergangene
mit Erinnern und das Künftige mit
Sehnsucht!“