19 Oktober 2012 | |
Ich liebe dich, du sanftestes Gesetz,
an dem wir reiften, da wir mit ihm rangen;
du großes Heimweh, das wir nicht bezwangen,
du Wald, aus dem wir nie hinausgegangen,
du Lied, das wir mit jedem Schweigen sangen,
du dunkles Netz,
darin sich flüchtend die Gefühle fangen.
Du hast dich so unendlich groß begonnen
an jenem Tage, da du uns begannst, –
und wir sind so gereift in deinen Sonnen,
so breit geworden und so tief gepflanzt,
dass du in Menschen, Engeln und Madonnen
dich ruhend jetzt vollenden kannst.
Lass deine Hand am Hang der Himmel ruhn
und dulde stumm, was wir dir dunkel tun.
Textdichter | Rainer Maria Rilke | |
Lesung | Gudrun Landgrebe | |
Bereitstellung | wortlover |
7 Oktober 2012 | |
Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?
Du kennst es nicht? – Du wirst es kennenlernen.
Dort stehn die Prokuristen stolz und kühn
in den Büros, als wären es Kasernen.
Dort wachsen unterm Schlips Gefreitenknöpfe,
und unsichtbare Helme trägt man dort.
Gesichter hat man dort, doch keine Köpfe,
und wer zu Bett geht, pflanzt sich auch schon fort.
Wenn dort ein Vorgesetzter etwas will,
– und es ist sein Beruf, etwas zu wollen –
steht der Verstand erst stramm und zweitens still,
die Augen rechts und mit dem Rückgrat rollen.
Die Kinder kommen dort mit kleinen Sporen
und mit gezog’nem Scheitel auf die Welt.
Dort wird man nicht als Zivilist geboren,
dort wird befördert, wer die Schnauze hält.
Kennst du das Land, es könnte glücklich sein,
es könnte glücklich sein und glücklich machen.
Dort gibt es Äcker, Kohle, Stahl und Stein,
und Fleiß und Kraft, und andre schöne Sachen.
Selbst Geist und Güte gibts dort dann und wann,
und wahres Heldentum – doch nicht bei vielen.
Dort steckt ein Kind in jedem zweiten Mann,
das will mit Bleisoldaten spielen.
Dort reift die Freiheit nicht, dort bleibt sie grün.
Was man auch baut, es werden stets Kasernen.
Kennst du das Land, wo die Kanonen blühn?
Du kennst es nicht? – Du wirst es kennenlernen.
Textdichter | Erich Kästner | |
Lesung | Matthias Habich | |
Bereitstellung | wortlover |
16 September 2012 | |
Wenn ihr Freunde vergeßt, wenn ihr die Euern all,
O ihr Dankbaren, sie, euere Dichter schmäht,
Gott vergeb’ es, doch ehret
Nur die Seele der Liebenden.
Denn o saget, wo lebt menschliches Leben sonst,
Da die knechtische jetzt alles, die Sorge, zwingt?
Darum wandelt der Gott auch
Sorglos über dem Haupt uns längst.
Doch, wie immer das Jahr kalt und gesanglos ist
Zur beschiedenen Zeit, aber aus weißem Feld
Grüne Halme doch sprossen,
Oft ein einsamer Vogel singt,
Wenn sich mählich der Wald dehnet, der Strom sich regt,
Schon die mildere Luft leise von Mittag weht
Zur erlesenen Stunde,
So ein Zeichen der schönern Zeit,
Die wir glauben, erwächst einziggenügsam noch,
Einzig edel und fromm über dem ehernen,
Wilden Boden die Liebe,
Gottes Tochter, von ihm allein.
Sei gesegnet, o sei, himmlische Pflanze, mir
Mit Gesange gepflegt, wenn des ätherischen
Nektars Kräfte dich nähren,
Und der schöpfrische Strahl dich reift.
Wachs und werde zum Wald! eine beseeltere,
Vollentblühende Welt! Sprache der Liebenden
Sei die Sprache des Landes,
Ihre Seele der Laut des Volks!
Hier findet Sprach’ und Musik sich vereint, geschwisterlich traut!
Textdichter | Friedrich Hölderlin | |
Lesung | Christian Brückner | |
Musik | Edward Elgar – Enigma Variationen – nimrod (adagio) | |
Bereitstellung | 59Berger |