Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

25 
 August 
 
2012


 

DICHTUNG Paul Celan
LESUNG Paul Celan
BEREITSTELLUNG wortlover


 

Wundgeheilt: wo-,
wenn du wie ich wärst, kreuz-
und quergeträumt von
Schnapsflaschenhälsen am
Hurentisch

– würfel
mein Glück zurecht, Meerhaar,
schaufel die Welle zuhauf, die mich trägt, Schwarzfluch,
brich dir den Weg
durch den heißesten Schoß,
Eiskummerfeder -,

wo-
hin
kämst du nicht mit mir zu liegen, auch
auf die Bänke
bei Mutter Clausen, ja sie
weiß, wie oft ich dir bis
in die Kehle hinaufsang, heidideldu,
wie die heidelbeerblaue
Erle der Heimat mit all ihrem Laub,
du, wie die
Astralflöte von
jenseits des Weltgrats – auch da
schwammen wir, Nacktnackte, schwammen,
den Abgrundvers auf
brandroter Stirn – unverglüht grub
sich das tief-
innen flutende Gold seine Wege nach oben -, hier,

mit bewimperten Segeln,
fuhr auch Erinnrung vorbei, langsam
sprangen die Brände hinüber, ab-
getrennt, du,
abgetrennt auf
den beiden blau- schwarzen Gedächtnis-
schuten,
doch angetrieben auch jetzt
vom Tausend-
arm, mit dem ich dich hielt,
kreuzen, an Sternwurf-Kaschemmen vorbei,
unsre immer noch trunknen, trinkenden,
nebenweltlichen Münder – ich nenne nur sie -,

bis drüben am zeitgrünen Uhrturm
die Netz-, die Ziffernhaut lautlos
sich ablöst – ein Wahndock,
schwimmend, davor
abweltweiß die
Buchstaben der
Großkräne einen
Unnamen schreiben, an dem
klettert sie hoch, zum Todessprung, die
Laufkatze Leben,
den
baggern die sinn-
gierigen Sätze nach Mitternacht aus,
nach ihm
wirft die neptunische Sünde ihr korn-
schnapsfarbendes Schleppseil,
zwischen
zwölf-
tonigen Liebeslautbojen
– Ziehbrunnenwinde damals, mit dir
singt es im nicht mehr
binnenländischen Chor –
kommen die Leuchtfeuerschiffe getanzt,
weither, aus Odessa,

die Tieflademarke,
die mit uns sinkt, unsrer Last treu,
eulenspiegelt das alles
hinunter, hinauf und – warum nicht? wundgeheilt, wo-, wenn –

herbei und vorbei und herbei.

 
 
12 
 Mai 
 
2012


 

Aus dem “Buch der Bilder”

Nacht, stille Nacht, in die verwoben sind
ganz weiße Dinge, rote, bunte Dinge,
verstreute Farben, die erhoben sind
zu Einem Dunkel Einer Stille, – bringe
doch mich auch in Beziehung zu dem Vielen,
das du erwirbst und überredest. Spielen
denn meine Sinne noch zu sehr mit Licht?
Würde sich denn mein Angesicht
noch immer störend von den Gegenständen
abheben? Urteile nach meinen Händen:
Liegen sie nicht wie Werkzeuge da und Ding?
Ist nicht der Ring selbst schlicht
an meiner Hand, und liegt das Licht
nicht ganz so, voll Vertrauen, über ihnen, –
als ob sie Wege wären, die, beschienen,
nicht anders sich verzweigen, als im Dunkel? …

 

Dichtung Rainer Maria Rilke
Lesung Vera
Bereitstellung RilkeForum

 
 
11 
 März 
 
2012

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

Tausend Dank an Lutz Görner für die Einstellung auf YouTube!
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Der Blinde und der Lahme (1:21)
Christian Fürchtegott Gellert (1715 – 1769)

Der Zufall ließ einst einen Blinden
Einen Gelähmten auf der Straße finden.
Der Blinde hofft drum freudenvoll,
Dass ihn der Lahme leiten soll.

»Dir« spricht der Lahme »beizustehn?
Ich armer Mann kann zwar nicht gehn,
Doch scheints, dass du zu einer Last
Noch sehr gesunde Schultern hast.

Entschließe dich, mich fortzutragen,
So will ich dir die Wege sagen.
So wird dein starker Fuß mein Bein,
Mein helles Aug wird deines sein.«

Der Lahme hängt, mit seinen Krücken,
Sich auf des Blinden breiten Rücken.
Vereint wirkt also dieses Paar,
Was einzeln keinem möglich war.

Du hast das nicht, was andre haben,
Und andern mangeln deine Gaben?
Aus dieser Unvollkommenheit
Entspringet die Geselligkeit.

 

 
Nicht jede Besserung ist Tugend (3:15)
Christian Fürchtegott Gellert (1715 – 1769)

Nicht jede Besserung ist Tugend.
Oft ist sie nur das Werk der Zeit.
Die wilde Hitze roher Jugend
Wird mit den Jahren Sittsamkeit.
Und was Natur und Zeit getan,
Sieht unser Stolz als Besserung an.

 

 
Das Kutschpferd (4:31)
Christian Fürchtegott Gellert (1715 – 1769)

Ein edler Hengst sah einen Gaul den Pflug im Acker ziehn
Und wiehernd voller Stolz blickt er herab auf ihn.
Nun, sprach er und fing an, die Schenkel schön zu heben,
Nun, Freund, kannst du dir solches Aussehn geben
Und wirst, wie ich, bewundert in der Welt?
Schweig, rief der Gaul, und lass mich ruhig pflügen.
Denn baute nicht mein Fleiß das Feld,
Wo würdest du den Hafer kriegen,
Der deiner Schenkel Aussehn dir erhält?
Die ihr uns Niedern so verachtet,
Vornehme Müßiggänger, wisst,
Dass selbst der Stolz, mit dem ihr uns betrachtet,
Ja, euer Vorzug selbst, aus dem ihr uns verachtet,
Auf unsern Fleiß gegründet ist!
Gesetzt, du hättest wirklich bessre Sitten,
So wär der Vorzug doch nicht dein.
Denn stammtest du aus unsren Hütten,
So hättest du auch unsre Sitten,
Und was du bist, und mehr, das würden wir auch sein,
Wenn wir wie du erzogen wären.
Dich kann die Welt sehr leicht, uns aber nicht entbehren.

 

 
Der Tanzbär (6:58)
Christian Fürchtegott Gellert (1715 – 1769)

Ein Bär, der lang sein Brot sich hat ertanzen müssen,
Entfloh und kam in seine Heimat bald.
Die Freunde grüßten ihn mit brüderlichen Küssen
Und brummten freudig durch den Wald.
Und wo ein Bär den andern sah,
So hieß es: Petz ist wieder da!
Darauf erzählte der, was er in fremden Landen
Für Abenteuer ausgestanden.
Was er gesehn, gehört, getan!
Und fing auf polnisch schön zu tanzen an.

Die Bären, die ihn auf zwei Beinen sahn,
Bewunderten die Wendung seiner Glieder,
Und gleich versuchten es die Brüder,
Wie er zu tanzen und zu gehn.
Doch konnten Sie kaum aufrecht stehn,
Und mancher fiel der Länge lang darnieder.
In voller Grazie ließ sich Petz nun sehn.
Jedoch sein Tanz verdross den blöden Haufen.
»Fort«, schrien alle, »fort mit dir!
Du Narr, willst klüger sein als wir?«
Und zwangen ihn davon zu laufen.

Sei ungeschickt, und niemand wird dich hassen,
Weil dir ein jeder ähnlich ist.
Doch je geschickter du vor all den andern bist,
Je mehr nimm dich in acht, dich prahlend sehn zu lassen.
Wahr ists, man wird auf kurze Zeit
Von deinen Künsten rühmlich sprechen.
Doch trau dem Braten nicht, bald folgt der Neid
Und macht deine Geschicklichkeit
Zum unverzeihlichen Verbrechen.