Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

14 
 Juni 
 
2018

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DICHTUNG Hermann Hesse
LESUNG Jürgen Prochnow
SOLIST Giora Feidman
BEREITSTELLUNG LYRIK & MUSIK


 

Bist allein im Leeren,
Glühst einsam, Herz,
Grüßt dich am Abgrund
Dunkle Blume Schmerz.

Reckt seine Äste
Der hohe Baum Leid,
Singt in den Zweigen
Vogel Ewigkeit.

Blume Schmerz ist schweigsam,
Findet kein Wort,
Der Baum wächst bis in die Wolken,
Und der Vogel singt immerfort.

 
 
10 
 Juni 
 
2018


 

MUSIK Johann Sebastian Bach
BEREITSTELLUNG Jos Leys


 

Tizian - Allegorie der Zeit
Tizian – Allegorie der Zeit

Wie gut, daß auch diese Erkenntnis nun zu ihm kam: daß es keine Zeit gab!

Das einzige, was zwischen Alter und Jugend, zwischen Babylon und Berlin, zwischen Gut und Böse, Geben und Nehmen stand, das einzige, was die Welt mit Unterschieden, Wertungen, Leid, Streit, Krieg erfüllt, war der Menschengeist, der junge ungestüme und grausame Menschengeist im Zustand der tobenden Jugend, noch fern vom Wissen, noch weit von Gott.

Er erfand Gegensätze, er erfand Namen. Dinge nannte er schön, Dinge häßlich, diese gut, diese schlecht. Ein Stück Leben wurde Liebe genannt, ein anderes Mord. So war dieser Geist, jung, töricht, komisch.

Eine seiner Erfindungen war die Zeit. Eine feine Erfindung, ein raffiniertes Instrument, sich noch inniger zu quälen und die Welt vielfach und schwierig zu machen! Von allem, was der Mensch begehrte, war er immer nur durch Zeit getrennt, nur durch diese Zeit, diese tolle Erfindung! Sie war eine der Stützen, eine der Krücken, die man vor allem fahren lassen mußte, wenn man frei werden wollte.

Aus: “Klein und Wagner” (Hermann Hesse)

 
 
7 
 Juni 
 
2018


 

DICHTUNG Hermann Hesse
LESUNG Ulrich Gebauer
KLAVIER Ralf Schink
BEREITSTELLUNG LYRIK & MUSIK


 

Was ich bis heut an Versen schrieb
Und was ich sonst landein, landaus
An losen Dichterkünsten trieb,
Der ganze leicht gepflückte Strauß —

Mir ist er nichts! Mir welkt er in der Hand,
Ich werf ihn weg und geh auf neuen Wegen
Hinüber in ein neues, andres Land,
Dem ungewissen Reiseziel entgegen.

Und war der Strauß auch einmal frisch und bunt,
Nach andern Straßen drängen meine Sohlen,
Der ganze Tand war doch im Grund — gestohlen.
Hinweg damit! Ich bin ein Vagabund.

Stirnrunzelnd untersucht ein Rezensent
Die welke Ernte und beginnt zu schelten . . .
Ich bin schon weit, auf meinem Hute brennt
Schon eine andre Sonne. Ferne Welten

Verlocken mich; das alte Leierspiel
Mag liegen, wo mir’s aus der Tasche fiel.
Die Jahre gehn so schnell! Wie lang wird’s sein,
So steh auch ich im stillen Kreis der Müden

Und schaue hinter mich in die verblühten
Jahre als in ein fremdes Reich hinein!
Das läßt mir keine Rast; eh mich mit kühlen
Händen der Schnitter greift, will ich und muß

Der Erd’ und Sonne Kräfte in mir fühlen,
Und was sie hegt an Schmerz und an Genuß
Mit starken Armen sehnlich an mich reißen
Und Tod und Leben meine Brüder heißen.

Ob dann ein neues Liederspiel beginnt,
Was liegt daran? Ein Sucher bin ich nur,
Der durch die Welt in Sonne, Staub und Wind
Begierig tastet nach der Schöpfung Spur.

Wo irgendeine unerschöpfte Kraft,
Ein Sprossen, Strömen, eine Leidenschaft
Sich regt und schafft und probende Flügel spannt,
Da ist mir wohl, da ist mein Heimatland.