6 Januar 2019 |
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DICHTUNG | Khalil Gibran | |
LESUNG | Sebastian Koch | |
MUSIK-REALISATION | Andreas Lucas | |
BEREITSTELLUNG | LYRIK & MUSIK |
“Ihr möchtet die Zeit messen,
die doch ohne Maß ist und unermeßlich.
Ihr möchtet euer Handeln und selbst
den Lauf eures Geistes nach Stunden
und Jahreszeiten ordnen.
Aus der Zeit möchtet ihr einen Fluß machen,
von dessen Ufer aus ihr, in Muße,
dessen Strömen betrachten könnt.
Doch das Zeitlose in euch ist sich der Zeitlosigkeit des Lebens bewußt.
Und wer weiß, dass das Gestern nichts
als die Erinnerung des Heute und das
Morgen das, was das Heute erträumt.
Und was in euch singt und gewahrt,
wohnt nach wie vor in den Grenzen jenes
ersten Moments, der die Sterne im
Weltraum verstreute.
Wer von euch spürt etwa nicht, daß
seine Fähigkeit zu lieben unbegrenzt ist?
Und dennoch, wer empfindet nicht, daß
eben diese Liebe, wenn auch unbegrenzt,
doch restlos im Zentrum seines Wesens
enthalten ist und sich nicht von Liebes-
gedanken zu Liebesgedanken
bewegt – noch von Liebeshandlung zu Liebeshandlung?
Und ist etwa Zeit nicht ganz so wie die
Liebe – ungeteilt und raumlos?
Aber – wenn ihr schon die Zeit in
Gedanken nach Jahreszeiten bemessen
müßt, dann möge jede einzelne Jahres-
zeit alle übrigen Jahreszeiten umfasssen.
Und – das Heute umarme das Vergangene
mit Erinnern und das Künftige mit
Sehnsucht!”
14 September 2016 |
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DICHTUNG | Selma Meerbaum-Eisinger | |
LESUNG | Iris Berben | |
BEREITSTELLUNG | LYRIK & MUSIK |
Die Tage lasten schwül und schwer, voll wildem, bangem Weh.
Es ist in mir so kalt und leer, daß ich vor Angst
vergeh’.
Die Vögel ziehn gen Mittag hin, sie sind schon lange fort.
Schon seh’ ich keine Aster blühn, und auch die letzten
Falter fliehn, die Berge sind mit Herbst umflort.
Ich bin in Sehnsucht eingehüllt, ich sehne mich nach dir.
Mein heißes Sehnsuchtslied erfüllt die Welt und mich
mit ihr.
Der Regen, der eintönig rauscht, begleitet meinen Sang.
Und wer dem Regenliede lauscht und wer sich an dem
Weh berauscht, der hört auch meines Liedes Klang.
Nur du allein, du hörst es nicht – ach, weiß ich denn,
warum? Und wenn mein Lied einst gell zerbricht, du
bleibst auch kalt und stumm.
Dir macht es nichts, wenn jeder Baum mitleidig fleht: so
hör! Du gehst vorbei und siehst mich kaum, als wüßtest
du nicht meinen Traum, und ‘s fällt dir nicht mal
schwer.
Und doch bist du so bleich bedrückt, wie einer der
versteht, der seine Seufzer schwer erstickt und schwer
beladen geht.
Und doch ist Weh in deinem Blick, um deine Lippen Leid.
Verloren hast du wohl das Glück, es kommt wohl
nimmermehr zurück, und du – du bist »befreit«.
Nun ja, das Glück war dir zu schwer, du hast es hastig-
wild verstreut, und nun sind deine Hände leer, es füllt
sie nur noch Einsamkeit.
So stehst du da und wirfst den Kopf mit starrem Trotz
zurück, und sagst, was du ja selbst nicht glaubst – »Ich
pfeife auf das Glück!«
Und dann, wenn es schon längst vorbei, stehst du noch da
und starrst ihm nach, dann sehnst du es so heiß herbei,
es ist dir nicht mehr einerlei — dann bist du plötzlich
wach.
Zurück jedoch kommt es nie mehr – denn rufen willst du
nicht, und wäre die Leere so unendlich schwer, daß dein
Rücken darunter bricht.
So tragen wir beide dasselbe Leid, ein jeder für sich allein.
Mich krönt aus Tränen ein schweres Geschmeid’ und
dich ein Sehnsuchtsedelstein.
Und der Wind singt uns beiden den ewigen Sang von
Sehnen und Verzicht, doch auch wenn es dir zum
Sterben bang – du rufst mich trotzdem nicht.