9 Dezember 2017 | |
DICHTUNG | Rainer Maria Rilke | |
LESUNG | Gudrun Landgrebe | |
BEREITSTELLUNG | LYRIK & MUSIK |
Ich bin nur einer deiner Ganzgeringen,
der in das Leben aus der Zelle sieht
und der, den Menschen ferner als den Dingen,
nicht wagt zu wägen, was geschieht.
Doch willst du mich vor deinem Angesicht,
aus dem sich dunkel deine Augen heben,
dann halte es für meine Hoffahrt nicht,
wenn ich dir sage: Keiner lebt sein Leben.
Zufälle sind die Menschen, Stimmen, Stücke,
Alltage, Ängste, viele kleine Glücke,
verkleidet schon als Kinder, eingemummt,
als Masken mündig, als Gesicht – verstummt.
Ich denke oft: Schatzhäuser müssen sein,
wo alle diese vielen Leben liegen
wie Panzer oder Sänften oder Wiegen,
in welche nie ein Wirklicher gestiegen,
und wie Gewänder, welche ganz allein
nicht stehen können und sich sinkend schmiegen
an starke Wände aus gewölbtem Stein.
Und wenn ich abends immer weiterginge
aus meinem Garten, drin ich müde bin, –
ich weiß: dann führen alle Wege hin
zum Arsenal der ungelebten Dinge.
Dort ist kein Baum, als legte sich das Land,
und wie um ein Gefängnis hängt die Wand
ganz fensterlos in siebenfachem Ringe.
Und ihre Tore mit den Eisenspangen,
die denen wehren, welche hinverlangen,
und ihre Gitter sind von Menschenhand.
3 Dezember 2017 | |
DICHTUNG | Hermann Hesse | |
LESUNG | Ulrich Gebauer | |
BEREITSTELLUNG | LYRIK & MUSIK |
Wenn der Schnee auf Wald und Garten fällt,
Ist es nur ein leichtes Ruhedach,
Unter dem ermüdet diese Welt
Eine Weile schläft. Bald wird sie wach.
Wenn der Tod mir Blut und Glieder stillt,
Sprecht mit Lächeln euer Trauerwort!
Still in Trümmer sinkt ein flüchtig Bild;
Was ich bin und war, lebt fort und fort.
29 September 2017 | |
DICHTUNG | Eduard Mörike | |
LESUNG | Otto Mellies | |
MUSIK | Richard Strauss |
Im Nebel ruhet noch die Welt,
Noch träumen Wald und Wiesen:
Bald siehst du, wenn der Schleier fällt,
Den blauen Himmel unverstellt,
Herbstkräftig die gedämpfte Welt
In warmem Golde fließen.
Und morgen wird die Sonne wieder scheinen,
und auf dem Wege, den ich gehen werde,
wird uns, die Glücklichen,
sie wieder einen inmitten dieser sonnenatmenden Erde.
Und zu dem Strand, dem weiten, wogenblauen,
werden wir still und langsam niedersteigen,
stumm werden wir uns in die Augen schauen,
und auf uns sinkt des Glückes stummes Schweigen.