Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

6 
 August 
 
2016


 

Abgesehen von zwei abgesetzten Anrufen (“Lebenszeichen”) und formal gehaltenen Konversationen…

HavanaClub
“Die Heizung macht geräuschvoll auf sich aufmerksam, störe aber nicht weiter, weil ich nachts grundsätzlich eh Ohrenstöpsel nutze.”

Gaststätte “Alte Laterne”
“Gibt es ein Bananen-Weizen?”
“Ja, so einen Mist gibt es bei uns!”
“Bitte?”
“Ja, so einen Mist gibt es bei uns!”
“Dann hätte ich gerne von diesem Mist! … Das ist ein Kultgetränk der 1990er…”
“Ich würde gerne zahlen. Zwei von diesen allerköstlichsten Bananenweizen!”

Goethe-Haus
“Einmal bitte “Erwachsen” für das Kind im Manne!”
[später] “Mein Herz ist voll, aber der Akku [des Audioguides] ist leer!”
“Wo geht es hier zu Goethes Reisemantel?”
[später, bei fehlendem Wissen hinsichtlich der Audio-Guide-Nutzung] “Leider lies mich auch Goethes Reisemantel im Regen stehen”

Köstritzer Schwarzbierhaus
“Nein, ich brauche keine Speisekarte! Meine Bestellung ist einfach strukturiert: ein Bananen-Weizen und eine Portion Pommes mit Ketchup, bitte!” (PoKeMon (Pommes Ketchup mit Monninger Bier (oder auch eine andere Biersorte)) habe ich mir erspart.)

…fiel es mir heute erst auf, dass ich seit Dienstag keine redliche Unterhaltung im eigentlichen Sinne mit Menschen führte.

Vielleicht lag es an der dialogischen Auseinandersetzung mit den abervielen, gedankenvollen Museumsbesuchen und den daran anknüpfenden inneren Monologen (wieso z.B. Goethe die geräuschverursachende Feder mied und lieber einen schreibflusskontinuierlichen Bleistift nutzte oder eines Schreibers oder gar mehrerer Schreiber sich bediente)?

Oder am theatralisch impressiven Hörbuch “Iphigenie auf Tauris“?

Oder gar am Hörbuch “Die Leiden des jungen Werther“, heute im Park an der Ulm spazierend und am Brunnen an der Rückseite des Römischen Hauses verweilend gehört?

Meine sonst so aufgescheuchten Gedankenwogen sind stille wie die spiegelglatte See…

 
 
17 
 Juni 
 
2015

abgelegt in
Gedankenschau

 

Heilige Gebeine dienen der greifbaren Gelenkstelle zwischen Himmel und Erde.

 
 
8 
 Oktober 
 
2012

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DICHTUNG Paul Celan
LESUNG Paul Celan
BEREITSTELLUNG wortlover


 

Engführung

*

VERBRACHT ins
Gelände
mit der untrüglichen Spur:

Gras, auseinandergeschrieben. Die Steine, weiß,
mit den Schatten der Halme:
Lies nicht mehr — schau!
Schau nicht mehr — geh!

Geh, deine Stunde
hat keine Schwestern, du bist —
bist zuhause. Ein Rad, langsam,
rollt aus sich selber, die Speichen
klettern,
klettern auf schwärzlichem Feld, die Nacht
braucht keine Sterne, nirgends
fragt es nach dir.

* Nirgends fragt es nach dir —

Der Ort, wo sie lagen, er hat
einen Namen — er hat
keinen. Sie lagen nicht dort. Etwas
lag zwischen ihnen. Sie
sahn nicht hindurch.

Sahn nicht, nein,
redeten von
Worten. Keines
erwachte, der
Schlaf
kam über sie.

* Kam, kam. Nirgends fragt es —

Ich bins, ich,
ich lag zwischen euch, ich war
offen, war
hörbar, ich tickte euch zu, euer Atem
gehorchte, ich
bin es noch immer, ihr
schlaft ja.

* Bin es noch immer —

Jahre.
Jahre, Jahre, ein Finger
tastet hinab und hinan, tastet
umher:
Nahtstellen, fühlbar, hier
klafft es weit auseinander, hier
wuchs es wieder zusammen – wer
deckte es zu?

* Deckte es zu — wer?

Kam, kam.
Kam ein Wort, kam,
kam durch die Nacht,
wollt leuchten, wollt leuchten.

Asche.
Asche, Asche.
Nacht.
Nacht-und-Nacht. — Zum
Aug geh, zum feuchten.

* Zum Aug geh, zum feuchten —

Orkane.
Orkane, von je,
Partikelgestöber, das andre,
du
weißts ja, wir
lasens im Buche, war
Meinung.

War, war
Meinung. Wie
faßten wir uns
an — an mit
diesen
Händen?

Es stand auch geschrieben, daß.
Wo? Wir
taten ein Schweigen darüber,
giftgestillt, groß,
ein
grünes
Schweigen, ein Kelchblatt, es
hing ein Gedanke an Pflanzliches dran —

grün, ja
hing, ja
unter hämischem
Himmel.

An, ja,
Pflanzliches.

Ja.
Orkane, Par-
tikelgestöber, es blieb
Zeit, blieb,
es beim Stein zu versuchen — er
war gastlich, er
fiel nicht ins Wort. Wie
gut wir es hatten:

Körnig,
körnig und faserig. Stengelig,
dicht;
traubig und strahlig; nierig,
plattig und
klumpig; locker, ver-
ästelt –: er, es
fiel nicht ins Wort, es
sprach,
sprach gerne zu trockenen Augen, eh es sie schloß.

Sprach, sprach.
War, war.

Wir
ließen nicht locker, standen
inmitten, ein
Porenbau, und
es kam.

Kam auf uns zu, kam
hindurch, flickte
unsichtbar, flickte
an der letzten Membran,
und
die Welt, ein Tausendkristall,
schoß an, schoß an.

* Schoß an, schoß an. Dann —

Nächte, entmischt. Kreise,
grün oder blau, rote
Quadrate: die
Welt setzt ihr Innerstes ein
im Spiel mit den neuen
Stunden. — Kreise,

rot oder schwarz, helle
Quadrate, kein
Flugschatten,
kein
Meßtisch, keine
Rauchseele steigt und spielt mit.

* Steigt und spielt mit –

In der Eulenflucht, beim
versteinerten Aussatz,
bei
unsern geflohenen Händen, in
der jüngsten Verwerfung,
überm
Kugelfang an
der verschütteten Mauer:

sichtbar, aufs
neue: die
Rillen, die

Chöre, damals, die
Psalmen. Ho, ho-
sianna.

Also
stehen noch Tempel. Ein
Stern
hat wohl noch Licht.
Nichts,
nichts ist verloren.

Ho-
sianna.

In der Eulenflucht, hier,
die Gespräche, taggrau,
der Grundwasserspuren.

* (– — taggrau, der Grundwasserspuren —

Verbracht
ins Gelände
mit
der untrüglichen
Spur:

Gras.
Gras,
auseinandergeschrieben.)

 

Textdichter Paul Celan
Lesung Paul Celan
Bereitstellung wortlover