Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

28 
 November 
 
2009

abgelegt in
Gedankenschau

 

Albert Bandura sieht das Modellernen (Lernen am Modell, Imitationslernen) als zentrale Rolle in der Persönlichkeitsentwicklung.
Dies ließe doch den Schluss zu, dass wir aufgrund der ständigen “Kopiervorgänge” unserer (sozialen) Umwelt keine Individuen sind, keine unvergleichlich einmalige Einzelwesen. Wir sind Kopien unseres Umfeldes, wenn auch mit geringfügiger Abweichung durch unsere eigens ganz spezifischen Schwerpunktsetzung, einer persönlichen Gewichtung des bereits Vorhandenen quasi einer individuellen Ausprägung.

Wie bei einem Reader für Prüfungsvorbereitungen, kopieren wir aus unterschiedlichen Werken einzelne Seiten und fügen diese zu einem neuen Sammelband zusammen. Die Originalität, das Unverwechselbare liegt lediglich in der Zusammensetzung, in der Neuordnung der zuvor vorhandenen Seiten, in ihrer Zusammenstellung nach individuellen Gesichtspunkten. Neues ist im Grunde genommen nichts gewonnen.

Exkurs: Ähnlich vielleicht wie die natürliche Selektion selbst, die auch nur aus bereits Vorhandenem ein Auswahlverfahren trifft. Individuelle Abweichungen gelten hier als Mutationen, die beim weiteren Selektionsmechanismus u.a. bevorzugt werden.

Originalität definiert sich also über eine einzigartige Konstellation.

Mozart konnte die Töne der Tonleiter nicht neu erschaffen, sondern seine musikalische Originalität besaß darin, nach intensivem Studium der Bachwerke (Imitationslernen) die Töne in ihrem Auftreten neuartig anzuordnen, von gewohnten Mustern abzuweichen.
Auch Kunstmaler ziehen bereits vorhandenes Material (Spektralfarben des Regenbogens) heran und ordnen dieses (auf der Leinwand) neu.
Schriftsteller machen sich die Muttersprache (Modell-Lernen) zunutze, erreichen aber durch eine Neuordnung der Wörter einen einzigartigen rhetorischen Fingerabdruck.

Ebenso ist auch das Regelwerk des Schachspiels vorgegeben, das auf einer DIN-A4-Seite ohne Probleme Platz fände.
Trotzdem sind die Möglichkeiten in diesem Spiel unerschöpflich:
Die Gangart der Figuren ist zwar determiniert, ihre Konstellation, ihre Anordnung auf dem Schachbrett ist allerdings (wenn man den vorgeschriebenen Pfad der Eröffnungstheorie verlässt) einzigartig.

 
Der nächste Zug ist an uns.
“Wohlan, mein Herz, und ziehe …” (in Anlehnung an das Stufengedicht aus Hesses Glasperlenspiel).

 
 
11 
 Februar 
 
2008

abgelegt in
Gedankenschau

 

Vom Ammenmärchen der menschlichen Monogamie

Vorab möchte ich mich von einer sexistisch anmutenden Sachdarstellung lossprechen und eine neutrale Position in dem schon seit Urzeiten wütenden Geschlechterkampf beziehen.

Gleichfalls möchte ich mich hinsichtlich der Erschaffung der Welt weder auf die Seite der bibelkonformen Kreationisten (“Gott erschuf Himmel und Erde”) noch auf jene der Evolutionsverfechter (“Urknall-Theorie”) schlagen, sondern eine Mittelstellung einnehmen: Die Erde sowie alle Lebens- und Erscheinungsformen in ihr sind Zufallsprodukte, allerdings durch eine verborgene, kreative Macht gewirkt (Schiller: […] und huldiget der furchtbar’n Macht, die richtend im Verborgnen wacht, die unerforschlich, unergründet des Schicksals dunklen Knäuel flicht […]).

Das ist allerdings – wie der Rest des Beitrags – nur eine Gedankenspielerei ohne wissenschaftlichen Fundus.

Gott stellt für mich ein Sammelbegriff aller Naturgesetze dar, abstrakt gesehen ein strukturschaffender Algorithmus, personalisiert betrachtet ein experimentierfreudiger Wissenschaftler, der in einer eigens angelegten Biosphäre (uns allen als Heimatplaneten „Erde“ bekannt) vor rund 4,6 Mrd. Jahren die wohl größte Versuchsreihe überhaupt startete.

“Zufälle” (innerhalb der Evolution) sind in diesem Kontext sehr wohl Würfelspiel im Weltengemenge.

Allerdings setzt(e) Gott oft gezielt “gezinkte Würfel” ein, um ein bestimmtes Ergebnis (z.B. bauliche Prinzipien, markante menschliche Erfindungen) zu erzwingen und zu beschleunigen.

Wichtig in seiner Versuchsreihe war ihm jeher eine Variationsbreite oder -biologisch ausgedrückt- ein Genpool, um durch größtmögliche Vielfalt das Potential möglicher Spezien voll auszuschöpfen.

Wie die breite Basis einer Pyraminde sich begünstigend auf die Stabilität und Höhe auswirkt, so garantiert ein großer Genpool durch Variabilität ein Höchstmaß an Anpassungsvermögen und damit Fortbestand einer Spezies in der Erdgeschichte.

Stagnation (Erstarrtheit) einer Art bedeutet für sie nicht nur Stillstand, sondern sie wird mittels natürlicher Selektion vom Platz des Weltgeschehens verwiesen.

Vielfalt ermöglicht Veränderung und ohne Veränderung gibt es kein Leben.

Daher scheint sich das Konzept der Polygamie (Rückgriff auf mehrere Sexualpartner, auf mehrere Genpoole) bewährt zu haben.

Während Primaten (Herrentiere) wie z.B. Schimpansen polygam leben, finden sich bei den Gibbons monogame Lebensweisen.
Gerne wäre ich ein Gibbon, Angehöriger einer Spezies mit festen Bezugspunkten, lebenslänglicher Verlässlichkeit und Urvertrauen.

Bin ich allerdings nicht.
Ich gehöre -will man dem Biologiebuch Glauben schenken- zu den Wirbeltieren, dort wiederum zu den Säugern aus der Ordnung der Primaten.

Primaten? Ja, aber die Primaten, die hatten wir doch schon?

Richtig!
Bei den Primaten wird “gewürfelt” und zwar richtig, meist ohne gezinkte Würfel.

Dadurch erhofft sich sowohl Männchen als auch Weibchen durch wechselnde Sexualpartner einen günstigen Wurf zu erzielen (etymologische Zusammenhänge zwischen “Wurf” und “Geburt” drängen sich mir auf!).

Wer will auch schon sein Leben lang mit EINEM Partner zusammenleben, ständig mit ihm einen Dreier- oder Viererpasch würfeln, wenn er mit einem anderen auch eine “Große Straße” erwürfeln kann?
Monogamisten mögen jetzt Sturm laufen, aber so lautet nun mal das Regelwerk, das genetisch in uns verankert ist.

Wem’s wiederstrebt, braucht sich ja nicht an den großen Spieltisch zu setzen.
So wie ich.

Ich bin nämlich streng monogam mit Hang zur geistigen Verklärung erotischer Liebe und spiele lieber mit Mozart, Schiller und Hesse auf dem Parterre Karten.
Und wir haben schon seit Jahren, auch ohne großen Spieleinsatz, einen Heidenspaß.