Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

18 
 Mai 
 
2019


 

DICHTUNG Rainer Maria Rilke
LESUNG Will Quadflieg



Sein Blick ist vom Vorübergehn der Stäbe
so müd geworden, dass er nichts mehr hält.
Ihm ist, als ob es tausend Stäbe gäbe
und hinter tausend Stäben keine Welt.

Der weiche Gang geschmeidig starker Schritte,
der sich im allerkleinsten Kreise dreht,
ist wie ein Tanz von Kraft um eine Mitte,
in der betäubt ein großer Wille steht.

Nur manchmal schiebt der Vorhang der Pupille
sich lautlos auf -. Dann geht ein Bild hinein,
geht durch der Glieder angespannte Stille –
und hört im Herzen auf zu sein.

 
 
10 
 Juli 
 
2018


 

DICHTUNG Ferdinand von Saar
LESUNG Arnold Frank
BEREITSTELLUNG LYRIK & MUSIK


 

Willst du die Leiden dieser Erde,
Der Menschheit Jammer ganz versteh´n,
Musst du mit scheuer Gramgebärde,
Ein Kind im Stillen weinen seh´n;

Ein Kind, das eben fortgewichen
Aus frühlicher Gespielen Kreis
Und nun, vom ersten Schmerz beschlichen,
In Thränen ausbricht, stumm und heiß.

Du weißt nicht, was das kleine Wesen
So rauh und plötzlich angefasst –
Doch ist´s in seinem Blick zu lesen,
Wie es schon fühlt des Daseins Last.

Wie es sich bang und immer bänger
Zurück schon in sein Inn´res zieht,
Weil es Bedränger auf Bedränger
Mit leisem Schaudern kommen sieht.

Willst du die Leiden dieser Erde,
Der Menschheit Jammer ganz versteh´n:
Musst du mit scheuer Gramgebärde
Ein Kind im Stillen weinen seh´n.

 
 
7 
 Juni 
 
2018


 

DICHTUNG Hermann Hesse
LESUNG Ulrich Gebauer
KLAVIER Ralf Schink
BEREITSTELLUNG LYRIK & MUSIK


 

Was ich bis heut an Versen schrieb
Und was ich sonst landein, landaus
An losen Dichterkünsten trieb,
Der ganze leicht gepflückte Strauß —

Mir ist er nichts! Mir welkt er in der Hand,
Ich werf ihn weg und geh auf neuen Wegen
Hinüber in ein neues, andres Land,
Dem ungewissen Reiseziel entgegen.

Und war der Strauß auch einmal frisch und bunt,
Nach andern Straßen drängen meine Sohlen,
Der ganze Tand war doch im Grund — gestohlen.
Hinweg damit! Ich bin ein Vagabund.

Stirnrunzelnd untersucht ein Rezensent
Die welke Ernte und beginnt zu schelten . . .
Ich bin schon weit, auf meinem Hute brennt
Schon eine andre Sonne. Ferne Welten

Verlocken mich; das alte Leierspiel
Mag liegen, wo mir’s aus der Tasche fiel.
Die Jahre gehn so schnell! Wie lang wird’s sein,
So steh auch ich im stillen Kreis der Müden

Und schaue hinter mich in die verblühten
Jahre als in ein fremdes Reich hinein!
Das läßt mir keine Rast; eh mich mit kühlen
Händen der Schnitter greift, will ich und muß

Der Erd‘ und Sonne Kräfte in mir fühlen,
Und was sie hegt an Schmerz und an Genuß
Mit starken Armen sehnlich an mich reißen
Und Tod und Leben meine Brüder heißen.

Ob dann ein neues Liederspiel beginnt,
Was liegt daran? Ein Sucher bin ich nur,
Der durch die Welt in Sonne, Staub und Wind
Begierig tastet nach der Schöpfung Spur.

Wo irgendeine unerschöpfte Kraft,
Ein Sprossen, Strömen, eine Leidenschaft
Sich regt und schafft und probende Flügel spannt,
Da ist mir wohl, da ist mein Heimatland.

 
 
29 
 Juli 
 
2017


 


Die Zauberflöte
Bei Männern, welche Liebe fühlen…

PAMINA
Bei Männern, welche Liebe fühlen,
Fehlt auch ein gutes Herze nicht.

PAPAGENO
Die süssen Triebe mitzufühlen,
Ist dann der Weiber erste Pflicht.

PAMINA, PAPAGENO
Wir wollen uns der Liebe freun,
Wir leben durch die Lieb‘ allein.

PAMINA
Die Lieb‘ versüsset jede Plage,
Ihr opfert jede Kreatur.

PAPAGENO
Sie würzet unsre Lebenstage,
Sie wirkt im Kreise der Natur.

PAMINA, PAPAGENO
Ihr hoher Zweck zeigt deutlich an,
Nichts Edlers sei, als Weib und Mann.
Mann und Weib, und Weib und Mann,
Reichen an die Gottheit an.

Die „Pflicht des Mitfühlens“ sollte über beiden Geschlechtern ausgesprochen werden, damit das Duett „Beziehung“ sich im harmonischen Zweiklang erfindet…

 
 
18 
 August 
 
2016

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1

 

DICHTUNG Georg Trakl
LESUNG Claudia Steiner
BEREITSTELLUNG Claudia Steiner


 

Vor seinem Löwengarten,
Das Kampfspiel zu erwarten,
Saß König Franz,
Und um ihn die Großen der Krone,
Und rings auf hohem Balkone
Die Damen in schönem Kranz.

Und wie er winkt mit dem Finger,
Auf tut sich der weite Zwinger,
Und hinein mit bedächtigem Schritt
Ein Löwe tritt,
Und sieht sich stumm
Rings um,
Mit langem Gähnen,
Und schüttelt die Mähnen,
Und streckt die Glieder,
Und legt sich nieder.

Und der König winkt wieder,
Da öffnet sich behänd
Ein zweites Tor,
Daraus rennt
Mit wildem Sprunge
Ein Tiger hervor,
Wie der den Löwen erschaut,
Brüllt er laut,
Schlägt mit dem Schweif
Einen furchtbaren Reif,
Und recket die Zunge,
Und im Kreise scheu
Umgeht er den Leu
Grimmig schnurrend;
Drauf streckt er sich murrend
Zur Seite nieder.

Und der König winkt wieder,
Da speit das doppelt geöffnete Haus
Zwei Leoparden auf einmal aus,
Die stürzen mit mutiger Kampfbegier
Auf das Tigertier,
Das packt sie mit seinen grimmigen Tatzen,
Und der Leu mit Gebrüll
Richtet sich auf, da wird’s still,
Und herum im Kreis,
Von Mordsucht heiß,
Lagern die gräulichen Katzen.

Da fällt von des Altans Rand
Ein Handschuh von schöner Hand
Zwischen den Tiger und den Leun
Mitten hinein.

Und zu Ritter Delorges spottenderweis
Wendet sich Fräulein Kunigund:
»Herr Ritter, ist Eure Lieb so heiß,
Wie Ihr mir’s schwört zu jeder Stund,
Ei, so hebt mir den Handschuh auf.«

Und der Ritter in schnellem Lauf
Steigt hinab in den furchtbarn Zwinger
Mit festem Schritte,
Und aus der Ungeheuer Mitte
Nimmt er den Handschuh mit keckem Finger.

Und mit Erstaunen und mit Grauen
Sehen’s die Ritter und Edelfrauen,
Und gelassen bringt er den Handschuh zurück.
Da schallt ihm sein Lob aus jedem Munde,
Aber mit zärtlichem Liebesblick –
Er verheißt ihm sein nahes Glück –
Empfängt ihn Fräulein Kunigunde.
Und er wirft ihr den Handschuh ins Gesicht:
»Den Dank, Dame, begehr ich nicht«,
Und verlässt sie zur selben Stunde.

 
 
29 
 Mai 
 
2016

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

 

Trotz alledem! (0:00)
Ferdinand Freiligrath (1810 – 1876)
Das war ne heiße Märzenzeit,
Trotz Regen, Schnee und alledem!
Nun aber, da es Blüten schneit,
Nun ist es kalt, trotz alledem!
Trotz alledem und alledem –
Trotz Wien, Berlin und alledem –
Ein schnöder, scharfer Winterwind
Durchfröstelt uns trotz alledem!

Das ist der Wind der Reaktion
Mit Mehltau, Reif und alledem!
Das ist die Bourgeoisie vorm Thron –
Der wieder steht, trotz alledem!
Trotz alledem und alledem,
Trotz Blutschuld, Trug und alledem –
Er steht noch und er hudelt uns
Wie früher fast, trotz alledem!

Denn ob der Reichstag sich blamiert
Wie immer schon und alledem!
Und ob der Teufel uns regiert
Mit Huf und Horn und alledem –
Trotz alledem und alledem,
Trotz Dummheit, List und alledem,
Wir wissen doch: die Menschlichkeit
Behält den Sieg trotz alledem!

Das Alte nur vertretet ihr!
Seid Kasten nur, trotz alledem!
Wir sind das Volk! Die Menschheit wir,
Sind ewig drum, trotz alledem!
Trotz alledem und alledem:
So kommt denn her, trotz alledem!
Ihr hemmt uns, doch ihr zwingt uns nicht!
Unser die Welt, trotz alledem!

Prinz Eugen (4:14)
Ferdinand Freiligrath (1810 – 1876)
Zelte, Posten, Werda-Rufer!
Lustge Nacht am Donauufer!
Pferde stehn im Kreis umher,
Angebunden an den Pflöcken.
An den engen Sattelböcken
Hängen Karabiner schwer.

Um das Feuer auf der Erde,
Vor den Hufen seiner Pferde
Liegt das österreichische Pikett.
Auf dem Mantel liegt ein jeder.
Von den Tschakos weht die Feder.
Leutnant würfelt und Kornett.

Neben seinem müden Schecken
Ruht auf einer wollnen Decken
Der Trompeter ganz allein:
»Lasst die Würfel, lasst die Karten!
Kaiserliche Feldstandarten
Wird ein Reiterlied erfreun!

Vor acht Tagen die Affäre
Habe ich, zu Nutz dem Heere,
In gehörgen Reim gebracht.
Selber auch gesetzt die Noten.
Drum, ihr Weißen und ihr Roten!
Merket auf und gebet acht!«
Und er singt die neue Weise
Einmal, zweimal, dreimal leise
Allen Reitersleuten vor.
Und wie er zuletzt geendet
Bricht als wie zum Feind gesendet
Los der volle kräftge Chor:
»Prinz Eugen, der edle Ritter!«
Hei, das klang wie Ungewitter
Weit ins Türkenlager hin.
Der Trompeter tät den Schnurrbart streichen
Und sich auf die Seite schleichen
Zu der Marketenderin.