Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

2 
 März 
 
2021


 

Marcus Aurelius - Marc Aurel - Mark Aurel

Mark Aurel

 

 

Von Apollonius lernte ich die freie Denkart,
zwar mit Bedachtsamkeit, doch ohne Wankelmut auf nichts Rücksicht zu nehmen
als auf die gesunde Vernunft und stete Seelenruhe zu bewahren
unter den heftigsten Schmerzen, beim Verlust eines Kindes
und in langwierigen Krankheiten.
Er war mir ein lebendiges Beispiel,
wie man zugleich ernsthaft und doch leutselig sein könne.
Er zeigte sich beim Unterrichte nie mürrisch oder ungeduldig
und war dabei auf seine Lehrgeschicklichkeit
nicht im geringsten eingebildet.
Von ihm endlich lernte ich,
wie man Wohltaten von Freunden anzunehmen hat,
ohne sich weder zu demütigen
noch auch unerkenntlich dafür zu sein.
 
 
4 
 Januar 
 
2019

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

 

Fritz Katzfuß (2:38)
Theodor Fontane (1819 – 1898)
Fritz Katzfuß war ein siebzehnjähr’ger Junge,
Rothaarig, sommersprossig, etwas faul
Und stand in Lehre bei der Wittwe Marzahn,
Die geizig war und einen Laden hatte,
Drin Hering, Schlagwurst, Datteln, Schweizerkäse,
Sammt Pumpernickel, Lachs und Apfelsinen
Ein friedlich Dasein mit einander führten.
Und auf der hohen, etwas schmalen Leiter,
Mit ihren halb schon weggetret’nen Sprossen,
Sprang unser Katzfuß, wenn die Mädchen kamen,
Und Soda, Waschblau, Gries, Korinthen wollten,
Geschäftig hin und her.
                Ja, sprang er wirklich?
Die Wahrheit zu gestehn, das war die Frage.
Die Mädchen, deren Schatz oft draußen paßte,
Vermeinten ganz im Gegentheil, „er nöle,“
Sei wie verbiestert und durchaus kein „Katzfuß“.
Im Laden, wenn Frau Marzahn auf ihn passe,
Da ging’ es noch, wenn auch nicht grad’ aufs Beste,
Das Schlimme käm’ erst, wenn er wegen Selter-
Und Sodawasser in den Keller müsse,
Das sei dann manchmal gradzu zum Verzweifeln,
Und wär’ er nicht solch herzensguter Junge,
Der nie was sage, nie zu wenig gebe,
Ja, meistens, daß die Wagschal’ überklappe,
So wär’s nicht zu beleben.
                Und nicht besser
Klang, was die Herrin selber von ihm sagte,
Die Wittwe Marzahn. „Wo der dumme Junge
Nur immer steckt? Hier vorne muß er flink sein,
Doch soll er über’n Hof und auf den Boden,
So dauert’s ewig, und ist gar Geburtstag
Von Kaiser Wilhelm oder Sedanfeier
Und soll der Stock ’raus mit der preuß’schen Fahne
(Mein selger Marzahn war nicht für die deutsche),
Fritz darf nicht ’rauf, – denn bis Dreiviertelstunden
Ist ihm das Mind’ste.“
                
So sprach Wittwe Marzahn
Und kurz und gut, Fritz Katzfuß war ein Räthsel,
Und nur das Eine war noch räthselvoller,
Daß, wie’s auch drohn und donnerwettern mochte,
Ja, selbst wenn Blitz und Schlag zusammenfielen,
Daß Fritz nie maulte, greinte, wüthend wurde;
Nein, unverändert blieb sein stilles Lächeln
Und schien zu sagen: „Arme Kreaturen,
Ihr glaubt mich dumm, ich bin der Ueberlegne.
Kramladenlehrling! Eure Welt ist Kram,
Und wenn ihr Waschblau fordert oder Stärke,
Blaut zu, so viel ihr wollt. Mein Blau der Himmel.“

So ging die Zeit und Fritz war wohl schon siebzehn;
Ein Oxhoft Apfelwein war angekommen
Und lag im Hof. Von da sollt’s in den Keller.
Fritz schlang ein Tau herum und weil die Hitze
Groß war und drückend, was er wenig liebte,
So warf er seinen Shirting-Rock bei Seite,
Nicht recht geschickt, so daß der Kragenhängsel
Nach unten hing. Und aus der Vordertasche
Glitt was heraus und fiel zur Erde. Lautlos.
Fritz merkt’ es nicht. Die Wittwe Marzahn aber
Schlich sich heran und nahm ein Buch (das war es)
Vom Boden auf und sah hinein: „Gedichte.
Gedichte, 1. Theil, von Wolfgang Goethe.“
Zerlesen war’s und schlecht und abgestoßen
Und Zeichen eingelegt: ein Endchen Strippe.
Briefmarkenränder, und als dritt’ und letztes
(Zu glauben kaum), ein Streifen Schlagwurstpelle,
Die Seiten links und rechts befleckt, befettet,
Und oben stand, nun was? stand „Mignonlieder“,
Und Wittwe Marzahn las: „Dahin, dahin
Möcht’ ich mit Dir, o mein Geliebter, ziehn.“
    Nun war es klar. Um so ’was träg und langsam,
Um Goethe, Verse, Mignon.
Armer Lehrling,
Ich weiß Dein Schicksal nicht, nur eines weiß ich:
Wie Dir die Lehrzeit hinging bei Frau Marzahn,
Ging mir das Leben hin. Ein Band von Goethe
Blieb mir bis heut mein bestes Wehr und Waffen,
Und wenn die Wittwe Marzahns mich gepeinigt,
Und dumme Dinger, die nach Waschblau kamen,
Mich langsam fanden, kicherten und lachten,
Ich lächelte, grad so wie Du gelächelt,
Fritz Katzfuß, Du mein Ideal, mein Vorbild.
Der Band von Goethe gab mir Kraft und Leben,
Vielleicht auch Dünkel … All genau dasselbe,
Nur andres Haar und – keine Sommersprossen.
 
 
6 
 April 
 
2018

abgelegt in
Lesch, Sarah

 

SÄNGERIN Sarah Lesch



Testament

Auch du warst mal ein Kind
und auch ich war mal klein und auch uns haben sie was erzählt
und dann macht man das alles und versucht so zu sein,
und dann merkt man, dass einem was fehlt.
Und dann verlernt man sich richtig zu spür’n und man flüchtet sich in Kunst oder Konsum, und.
während jeder vielleicht sich Pläne macht, lachen die Götter sich krumm.

Lasst eure Kinder mal was dazu sagen,
hört Ihnen richtig zu.
Die spür’n sich noch, die haben Feeling für die Welt
die sind klüger als ich und du.

Und denkt dran, bevor ihr antwortet, ihr seid auch bloß verletzte Kinder
Am Ende gibts wieder ganz neue Symptome
und ihr wart die Erfinder.
Und dann sagt ihnen wieder wie es richtig geht:
” Werd’ Erwachsen!” und “bist du naiv!”
Predigt Formeln, lasst alles in Hefte schreiben,
die Götter lachen sich schief

Achtet auf Schönschrift und Lerhpläne und, dass sie die Bleistifte spitzen.
zeigt ihnen Bilder von Eichenblättern
während sie drinnen an Tischen sitzen.
und dann ackern und büffeln und wieder auskotzen
und am Nachmittag RTL2,
Am Wochende geht’s was schönes kaufen, fertig ist der Einheitsbrei. Und.
jeder, der sich nicht anpasst, wird zum Problemkind erklärt, und.
jeder die zu lebhaft ist, kriegt ‘ne Pille, damit sie nicht stört
Und damit betrügt ihr euch selber, denn
kein Kind ist ein Problem.

Und all’ die Freigeister, all die Schulschwänzer, nur Symptomträger im System

Doch bedenkt, wenn ihr so hart urteilt,
ihr seid auch bloß gefangene Geister.
Der Unmut wird immer lauter und die Lehrer schreien sich heiser.
Empört durch das Hänsschen nicht ist, was er sein soll
sondern nur, wer er nunmal ist.

Die Götter pullern sich ein vor Lachen
und ihr denkt, dass ihr was wisst.

Und wenn Hänschen ein Hans, der eigene Kinder hat,
denen er was erzählt, dann merkt Hans und Kunz und ihr vielleicht auch,
dass wieder irgendwas fehlt.
Ihr habt Wünsche und Träume und rennt damit ständig
an imaginäre Wände, und.
Jeder Wunsch, den ihr euch erfüllt, der ist dann halt auch zu Ende.
geht ihr nochmal hoch, erfundene Zahlen
und wartet bis die Burn-outs kommen.
Schmeißt euer Geld für Plastik raus, um ein kleines Glück zu bekommen.

Das beste aus Cerealien und Milch, noch’n Carpboard und noch ein Kredit, und.
alle finden’s Scheiße, aber
alle machen sie mit!

Alle finden’s scheiße,
aber alle machen sie mit.
Ihr klugscheißert und kauft trotzdem und die Werbung verkauft euch für dumm
und dann sitzt ihr vor euern Flachbildfernsehern
und meckert auf den Kosum.

Wenn ihr das Welt nennt, bin ich gern’ Weltfremd!
Die Götter lachen sich krumm.

Wenn ihr das Welt nennt, bin ich gern’ Weltfremd!
Die Götter lachen sich krumm…

Ihr Traumverkäufer, Symptomdesigner,
merkt ihr noch was passiert?
Wer hat euch das Land und das Wasser geschenkt,
dass ihr jetzt privatisiert?
Ihr Heuchler, ihr Lügner, ihr Rattenfänger, ihr Wertpapierverkäufer
wer hat euch Geist und Gefühl gegeben
und doch seid ihr nur Mitläufer.
Ihr großen, vernarbten, hilflosen Riesen, ihr wart doch auch mal klein.
Und jemand hat euch mit schweigen gestraft
und ließ euch damit allein.

Und jetzt hört ihr icht nur die Götter nicht lachen,
ihr hört auch die Kinder nicht weinen.
und sagt Ihnen weiter, es würde nicht weh tun, ohne es so zu meinen
Macht ihr ruhig Pläne, ich steh am Rand, ich seh euch
und ich bin nicht allein.’
Hinter mir stehen mehr und mehr Weltfremde,
die passen auch nicht hinein.

und jetzt wartet nicht auf ein versöhnliches Ende
den Gefallen tu ich euch nicht.
Kein Augenzwinkern, keine milde Pointe,
die das Unwohlsein wieder bricht.

Irgendwann werden die Götter nicht mehr lachen,
und falls es mich dann nicht mehr gibt,
hinterlass’ ich ein Kind, dass sich selbst gehört
Und dies’ unhandliche Lied.