Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

4 
 Januar 
 
2019

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein

 

Fritz Katzfuß (2:38)
Theodor Fontane (1819 – 1898)
Fritz Katzfuß war ein siebzehnjähr’ger Junge,
Rothaarig, sommersprossig, etwas faul
Und stand in Lehre bei der Wittwe Marzahn,
Die geizig war und einen Laden hatte,
Drin Hering, Schlagwurst, Datteln, Schweizerkäse,
Sammt Pumpernickel, Lachs und Apfelsinen
Ein friedlich Dasein mit einander führten.
Und auf der hohen, etwas schmalen Leiter,
Mit ihren halb schon weggetret’nen Sprossen,
Sprang unser Katzfuß, wenn die Mädchen kamen,
Und Soda, Waschblau, Gries, Korinthen wollten,
Geschäftig hin und her.
                Ja, sprang er wirklich?
Die Wahrheit zu gestehn, das war die Frage.
Die Mädchen, deren Schatz oft draußen paßte,
Vermeinten ganz im Gegentheil, „er nöle,“
Sei wie verbiestert und durchaus kein „Katzfuß“.
Im Laden, wenn Frau Marzahn auf ihn passe,
Da ging’ es noch, wenn auch nicht grad’ aufs Beste,
Das Schlimme käm’ erst, wenn er wegen Selter-
Und Sodawasser in den Keller müsse,
Das sei dann manchmal gradzu zum Verzweifeln,
Und wär’ er nicht solch herzensguter Junge,
Der nie was sage, nie zu wenig gebe,
Ja, meistens, daß die Wagschal’ überklappe,
So wär’s nicht zu beleben.
                Und nicht besser
Klang, was die Herrin selber von ihm sagte,
Die Wittwe Marzahn. „Wo der dumme Junge
Nur immer steckt? Hier vorne muß er flink sein,
Doch soll er über’n Hof und auf den Boden,
So dauert’s ewig, und ist gar Geburtstag
Von Kaiser Wilhelm oder Sedanfeier
Und soll der Stock ’raus mit der preuß’schen Fahne
(Mein selger Marzahn war nicht für die deutsche),
Fritz darf nicht ’rauf, – denn bis Dreiviertelstunden
Ist ihm das Mind’ste.“
                
So sprach Wittwe Marzahn
Und kurz und gut, Fritz Katzfuß war ein Räthsel,
Und nur das Eine war noch räthselvoller,
Daß, wie’s auch drohn und donnerwettern mochte,
Ja, selbst wenn Blitz und Schlag zusammenfielen,
Daß Fritz nie maulte, greinte, wüthend wurde;
Nein, unverändert blieb sein stilles Lächeln
Und schien zu sagen: „Arme Kreaturen,
Ihr glaubt mich dumm, ich bin der Ueberlegne.
Kramladenlehrling! Eure Welt ist Kram,
Und wenn ihr Waschblau fordert oder Stärke,
Blaut zu, so viel ihr wollt. Mein Blau der Himmel.“

So ging die Zeit und Fritz war wohl schon siebzehn;
Ein Oxhoft Apfelwein war angekommen
Und lag im Hof. Von da sollt’s in den Keller.
Fritz schlang ein Tau herum und weil die Hitze
Groß war und drückend, was er wenig liebte,
So warf er seinen Shirting-Rock bei Seite,
Nicht recht geschickt, so daß der Kragenhängsel
Nach unten hing. Und aus der Vordertasche
Glitt was heraus und fiel zur Erde. Lautlos.
Fritz merkt’ es nicht. Die Wittwe Marzahn aber
Schlich sich heran und nahm ein Buch (das war es)
Vom Boden auf und sah hinein: „Gedichte.
Gedichte, 1. Theil, von Wolfgang Goethe.“
Zerlesen war’s und schlecht und abgestoßen
Und Zeichen eingelegt: ein Endchen Strippe.
Briefmarkenränder, und als dritt’ und letztes
(Zu glauben kaum), ein Streifen Schlagwurstpelle,
Die Seiten links und rechts befleckt, befettet,
Und oben stand, nun was? stand „Mignonlieder“,
Und Wittwe Marzahn las: „Dahin, dahin
Möcht’ ich mit Dir, o mein Geliebter, ziehn.“
    Nun war es klar. Um so ’was träg und langsam,
Um Goethe, Verse, Mignon.
Armer Lehrling,
Ich weiß Dein Schicksal nicht, nur eines weiß ich:
Wie Dir die Lehrzeit hinging bei Frau Marzahn,
Ging mir das Leben hin. Ein Band von Goethe
Blieb mir bis heut mein bestes Wehr und Waffen,
Und wenn die Wittwe Marzahns mich gepeinigt,
Und dumme Dinger, die nach Waschblau kamen,
Mich langsam fanden, kicherten und lachten,
Ich lächelte, grad so wie Du gelächelt,
Fritz Katzfuß, Du mein Ideal, mein Vorbild.
Der Band von Goethe gab mir Kraft und Leben,
Vielleicht auch Dünkel … All genau dasselbe,
Nur andres Haar und – keine Sommersprossen.
 
 
19 
 Februar 
 
2016


 

DICHTUNG Max von Schenkendorf
LESUNG Hanns Zischler
BEREITSTELLUNG wortlover


 

Freiheit, die ich meine,
Die mein Herz erfüllt,
Komm mit deinem Scheine,
Süßes Engelbild!

Magst du nie dich zeigen
Der bedrängten Welt?
Führest deinen Reigen
Nur am Sternenzelt?

Auch bei grünen Bäumen
In dem lust’gen Wald,
Unter Blütenträumen
Ist dein Aufenthalt.

Ach! das ist ein Leben,
Wenn es weht und klingt,
Wenn dein stilles Weben
Wonnig uns durchdringt.

Wenn die Blätter rauschen,
Süßen Freundesgruß,
Wenn wir Blicke tauschen,
Liebeswort und Kuß.

Aber immer weiter
Nimmt das Herz den Lauf.
Auf der Himmelsleiter
Steigt die Sehnsucht auf.

Aus den stillen Kreisen
Kommt mein Hirtenkind,
Will der Welt beweisen,
Was es denkt und minnt.

Blüht ihm doch ein Garten,
Reift ihm doch ein Feld
Auch in jener harten
Steinerbauten Welt.

Wo sich Gottes Flamme
In ein Herz gesenkt,
Das am alten Stamme
Treu und liebend hängt;

Wo sich Männer finden,
Die für Ehr’ und Recht
Mutig sich verbinden,
Weilt ein frei Geschlecht.

Hinter dunklen Wällen,
Hinter ehrnem Tor
Kann das Herz noch schwellen
Zu dem Licht empor;

Für die Kirchenhallen,
Für der Väter Gruft,
Für die Liebsten fallen,
Wenn die Freiheit ruft.

Das ist rechtes Glühen,
Frisch und rosenrot:
Heldenwangen blühen
Schöner auf im Tod.

Wollest auf uns lenken
Gottes Lieb’ und Lust,
Wollest gern dich senken
In die deutsche Brust.

Freiheit, holdes Wesen,
Gläubig, kühn und zart,
Hast ja lang erlesen,
Dir die deutsche Art.

 
 
10 
 März 
 
2012

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Lutz Görner lädt uns zu einer literarischen Reise ein


 
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Rezitierte Gedichte

 
Brüder (0:22)
Johann Christian Günther (1695 – 1723)

Brüder lasst uns lustig sein,
Weil der Frühling währet,
Und der Jugend Sonnenschein
Unser Laub verkläret.
Grab und Bahre warten nicht.
Wer die Rosen jetzo bricht,
Dem ist der Kranz bescheret.

Das Haupt bekränzt, das Glas gefüllt,
So leb ich, weil es leben gilt.
An Rosen such ich mein Vergnügen,
An Rosen, die zu Herzen gehn,
An Rosen, die den Frost besiegen
Und hier das ganze Jahr durchblühn.

Auf Rosen mach ich gute Reime
Auf Rosen schläfet meine Brust.
Auf Rosen hab ich sanfte Träume
Von still und warm und weicher Lust.
Und wenn ich einst von hinnen fahre,
So wünsch ich Rosen auf die Bahre.

 

 

Als er ihretwegen einen schweren Traum hatte (1:40)
Johann Christian Günther (1695 – 1723)

Lass mich schlafen, Eleonore!
Willst du nicht zufrieden sein,
Dass ich mich am Tage quäle,
Und mein Herz viel tausend Pein

Deinetwegen muss ertragen?
Soll mich noch ein Schattenspiel
Mit verliebten Träumen plagen?
Engelskind, das ist zu viel!

Können selbst die ärmsten Sklaven,
Wenn das Schiff vor Anker liegt,
Bei der Nacht doch ruhig schlafen,
Ich allein schlaf unvergnügt;

Auch die Nacht kann mich nicht schützen,
Denn mein Herz erfährt dabei,
Dass es muss erbärmlich schwitzen:
Tag und Nacht ist einerlei.

Wenn der überhäufte Kummer
Meinen schwachen Gliederrest
Ganz zuletzt in einem Schlummer
Auf das Bette sinken lässt,

Darf ich zwar zum Himmel steigen,
Welcher deinen Schoß umschleußt,
Weil dein gütiges Bezeigen,
Mir im Traum die Leiter weist.

Und bei meinem süßen Schlafen,
Wenn sich Mast und Segel regt,
Läuft mein Schiff in deinen Hafen,
Den die Venus angelegt.

Ich beschiff bei Sturm und Blitzen
Diese neugefundne Welt,
Wenn die Wellen um mich spritzen,
Und der Schaum ins Bette fällt,

Land ich, eh ich michs versehe,
Bei den Zucker-Inseln an,
So dass ich sie in der Nähe
Halb entzückt besteigen kann.

Wenn ich mich in Träumen paare,
Find ich keinen Widerstand,
Den ich oft bei Tag erfahre.
Denn im Schlaf darf meine Hand

Nach den Purpurmuscheln greifen,
Die dein Ufer ausgesät.
Ja, ich darf noch weiter streifen,
Weil mir alles offen steht.

Aber, ach! wenn ich erwachet,
Sinket mir mein steifer Mut.
Ob ich gleich im Schlaf gelachet,
Und es mir noch sanfte tut.

Denn die Glieder sind zerschlagen,
Und der ausgebrochne Schweiß
Stehet, dass ichs kaum mag sagen,
Auf dem Leibe tropfenweis.

Drum so stelle, liebste Seele,
Künftig hin dein Martern ein.
Da ich mich am Tage quäle,
Lass die Nächte meine sein.

Sich am bloßen Schatten laben,
Ist ein Eis, das bald zerbricht.
Was ich nicht kann wachend haben,
Mag ich auch im Traume nicht.

 

 
An Leonoren (5:30)
Johann Christian Günther (1695 – 1723)

Mein Kummer weint allein um dich,
Mit mir ist’s so verloren,
Die Umständ überweisen mich,
Ich sey zur Noth gebohren.

Ach, spare Seufzer, Wuntsch und Flehn,
Du wirst mich wohl nicht wiedersehn
Als etwan in den Auen,
Die Glaub und Hofnung schauen.

Vor diesem, da mir Fleiß und Kunst
Auf künftig Glücke blühte
Und mancher sich um Günthers Gunst
Schon zum Voraus bemühte,

Da dacht ich, wider Feind und Neid
Die Palmen der Beständigkeit
Mit selbst erworbnem Seegen
Dir noch in Schoos zu legen.

Der gute Vorsaz geht in Wind;
Ich soll im Staube liegen
Und als das ärmste Findelkind
Mich unter Leuten schmiegen.

Man läst mich nicht, man stöst mich gar
Noch stündlich tiefer in Gefahr
Und sucht mein schönstes Leben
Der Marter preiszugeben.

So wird auch wohl mein Alter seyn
Ich bin des Klagens müde
Und mag nichts mehr gen Himmel Schreyn
Als: Herr, nun las im Friede!

Kraft, Muth und Jugend sind fast hin,
Daher ich nicht mehr fähig bin,
Durch auserlesne Sachen
Mir Gut und Ruhm zu machen.

Nimm also, liebstes Kind, dein Herz,
O schweres Wort, zurücke
Und kehre dich an keinen Schmerz,
Womit ich’s wiederschicke;

Es ist zu edel und zu treu,
Als daß es mein Gefehrte sey
Und wegen fremder Plage
Sein eignes Heil verschlage.

Du kanst dir durch dies theure Pfand
Was Köstlichers erwerben,
Mir mehrt es nur den Jammerstand
Und läst mich schwerer sterben;

Denn weil du mich so zärtlich liebst
Und alles vor mein Wohlseyn giebst,
So fühl ich halbe Leiche
Auch zweyfach scharfe Streiche.

Ich schwur vor diesem: Nur der Tod,
Sonst soll uns wohl nichts trennen;
Verzeih es jezo meiner Noth,
Die kan ich dir nicht gönnen;

Ich liebe dich zu rein und scharf,
Als daß ich noch begehren darf,
Daß Lorchen auf der Erde
Durch mich zur Wittwen werde.

So brich nur Bild und Ring entzwey
Und las die Briefe lodern;
Ich gebe dich dem ersten frey
Und habe nichts zu fodern.

Es küße dich ein andrer Mann,
Der zwar nicht treuer küßen kan,
Jedoch mit größerm Glücke
Dein würdig Brautkleid schmücke.

Vergiß mich stets und schlag mein Bild
Von nun an aus dem Sinne;
Mein leztes Wüntschen ist erfüllt,
Wofern ich dies gewinne,

Daß mit der Zeit noch jemand spricht:
Wenn Philimen die Ketten bricht,
So sind’s nicht Falschheitstriebe,
Er hast sie nur aus Liebe.

Ich sterbe dir, und soll ein fremder Sand
Den oft durch dich ergötzten Leib bedecken,
So gönne mir das letzte Liebespfand
Und laß ein Kreuz mit dieser Grabschrift stecken:
Wo ist ein Mensch, der treulich lieben kann?
Hier liegt der Mann.

 

 
Grabinschrift (7:24)
Johann Christian Günther (1695 – 1723)

Hier starb ein Schlesier, weil Glück und Zeit nicht wollte,
Dass seine Dichtkunst ganz zur Reife kommen sollte.
Mein Pilger, lies geschwind und wandre deine Bahn,
Sonst steckt dich noch mein Staub mit Lieb und Unglück an.