Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

13 
 Oktober 
 
2019

Schlagwörter

0

 

Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

 

Berliner Republikaner (0:23)
Theodor Fontane (1819 – 1898)
Berliner Jungen scharten sich
Vor einiger Zeit allabendlich
Nicht weit vom Kupfergraben
Und schrien gottserbärmelich:

»Wir brauchen keenen Kenig nich,
Wir wollen keenen haben.«
Da plötzlich packt ein Fußgendarm
Nicht eben allzu zart am Arm

Den allergrößten Jungen
Und spricht: »He, Bursch, juckt dir das Fell?
Du Tausendsappermentsrebell,
Was hast du da gesungen?«
Doch der Berliner comme-il-faut

Erwidert: »Hab Er sich nich so,
Un lass Er sich bejraben!
Wozu denn jleich so ängstiglich?
Wir brauchen keenen Kenig nich,
Weil wir schon eenen haben.«
Preußisches Volkslied (3:26)
Theodor Fontane (1819 – 1898)
Ja, man ist uns vieles schuldig,
Ja, wir könnten freier sein,
Doch geduldig, nur geduldig,
Auch die Freiheit stellt sich ein.

Und bis dahin tapfer essen
Dürfen wir und schlürfen Wein,
Ei, da kann man schon vergessen,
Dass wir sollten freier sein.

Ja, man hat uns viel versprochen,
Hat uns stark den Hof gemacht,
Hat die Schwüre dann gebrochen
Und uns weidlich ausgelacht.

Doch, ihr Brüder, tapfer essen
Dürfen wir und schlürfen Wein,
Drum gegessen und vergessen,
Dass wir sollten freier sein.
Archibald Douglas (4:29)
Theodor Fontane (1819 – 1898)
»Ich hab es getragen sieben Jahr,
Und ich kann es nicht tragen mehr.
Wo immer die Welt am schönsten war,
Da war sie öd und leer.

So will ich treten vor Jakobs Gesicht
In dieser Knechtsgestalt.
Er kann meine Bitte versagen nicht,
Ich bin ja worden alt.

Und trüg er noch den alten Groll,
Frisch wie am ersten Tag,
So komme, was da kommen soll,
So komme, was da mag.«

Graf Douglas sprichts. Am Weg ein Stein
Lud ihn zu harter Ruh.
Er sah in Wald und Feld hinein.
Die Augen fielen ihm zu.

Er trug einen Harnisch, rostig und schwer,
Darüber ein Pilgerkleid. –
Da, horch, vom Waldrand her scholl es
Wie von Hörnern und Jagdgeleit.

Und Kies und Staub aufwirbelte dicht.
Herjagte Meut und Mann,
Und ehe der Graf sich aufgericht’t,
Waren Ross und Reiter heran.

König Jakob saß auf hohem Ross.
Graf Douglas grüßte tief.
Dem König das Blut in die Wangen schoss,
Der Douglas aber rief:

»König Jakob, schaue mich gnädig an
Und höre mich in Geduld.
Was meine Brüder dir angetan,
Es war nicht meine Schuld.

Denk nicht an den alten Douglas-Neid,
Der trotzig dich bekriegt.
Denk lieber an deine Kinderzeit,
Wo ich dich auf den Knieen gewiegt.

Denk lieber zurück ans Stirling-Schloss,
Wo ich Spielzeug dir geschnitzt.
Dich gehoben auf deines Vaters Ross
Und Pfeile dir zugespitzt.

Denk lieber zurück an Linlithgow,
An den See und den Vogelherd,
Wo ich dich fischen und jagen froh
Und schwimmen und springen gelehrt.

O denk an alles, was einstens war,
Und sänftige deinen Sinn.
Ich hab es gebüßet sieben Jahr,
Dass ich ein Douglas bin.«

»Ich seh dich nicht, Graf Archibald,
Ich hör deine Stimme nicht,
Mir ist, als ob ein Rauschen im Wald
Von alten Zeiten spricht.

Mir klingt das Rauschen süß und traut,
Ich lausch ihm immer noch,
Dazwischen aber klingt es laut:
Er ist ein Douglas doch.

Ich seh dich nicht, ich höre dich nicht,
Das ist alles, was ich kann,
Ein Douglas vor meinem Angesicht
Wär ein verlorener Mann.«

König Jakob gab seinem Ross den Sporn,
Bergan ging jetzt sein Ritt.
Graf Douglas fasste den Zügel vorn
Und hielt mit dem König Schritt.

Der Weg war steil, und die Sonne stach,
Und sein Panzerhemd war schwer.
Doch ob er schier zusammenbrach,
Er lief doch nebenher.

»König Jakob, ich war dein Seneschall.
Und wenn ichs auch weiter nicht bin,
So will ich doch pflegen dein Ross im Stall,
Den Hafer ihm schütten hin.

Ich will ihm selber machen die Streu,
Und es tränken mit eigner Hand.
Nur lass mich atmen wieder aufs neu
Die Luft im Vaterland.

Und lässt du mich nicht, so hab doch den Mut,
Und ich will es danken dir,
Zieh dein Schwert und treffe mich gut
Und lasse mich sterben hier.

« König Jakob sprang herab vom Pferd,
Hell leuchtete sein Gesicht.
Aus der Scheide zog er sein breites Schwert.
Doch auf Douglas richtet ers nicht!

»Nimm’s hin, das Schwert und trags aufs neu,
Und bewache mir meine Ruh.
Denn der ist in tiefster Seele treu,
Der die Heimat liebt wie du.

Zu Ross! Wir reiten nach Linlithgow!
Und du reitest an meiner Seit!
Da wollen wir fischen und jagen froh
Als wie in alter Zeit.«
 
 
27 
 April 
 
2019


 

Die hoffnungsfrohe Mondgöttin

 
MUSIK
Claude Debussy [1]Clair de lune


Das ist die Sehnsucht: wohnen im Gewoge
und keine Heimat haben in der Zeit.
Und das sind Wünsche: leise Dialoge
täglicher Stunden mit der Ewigkeit.

Rainer Maria Rilke [2]aus: “Das ist die Sehnsucht”

 
Silberklang

 
Was birgt
der Genien Geisterreich?

Was wirkt
der Parzen [3]Gemeint ist insbesondere die Schicksalsgöttin Klotho,
die den Lebensfaden spinnt.
Fingerstreich [4]Schicksalsstreich
am sausend Webgestühl
der Schicksalsgöttin Tyche?
Was bürgt
des Zwirnes wirrer Lebensfaden?

Was hält
Apollons [5]Gott der Dichtkunst und des Gesanges Saitenspiel,
die heit’ren und oft klagen Lieder, [6]die munt’ren und auf traur’gen Lieder
mir nun auf dumpfer Leier [7]auf missgestimmter Leier
wohl bereit?

* * *

In all dem brausend Weltgewühl,
wo finde tröstend ich mich ein?

An deiner treuen Seit’,
Gefährtin Einsamkeit,
nun wieder?

* * *

Es rauscht
im stillern Hain [8][…], trostentlaubt
auf dunklen Herzenspfaden
der zagen Zweifel Nachtesschwinge. [9]der Zweifel zagen Nachtesschwinge

Es lauscht
vergeblich Hoffen,
für und für,
dem wehen Ruf aus trauter Ferne,
der hoffnungsfroh [10]windeseil an mich erginge… [11]die lebensmatte Brust durchpfeilt

* * *

Und über mir
Selenes mondnes Haupt,
wo stumm der silbern Sichelmund
im wolken Feierkleide weilt. [12]im wolken Feierkleid verweilt

Nur ihrer Augensterne Liedchoral,
tönt lächelnd mild
mir schimmertrunken [13]tönetrunken nieder,
und träuft [14]träumt in meines Anlitz’ Nachtesweiher
aufs dämmerschweigende Gefild.

Vom gleisen Niedergange
lichter Quelle himmlisch Lauten,
schäumt meiner flauten Wange
die flüsternd Welle
und träumt im leisen Wogenklange, [15]Wogengange
enthoben [16]erlöset / zerstoben nun der nied’ren Qual nun von nied’rer Qual.

→ zu Mnemosynes Geleit
Pygmalions Werkstatt

Fußnoten[+]

 
 
27 
 Dezember 
 
2018

Schlagwörter

0

 

Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

 

Zwei Segel (0:39)
Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898)
Zwei Segel erhellend
Die tiefblaue Bucht!
Zwei Segel sich schwellend
Zu ruhiger Flucht!

Wie eins in den Winden
Sich wölbt und bewegt,
Wird auch das Empfinden
Des andern erregt.

Begehrt eins zu hasten,
Das andre geht schnell,
Verlangt eins zu rasten,
Ruht auch sein Gesell.
Einer Toten 1:48)
Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898)
Wie fühl ich heute deine Macht,
Als ob sich deine Wimper schatte
Vor mir auf diesem ampelhellen Blatte
Um Mitternacht!
Dein Auge sieht
Begierig mein entstehend Lied.

Dein Wesen neigt sich meinem zu,
Du bists! Doch deine Lippen schweigen,
Und liesest du ein Wort, das zart und eigen,
Bists wieder du!
Du Herzensblut,
Indes dein Staub im Grabe ruht.

Mir ist, wenn mich dein Atem streift,
Der ich erstarkt an Kampf und Wunden,
Als seist in deinen stillen Grabesstunden
Auch du gereift
An Liebeskraft,
An Willen und an Leidenschaft.

Die Marmorurne setzten dir
Die Deinen – um dich zu vergessen,
Sie erbten, bauten, freiten unterdessen,
Du lebst in mir!
Wozu beweint?
Du lebst und fühlst mit mir vereint!
Nachtgeräusche 3:34)
Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898)
Melde mir die Nachtgeräusche, Muse,
Die ans Ohr des Schlummerlosen fluten!
Erst das traute Wachtgebell der Hunde,
Dann der abgezählte Schlag der Stunde,
Dann ein Fischer-Zwiegespräch am Ufer,
Dann? Nichts weiter als der ungewisse
Geisterlaut der ungebrochnen Stille,
Wie das Atmen eines jungen Busens,
Wie das Murmeln eines tiefen Brunnens,
Wie das Schlagen eines dumpfen Ruders,
Dann der ungehörte Tritt des Schlummers.
Im Spätboot 5:36)
Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898)
Aus der Schiffsbank mach ich meinen Pfühl.
Endlich wird die heiße Stirne kühl!
O wie süß erkaltet mir das Herz!
O wie weich verstummen Lust und Schmerz!
Über mir des Rohres schwarzer Rauch
Wiegt und biegt sich in des Windes Hauch.
Hüben hier und wieder drüben dort
Hält das Boot an manchem kleinen Port:
Bei der Schiffslaterne kargem Schein
Steigt ein Schatten aus und niemand ein.
Nur der Steurer noch, der wacht und steht!
Nur der Wind, der mir im Haare weht!
Schmerz und Lust erleiden sanften Tod.
Einen Schlummrer trägt das dunkle Boot.
Auf dem Canal Grande 2:54)
Conrad Ferdinand Meyer (1825 – 1898)
Auf dem Canal Grande betten
Tief sich ein die Abendschatten.
Hundert dunkle Gondeln gleiten
Als ein flüsterndes Geheimnis.

Aber zwischen zwei Palästen
Glüht herein die Abendsonne.
Flammend wirft sie einen grellen
Breiten Streifen auf die Gondeln.

In dem purpurroten Lichte
Laute Stimmen, hell Gelächter,
Überredende Gebärden
Und das frevle Spiel der Augen.

Eine kurze, kleine Strecke
Treibt das Leben leidenschaftlich
Und erlischt im Schatten drüben
Als ein unverständlich Murmeln.