Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

8 
 Juli 
 
2012

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1.
Im Haar ein Nest von jungen Wasserratten,
Und die beringten Hände auf der Flut
Wie Flossen, also treibt sie durch den Schatten
Des großen Urwalds, der im Wasser ruht.

Die letzte Sonne, die im Dunkel irrt,
Versenkt sich tief in ihres Hirnes Schrein.
Warum sie starb? Warum sie so allein
Im Wasser treibt, das Farn und Kraut verwirrt?

Im dichten Röhricht steht der Wind. Er scheucht
Wie eine Hand die Fledermäuse auf.
Mit dunklem Fittich, von dem Wasser feucht
Stehn sie wie Rauch im dunklen Wasserlauf,

Wie Nachtgewölk. Ein langer, weißer Aal
Schlüpft über ihre Brust. Ein Glühwurm scheint
Auf ihrer Stirn. Und eine Weide weint
Das Laub auf sie und ihre stumme Qual.

2.
Korn. Saaten. Und des Mittags roter Schweiß.
Der Felder gelbe Winde schlafen still.
Sie kommt, ein Vogel, der entschlafen will.
Der Schwäne Fittich überdacht sie weiß.

Die blauen Lider schatten sanft herab.
Und bei der Sensen blanken Melodien
Träumt sie von eines Kusses Karmoisin
Den ewigen Traum in ihrem ewigen Grab.

Vorbei, vorbei. Wo an das Ufer dröhnt
Der Schall der Städte. Wo durch Dämme zwingt
Der weiße Strom. Der Widerhall erklingt
Mit weitem Echo. Wo herunter tönt

Hall voller Straßen. Glocken und Geläut.
Maschinenkreischen. Kampf. Wo westlich droht
In blinde Scheiben dumpfes Abendrot,
In dem ein Kran mit Riesenarmen dräut,

Mit schwarzer Stirn, ein mächtiger Tyrann,
Ein Moloch, drum die schwarzen Knechte knien.
Last schwerer Brücken, die darüber ziehn
Wie Ketten auf dem Strom, und harter Bann.

Unsichtbar schwimmt sie in der Flut Geleit.
Doch wo sie treibt, jagt weit den Menschenschwarm
Mit großem Fittich auf ein dunkler Harm,
Der schattet über beide Ufer breit.

Vorbei, vorbei. Da sich dem Dunkel weiht
Der westlich hohe Tag des Sommers spät,
Wo in dem Dunkelgrün der Wiesen steht
Des fernen Abends zarte Müdigkeit.

Der Strom trägt weit sie fort, die untertaucht,
Durch manchen Winters trauervollen Port.
Die Zeit hinab. Durch Ewigkeiten fort,
Davon der Horizont wie Feuer raucht.

 

Textdichter Georg Heym
Lesung Corinna Kirchhoff
Bereitstellung wortlover

 
 
20 
 August 
 
2011


 

Ernst von Salomon
Auszug aus: “Die Geächteten” (Rowohlt-Verlag)

Die Fronten erstarrten, sie versanken im Dreck, Schlamm und Feuer, ein gespenstischer Finger zog blutige Linien rund um das Reich.
Der Krieg, den wir zu führen gedachten, führte uns.
Er wuchs vor uns auf, aus den tiefsten Spalten der Erde kommend, wie ein Nebel, wie ein graues Gespenst, und rüttelte an den waffenstarrenden Bastionen, er packte uns plötzlich mit glühender Faust und würfelte die Regimenter zusammen und schmiß sie wieder auseinander und hetzte sie durch die donnernden Felder.

Er kam durch die klirrenden Drähte und nahm über Nacht den Feldherrn die Zügel aus den erschrockenen Händen und wirrte sie durcheinander und zerrte hier und dort, bis die Front brüchig wurde und zog dann weiter.

Und strich in das Land und riß die Fahnen von den Fenstern und spie dreimal aus. Und der Speichel war Gift, und wo er fiel, da wuchs Hunger und Not und Verzicht.

Und der Krieg zog weiter, er war überall, er warf seine Fackel in alle Teile der Welt, er stöberte die geheimsten Wünsche auf und warf ihnen brennende Mäntel um und färbte die Mantel rot.

Er grub das Eisen aus zerschluchteter Erde und schleuderte es in den Raum und ließ alles zerspellend zu Boden fallen.

Der Krieg kam wie ein Riese über das Land, und da war nichts, was ihm sich verbergen könnte.

Er kam wie ein Wolf und hetzte uns mit reißenden Zähnen bis zu den höchsten Hängen und durch die tiefsten Schluchten, er rammt mit einem wahnwitzigen Schlage die Jugend in den Schlamm und schleuderte das Leben in das Feuer und setzte den Stoff gegen den Geist.

Da krochen die Krieger vor ihm in die dunkle Erde. Er aber zerstampfte die Landschaft mit höhnischem Schrei und schuf eine Brache, schuf eine einmalige Welt mit einmaligen Gesetzen, ein Reich, in dem alle Leidenschaften der Steinzeitmenschen von brüllenden Ängsten bis zu den gellenden Triumphen ihren Rang erfuhren, ein Reich, in dem das brausende Hurra zum roten Urschrei wurde, geröchelt aus zerlaugten und besessenen Leibern, ein schreckliches Geheul beseelter Elemente.

Und wie der Krieg sich seine Landschaft schuf, so schuf er sich sein Heer.
Da warf er hin, was nicht bestand, er sonderte mit hartem Schlag und zog die Lieblinge sich an die Brust, die Ekstatiker des Krieges, die Einzelnen, die aus den Gräben sprangen und ihr “Ja” jauchzten zur Umkrempelung der Welt.

Und er drängte die Pflichtgetreuen zu dichten Haufen, in die er immer wieder zerschmetternd fuhr, und malte ihnen das große Warum an den glutbehauchten Himmel, dörrte ihnen die Adern und brannte ihnen sein Mal in das entsetzte Hirn, wissend, sie werden ihm nie entrinnen.

Mit roten Narben schmückte er die mageren Verwegenen seines Reiches, er meißelte die kantigen Gesichter unter düsterem Helm, die scharfen, schmalen Linien um den Mund, um schroffes Kinn und starres, spähend zupackendes Auge.

Er schied die Heimat von der Front und die Nation vom Vaterland.
Sein heißer Atem aber fuhr in alle Winkel.
Da blätterte der angeklatschte Schmuck, es schmolz das unechte Metall, die Kruste wurde mürbe, der Gasdunst der Verwesung strich durch das Reich, und alle stolze Bindung faserte und brach..

Er riß die Masken vom Gesicht, und wessen die Lüge war, der stand in Lüge nackt und bloß, und wessen das Suchen war, der tastete im leeren Raum.

So wütete der Krieg, und die Stunden klatschten sengend in die Herzen,
und die Tage wurden rauchend rot vom Blut, die Jahre rannen unerbitterlich saugend, letztes Mark aus morschen Knochen ziehend, Opfer heischend völliger Erschöpfung zu.

Da schwelte es im Haus, da wurden alle Pfeiler brüchig, es knackte das Gebälk.
Die Waffen sprangen aus gekrampften Händen, was noch der Krieg in wachem Bann gehalten, sank, das Reich fiel auseinander.
Den Letzten war’s, als riefe eine Stimme ihnen zu: “Ihr scheutet keine Probe? – Hier! – Besteht sie!”