Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

12 
 Mai 
 
2012


 

DICHTUNG Rainer Maria Rilke
LESUNG Vera
BEREITSTELLUNG RilkeForum


 

Wunderliches Wort: die Zeit vertreiben!
Sie zu ‘halten’, wäre das Problem.
Denn, wen ängstigts nicht: wo ist ein Bleiben,
wo ein endlich ‘Sein’ in alledem? –

Sieh, der Tag verlangsamt sich, entgegen
jenem Raum, der ihn nach Abend nimmt:
Aufstehn wurde Stehn, und Stehn wird Legen,
und das willig Liegende verschwimmt –

Berge ruhn, von Sternen überprächtigt; –
aber auch in ihnen flimmert Zeit.
Ach, in meinem wilden Herzen nächtigt
obdachlos die Unvergänglichkeit.

 
 
12 
 Mai 
 

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Aus dem “Buch der Bilder”

Und wieder rauscht mein tiefes Leben lauter,
als ob es jetzt in breitern Ufern ginge.
Immer verwandter werden mir die Dinge
und alle Bilder immer angeschauter.
Dem Namenlosen fühl ich mich vertrauter:
Mit meinen Sinnen, wie mit Vögeln, reiche
ich in die windigen Himmel aus der Eiche,
und in den abgebrochnen Tag der Teiche
sinkt, wie auf Fische stehend, mein Gefühl.

 

Dichtung Rainer Maria Rilke
Lesung Vera
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12 
 Mai 
 


 

Aus dem “Buch der Bilder”

Es ist noch Tag auf der Terrasse.
Da fühle ich ein neues Freuen:
wenn ich jetzt in den Abend fasse,
ich könnte Gold in jede Gasse
aus meiner Stille niederstreuen.

Ich bin jetzt von der Welt so weit.
Mit ihrem späten Glanz verbräme
ich meine ernste Einsamkeit.

Mir ist, als ob mir irgendwer
jetzt leise meinen Namen nähme
so zärtlich, daß ich mich nicht schäme
und weiß: ich brauche keinen mehr.

 

Dichtung Rainer Maria Rilke
Lesung Vera
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