1 Oktober 2020 |
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DICHTUNG | Joseph von Eichendorff | |
LESUNG | Mathias Wieman |
Man setzt uns auf die Schwelle,
Wir wissen nicht, woher?
Da glüht der Morgen helle,
Hinaus verlangt uns sehr.
Der Erde Klang und Bilder,
Tiefblaue Frühlingslust,
Verlockend wild und wilder,
Bewegen da die Brust.
Bald wird es rings so schwüle,
Die Welt eratmet kaum,
Berg‘, Schloß und Wälder kühle
Stehn lautlos wie im Traum,
Und ein geheimes Grausen
Beschleichet unsern Sinn:
Wir sehnen uns nach Hause
Und wissen nicht, wohin?
6 April 2020 |
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DICHTUNG | Ludwig Uhland | |
MUSIK | Franz Schubert | |
LESUNG | Eva Matthes |
Die linden Lüfte sind erwacht,
Sie säuseln und weben Tag und Nacht,
Sie schaffen an allen Enden.
O frischer Duft, o neuer Klang!
Nun, armes Herze, sei nicht bang!
Nun muß sich alles, alles wenden.
Die Welt wird schöner mit jedem Tag,
Man weiß nicht, was noch werden mag,
Das Blühen will nicht enden.
Es blüht das fernste, tiefste Tal:
Nun, armes Herz, vergiß der Qual!
Nun muß sich alles, alles wenden.
Ich erlaube mir seit dieser Woche, viele deutsche YouTube-Beiträge mit automatisiertem Untertitel ins Englische zu übersetzen, auch um mein Englisch aufzubessern.
Es ist zuweilen herrlich, wie sich der „Bedeutungshof“, die Bedeutungstiefe eines Wortes in einer anderen Sprache ändert bzw. weitet und wie Sprache auch die Wahrnehmung strukturiert und determiniert („Terminus“).
Das Wort „[alles wird sich] wenden“ wird in diesem Gedicht mit „change“ übersetzt/übertragen. Wunderbar, so sollte es auch sein …
Es geht nicht um das „Wenden“ eines Blattes im Buch der deutschen Chronik, wobei nach der Krise einfach nur „weiter-geblättert“ wird.
Es geht um fundamentale „Änderungen“, vielleicht dem Hinzufügen neuer Kapitel unseres Selbstverständnisses im Hinblick sozialer, medizinischer Berufe.
Es geht vielleicht auch um den „Zerriss“ ganzer überdauerter Kapitel.
Ein dickes Buch („Wälzer“) sollte sich immer auch selbst umwälzenden Gedanken stellen.
Ich wollte jetzt aber auch nicht als Oberlehrer auftreten, sondern diese Bedeutungsnuance einfach weitergeben, die sicherlich von mir subjektiv gefärbt ist.
18 März 2018 |
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DICHTUNG | Rainer Maria Rilke | |
LESUNG | Fritz Stavenhagen | |
BEREITSTELLUNG | LYRIK & MUSIK |
Nennt ihr das Seele, was so zage zirpt
in euch? Was, wie der Klang der Narrenschellen,
um Beifall bettelt und um Würde wirbt,
und endlich arm ein armes Sterben stirbt
im Weihrauchabend gotischer Kapellen, –
nennt ihr das Seele?
Schau ich die blaue Nacht, vom Mai verschneit,
in der die Welten weite Wege reisen,
mir ist: ich trage ein Stück Ewigkeit
in meiner Brust. Das rüttelt und das schreit
und will hinauf und will mit ihnen kreisen …
Und das ist Seele.