Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

8 
 September 
 
2012


 

DICHTUNG Theodor Storm
LESUNG Gunner Linde
BEREITSTELLUNG wortlover



Von Himmel in die tiefsten Klüfte
Ein milder Stern herniederlacht;
Vom Tannenwalde steigen Düfte
Und hauchen durch die Winterlüfte,
Und kerzenhelle wird die Nacht.

Mir ist das Herz so froh erschrocken,
Das ist die liebe Weihnachtszeit!
Ich höre fernher Kirchenglocken
Mich lieblich heimatlich verlocken
In märchenstille Herrlichkeit.

Ein frommer Zauber hält mich wieder,
Anbetend, staunend muß ich stehn;
Es sinkt auf meine Augenlider
Ein goldner Kindertraum hernieder,
Ich fühl’s ein Wunder ist geschehn.

 
 
27 
 August 
 
2012


 

DICHTUNG Marie Luise Kaschnitz
LESUNG Fritz Stavenhagen
BEREITSTELLUNG wortlover


 

Der den Tod auf Hiroshima warf
Ging ins Kloster, läutet die Glocken.
Der den Tod auf Hiroshima warf
Sprang vom Stuhl in die Schlinge, erwürgte sich.
Der den Tod auf Hiroshima warf
Fiel in Wahnsinn, wehrt Gespenster ab
Hunderttausend, die ihn angehen nächtlich
Auferstandene aus Staub für ihn.

Nichts von alledem ist wahr.
Erst vor kurzem sah ich ihn
Im Garten seines Hauses vor der Stadt.
Die Hecken waren noch jung und die Rosenbüsche zierlich.
Das wächst nicht so schnell, dass sich einer verbergen könnte
Im Wald des Vergessens. Gut zu sehen war
Das nackte Vorstadthaus, die junge Frau
Die neben ihm stand im Blumenkleid
Das kleine Mädchen an ihrer Hand
Der Knabe, der auf seinem Rücken saß
Und über seinem Kopf die Peitsche schwang.
Sehr gut erkennbar war er selbst
Vierbeinig auf dem Grasplatz, das Gesicht
Verzerrt von Lachen, weil der Photograph
Hinter der Hecke stand, das Auge der Welt.

 
 
24 
 Juli 
 
2012


 

 

Aus des Meeres tiefem, tiefem Grunde
Klingen Abendglocken dumpf und matt,
Uns zu geben wunderbare Kunde
Von der schönen alten Wunderstadt.

In der Fluten Schoß hinabgesunken
Blieben unten ihre Trümmer stehn.
Ihre Zinnen lassen goldne Funken
Widerscheinend auf dem Spiegel sehn.
Und der Fischer, der den Zauberschimmer

Einmal sah im hellen Abendrot,
Nach derselben Stelle schifft er immer,
Ob auch ringsumher die Klippe droht.
Aus des Herzens tiefem, tiefem Grunde
Klingt es mir, wie Glocken, dumpf und matt.

Ach, sie geben wunderbare Kunde
Von der Liebe, die geliebt es hat.
Eine schöne Welt ist da versunken,
Ihre Trümmer blieben unten stehn,
Lassen sich als goldne Himmelsfunken

Oft im Spiegel meiner Träume sehn.
Und dann möcht ich tauchen in die Tiefen,
Mich versenken in den Widerschein
Und mir ist, als ob mich Engel riefen
In die alte Wunderstadt herein.

 

Textdichter Wilhelm Müller
Lesung Corinna Kirchhoff
Bereitstellung wortlover