Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

10 
 August 
 
2015

abgelegt in
Gedankenschau

 

Ist es der momentan vorüberziehende Donnergroll oder der klärende Regenprall, der die ersehnte Abkühlung auch meines Gemüts gestattet und mich Erdenwurm mahnt zur Einsicht, zur kühlen Einsicht der Dinge?

So einfallsreich und wechselvoll oft das Schicksal in seinen wirren Handlungssträngen ist, so mechanisch und klar strukturiert greift das Schicksal allerdings oft auch auf bewährte (Leid-)Muster zurück.
Man kann durchaus annehmen, dass die Geschichte (der Menschheit oder des Einzelwesens) eine Wiederholungstäterin ist.

Das Schicksal bedient sich nicht selten im Theaterstück “Leben” des dramaturgischen und äußerst effektvollen Mittels des Perspektivwechsels.
Bereits ereignete Szenen wiederholen sich, allerdings mit vertauschten Rollen der Mitwirkenden:
In der Durchführung einer festgelegten Szene übernimmt man einmal eine handelnde Rolle (Tätigkeitsform), zu einem späteren Zeitpunkt in einem ähnlich gearteten Handlungskontext die Rolle des passiv Erduldenden (Leideform).

Die Sicht der Dinge wurde somit also vertauscht, das Empathievermögen für unterschiedliche Blickwinkel sensibilisiert, Reflektion möglich gemacht hinsichtlich einer Aktion (als Aktiver) und deren emotionalen (Aus-)Wirkung auf andere (als später Passiver).
Es ist somit möglich, einst (als Aktiver) verursachtes Leid zu einem späteren Zeitpunkt (als Passiver) nachzuempfinden ( [1]Spiegelneuronen. Aufmerksame Beobachter im Kopf ), zu gereuen, vielleicht auch Abbitte zu leisten.

Interessant erscheint mir hier, dass jene als nunmehr Passiver erzeugte Empfindung (wie z.B. Mitleid) nicht unbedingt aus religiösen Wertvorstellungen erwachsen noch auf einem gesellschaftlichen Verhaltenskodex fußen muss.
Diese Empfindung, dieses Gefühl ist ein archetpyisches Ur-Gefühl, unkonditioniert, das nicht erlernt werden muss. Es ist humanspezifisch (!) und rein hinsichtlich erzieherischen Eintrübungen. Es ist souverän.
Diese souveränen Ur-Gefühle sind demnach auch kultur- und epochenübegreifend oder -treffend von Erich Fromm formuliert – ähnlich des allen uns innewohnenden Gefühls des Abgetrenntseins, …

… dem panischen Entsetzen vor einer völligen Isolation […] von der Außenwelt.
Der Mensch sieht sich – zu allen Zeiten und in allen Kulturen – vor das Problem der Lösung der einen und immer gleichen Frage gestellt: wie er sein Abgetrenntsein überwinden, wie er zur Vereinigung gelangen, wie er sein eigenes einzelnen Leben transzendieren und das Einswerden erreichen kann. Die Frage stellt sich dem Primitiven in seiner Höhle wie dem Nomaden, der seine Herde hütet, dem ägyptischen Bauern, dem phönizischen Händler, dem japanischen Samurai, dem modernen Büroangestellten und dem Fabrikarbeiter auf gleiche Weise. [2]Erich Fromm: Die Kunst des Liebens.
Liebe als Antwort auf das Problem der menschlichen Existenz.
S.19.

Es gilt nunmehr, den einst (als Aktiver) durch eine bewusste Handlung verursachten Fremdschmerz dem eigenen Aufschrei an Schmerzen (als passiv Erduldender) entgegenzusetzen (eventuell mit Schmerzlöschung bei einer (vollständigen) destruktiven Interferenz, Katharsis).
Da der einst eigenverursachte Schmerz allerdings größer sein dürfte als der momentan zu erduldende, kann es nicht zur gänzlichen Aufhebung des Schmerzes kommen.
Auf jeden Fall wird durch einen Perspektivenwechsel die eigene, meist in der selbsterwählten Opferrolle übertriebene Weltanklage relativiert und man selbst in seinem kindlich verhafteten Narzissmus hoffentlich von jener Selbstsucht geheilt.

Somit wird – auch trotz fehlender Wiedergutmachung des verursachten Schadens – eine (künftig fruchtbare) Verhaltensmodifikation vollzogen.

Danke für das kurzweilige Unwetter, Dank dem Regenguss aus Himmelshöhen für das moralisch ausgelaugte Ödland meines Herzens!

Gott ist kein Sadist, er ist Direktor des Welttheaters mit höchst pädagogischen Absichten.

Weise mir, Herr, nicht Deinen Weg, dass ich wandle in Deiner Wahrheit wie meine Väter und (Ur-)Väter bereits den Pfad der Tugend beschritten, lasse mich nicht wie ein Lemming nachtrotten!

Weise mir nicht den Weg, sondern versetze mich in (Ur-)Gefühlszustände, dass mein glühendes Herz selbst die Wahrheit nicht nur sieht, erkennt, sondern erfühlt und der reflektierten Wahrheit folgt.

Fußnoten[+]

 
 
4 
 August 
 
2015

abgelegt in
Modern | Musik

 

 


Meine Soldaten
Verzeih’ …

Ich bau’ eine Mauer
Du stemmtest den harten Granit der kühlen Verwehrung

und sprenge die Brücken,
und stürztest erhabenen Himmelsbau,

lass’ systematisch jeden Gedanken an Dich unterdrücken,
du stutztest des kühnen Flügelschlags bläulicher Hoffnung,

die Fotos verbrennen
machtest welk der Erinn’rung Blumengekränze

und die Lieder zensieren,
und stumm der Leier süßes Gelaute,

komme was wolle, ich darf die Kontrolle nie wieder verlieren.
wahrtest die Grenzen des Reichs deiner Liebe!

 

Und alles, was sich bewegt, lass’ ich streng überwachen,
Du flautest der Liebe milder Winde, des Herzens Gespielinnen,

verdächtige Elemente sofort unschädlich machen,
gebotest der Leidenschaft Stürme gar Einhalt,

denn es reicht ein Zeichen der Schwäche, ein Zittern der Finger,
und meidend des Wimpernschlags Scheue

Ich brauch’ kühles Blut,
stähltest den Blick du Dir, den einst zartschmelzen,

denn es tut mir nicht gut, mich an Dich zu erinnern.
des Herzens Regentschaft sei Dein nun allein!

denn es tut mir nicht gut, mich an Dich zu erinnern.
des Herzens Regentschaft sei Dein nun allein!

 

Und immer, wenn mein Herz nach Dir ruft
Und nährtest der Sehnsucht Herzensglut Du,

und das Chaos ausbricht in mir drin,
so drohte auch schon der Flammen Verheerung,

schicke ich meine Soldaten los,
und decktest erstickend den Mantel des Schweigens

um den Widerstand niederzuzwingen.
über des Herzens wildlodernder Flamm’.

Immer, wenn mein Herz nach Dir ruft,
Wenn immer der Sehnsucht Glut aufglimmte,

und es brennt in den Straßen in mir drin,
entfachte der Weltbrand in Dir,

befehle ich meiner Armee, alles zu tun,
so schriest zu den Himmeln Du,

um es wieder zum Schweigen zu bringen,
zu wehren des Flammenheers Derbnis

es geknebelt, gebrochen ist und weggesperrt,
zu bänd’gen, zu begrenzen des Feuers wütenden Raub,

und mir endlich gehorcht, mein armes Herz.
gefügig zu machen des Herzens verzehrender Flamm’.

 

Und ein guter Soldat stellt keine Fragen,
Erduldend stemmt auch der Hoplit wehrhaft den Schild,

er läuft Runden im Park bis die Beine versagen.
und rammt ihn in feindische Reihen bis der Schritt ihn ermattet.

Die Stirn in den Staub für ein Ja und ein Amen,
Entschlossen gefurcht ist die Stirn mit ehernem Willen,

ein Soldat vergisst alles,
im Kriegsmarsch blind um sich schlagend

im Falle des Falles auch den eigenen Namen.
und selbst sich dabei gar vergessend.

 

Doch es braucht nur einen Verräter, eine undichte Stelle,
Es bedarf einer Kriegslist nur, für die steinerne Festung,

eine winzigen Stein für eine gewaltige Welle,
ein Einlasstor für ein einströmendes Heer,

ein Funken im Zunder
ein hölzernes Pferd hinter sicheren Mauern

und alles steht wieder in Flammen,
und Feuerbrunst walzt über Troja hinweg,

die ganze Fassade klappt wie ein Kartenhaus in sich zusammen,
reisst nieder den Prunk der Palläste,

klappt wie ein Kartenhaus in sich zusammen.
und aschet den Glanz der Häuser und Straßen.

 

Und immer, wenn mein Herz nach Dir ruft
Und nährtest der Sehnsucht Herzensglut Du,

und das Chaos ausbricht in mir drin,
so drohte auch schon der Flammen Verheerung,

schicke ich meine Soldaten los,
und decktest erstickend den Mantel des Schweigens

um den Widerstand niederzuzwingen.
über des Herzens wildlodernder Flamm’.

 

Immer, wenn mein Herz nach Dir ruft,
Wenn immer der Sehnsucht Glut aufglimmte,

und es brennt in den Straßen in mir drin,
entfachte der Weltbrand in Dir,

befehle ich meiner Armee, alles zu tun,
so schriest zu den Himmeln Du,

um es wieder zum Schweigen zu bringen,
zu wehren des Flammenheers Derbnis.

 

Und immer, wenn mein Herz nach Dir ruft
Und nährtest der Sehnsucht Herzensglut Du,

und das Chaos ausbricht in mir drin,
so drohte auch schon der Flammen Verheerung,

schicke ich meine Soldaten los,
und decktest erstickend den Mantel des Schweigens

um es wieder zum Schweigen zu bringen,
zu wehren des Flammenheers Derbnis.

es geknebelt, gebrochen ist und weggesperrt,
zu bänd’gen, zu begrenzen des Feuers wütenden Raub,

und endlich gehorcht mein armes Herz.
gefügig zu machen des Herzens verzehrender Flamm’.

 

 

Du stemmtest den harten Granit der kühlen Verwehrung
und stürztest erhabenen Himmelsbau,
du stutztest des kühnen Flügelschlags bläulicher Hoffnung,
machtest welk der Erinn’rung Blumengekränze
und stumm der Leier süßes Gelaute,
wahrtest die Grenzen des Reichs deiner Liebe!

Du flautest der Liebe milder Winde, des Herzens Gespielinnen,
gebotest der Leidenschaft Stürme gar Einhalt,
und meidend des Wimpernschlags Scheue
stähltest den Blick du Dir, den einst zartschmelzen,
des Herzens Regentschaft sei Dein nun allein!
des Herzens Regentschaft sei Dein nun allein!

Und nährtest der Sehnsucht Herzensglut Du,
so drohte auch schon der Flammen Verheerung,
und decktest erstickend den Mantel des Schweigens
über des Herzens wildlodernder Flamm‘.

Wenn immer der Sehnsucht Glut aufglimmte,
entfachte der Weltbrand in Dir,
so schriest zu den Himmeln Du,
zu wehren des Flammenheers Derbnis
zu bänd’gen, zu begrenzen des Feuers wütenden Raub,
gefügig zu machen des Herzens verzehrender Flamm‘.

Erduldend stemmt auch der Hoplit wehrhaft den Schild,
und rammt ihn in feindische Reihen bis der Schritt ihn ermattet.
Entschlossen gefurcht ist die Stirn mit ehernem Willen,
im Kriegsmarsch blind um sich schlagend
und selbst sich dabei gar vergessend.

Es bedarf einer Kriegslist nur, für die steinerne Festung,
ein Einlasstor für ein einströmendes Heer,
ein hölzernes Pferd hinter sicheren Mauern
und Feuerbrunst walzt über Troja hinweg,
reisst nieder den Prunk der Palläste,
und aschet den Glanz der Häuser und Straßen.

Und nährtest der Sehnsucht Herzensglut Du,
so drohte auch schon der Flammen Verheerung,
und decktest erstickend den Mantel des Schweigens
über des Herzens wildlodernder Flamm‘.

Wenn immer der Sehnsucht Glut aufglimmte,
entfachte der Weltbrand in Dir,
so schriest zu den Himmeln Du,
zu wehren des Flammenheers Derbnis.

Und nährtest der Sehnsucht Herzensglut Du,
so drohte auch schon der Flammen Verheerung,
und decktest erstickend den Mantel des Schweigens
zu wehren des Flammenheers Derbnis.
zu bänd’gen, zu begrenzen des Feuers wütenden Raub,
gefügig zu machen des Herzens verzehrender Flamm‘.

 

 
 
9 
 Juni 
 
2012


 

 
Aus: “Wilhelm Meister”
von Johann Wolfgang von Goethe

 
Nur wer die Sehnsucht kennt,
Weiß, was ich leide!
Allein und abgetrennt
Von aller Freude,
Seh’ ich an’s Firmament
Nach jener Seite.

Ach! der mich liebt und kennt,
Ist in der Weite.
Es schwindelt mir, es brennt
Mein Eingeweide.
Nur wer die Sehnsucht kennt,
Weiß, was ich leide!


 

Dichtung Johann Wolfgang von Goethe
Bereitstellung Trabi Robert