Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

12 
 Oktober 
 
2012


 

DICHTUNG Paul Celan
LESUNG Berthold Damshäuser
BEREITSTELLUNG Anglila


 

Wieder wellt sich dein Haar, wenn ich wein. Mit dem
Blau deiner Augen
deckst du den Tisch unsrer Liebe: ein Bett zwischen
Sommer und Herbst.
Wir trinken, was einer gebraut, der nicht ich war,
noch du, noch ein dritter:
wir schlürfen ein Leeres und Letztes.

Wir sehen uns zu in den Spiegeln der Tiefsee und
reichen uns rascher die Speisen:
die Nacht ist die Nacht, sie beginnt mit dem Morgen,
sie legt mich zu dir.

 
 
7 
 Oktober 
 
2012


 

DICHTUNG Erich Fried
LESUNG Erich Fried
BEREITSTELLUNG wortlover


 

Triptychon (Frankfurt-Neckargemünd-Dilsberg)

1
Deutlich die Bilder
der Erinnerung
und der Sehnsucht

Deine wartende Hand
der Ausdruck deiner Augen
und die Haarlocke
die dein linkes Auge verschattet

Oder Bäume
die Bäume zu beiden Seiten
unserer Mainbrücke
als stünden sie mitten im Wasser
(aber stehen auf einer Insel
auf festem Grund)

2
Und ich mitten
in dieser Ferne von dir
denke in die Ferne
denke an die Nähe
denke an deinen Atem
an mein Leben mitten im Wasser
(auf meiner Insel
die nicht meine
und nicht im Main ist)

Zu viele Linien waren in meiner Hand
zu viele Menschen waren auf dieser Messe
zuviel Gesoll und Gehaben
zuviel Zeit ohne dich

3
Im Neckar gespiegelt
Herbstsonne ohne dich
Glänzende Flecken
wandern von Stunde zu Stunde
flußauf und beleuchten
die Hinterburg
rechts am Hang

Langsam erkaltendes Licht
auf dem Balkon ohne dich
Und im Zimmer die Bücher
in der Küche die Teemaschine
ohne dich
und das rötliche Buntsandsteinpflaster
auf dem ich noch einmal hinauf
zur „Sonne” und wieder
hinuntergehe
in das Haus ohne dich

Nun Nachdenken
nun Ausruhen
ohne dich

Kummer lernen
Er wird nicht der Einzige sein
Herbst lernen
Frösteln lernen
Ins Tal schauen
ohne dich.

 
 
7 
 Oktober 
 


 

DICHTUNG Erich Kästner
LESUNG Otto Schenk
BEREITSTELLUNG wortlover


 

Ob sie nun gehen, sitzen oder liegen,
sie sind zu zweit.
Man sprach sich aus. Man hat sich ausgeschwiegen.
Es ist soweit.

Das Haar wird dünner, und die Haut gelber,
von Jahr zu Jahr.
Man kennt den andern besser als sich selber.
Der Fall liegt klar.

Man spricht durch Schweigen. Und man schweigt mit Worten.
Der Mund läuft leer.
Die Schweigsamkeit besteht aus neunzehn Sorten
(wenn nicht aus mehr).

Vom Anblick ihrer Seelen und Krawatten
wurden sie bös.
Sie sind wie Grammophone mit drei Platten.
Das macht nervös.

Wie oft sah man einander beim Betrügen
voll ins Gesicht!
Man kann zur Not das eigne Herz belügen,
das andre nicht.

Sie lebten feig und wurden unansehnlich.
Jetzt sind sie echt.
Sie sind einander zum Erschrecken ähnlich.
Und das mit Recht.

Sie wurden stumpf wie Tiere hinterm Gitter.
Sie flohen nie.
Und manchmal steht vorm Käfig ein Dritter.
Der ärgert sie.

Nachts liegen sie gefangen in den Betten
und stöhnen sacht,
während ihr Traum aus Bett und Kissen Ketten
und Särge macht.

Sie mögen gehen, sitzen oder liegen,
sie sind zu zweit.
Man sprach sich aus. man hat sich ausgeschwiegen.
Nun ist es Zeit …