Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

18 
 Juni 
 
2017

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Die Entführung der Europa

Musik
E-Clip & Future Frequency – Little Universe [1]Iono Music

Gedankenwogen

Ein sonnenreicher Tag verglüht.

Der Lichtesgabe voll gemessen
nimmt Helios [2]Der Sonnengott letzten Sonnenpfeil
aus gold’nem Köcher
und sendet ihn dem Göttervater Zeus,
der an des Ufers kühlem Saum
in eines Stiers Erscheinung
emporsteigt aus des Meeres Wogen,
… der Liebe längst entflammt.

Denn unweit steht
der Insel jüngste Königstochter [3]Europa, Tochter des phönizischen Königs Agenor und der Telephassa.

Mit dünenhaftem weichen Schritt
sucht sie nach Kostbarkeiten letzter Flut,
womit sie ihren Hals dann schmückt,
flicht Blumenzier ins lose Haar,
die milden Widerstreits der Wind zugleich entflicht
und lauscht des Wellenschlages Wonnespiel,
das fernher sanfte Weisen tönt [4]singt.

Und mehrend ihrer Schönheitsfülle Schatz,
weht lauen Lächelns Abendwind
mit leisem Sonnensang
besänftigend dem zahmgestimmten Stier
ins sinnverwehte Herz.

Das goldgehörnte Haupt
umwindet sie mit Blumenkränzen,
teilt ihrer Anmut Kleinod,
und schürt des Gottes Glutverlangen,
der schneefloh Schulter [5]weiße Sandband ihr nun zeigt.

Entfloh’ner Scheu’
besteigt die Wagende
des Stieres reizer Klippe,
ergreift des Hornes Schmuckkorall.

Und traut umspielt das Seegarn träufer Haare
der Brüste weicher Schwämme,
des Schweißes salz’ger Brise
des Stieres liebesmattes Haupt.

Der warmen Strömung Meeresbecken
treibt beide Well’ um Well‘
hinweg vom sicheren Gestade.

Und in des Herzens stiller Weite
entsinkt dem wogenschwanken Blick
das Festland auferlegter Bande.
→ zu Mnemosynes Geleit
Pygmalions Werkstatt

Fußnoten[+]

 
 
17 
 August 
 
2016

abgelegt in
Gedankenschau

 

Vielleicht liegt die eigentliche Freiheit nicht in der Unendlichkeit (aller Optionen), sondern in der Einengung (abzählbarer Möglichkeiten)?

Nicht in der Weite, sondern in der Begrenzung, nicht im weithin reichenden Weizenfeld, sondern in der eingegrenzten Gartenparzelle, nicht in der heillosen Aktivität, sondern der beschaulichen Beschäftigung, nicht in der Verpuffung, sondern in der Kanalisierung der (Geistes-)Kräfte, ist man Mensch und darf auch sein.

 
 
13 
 August 
 
2016

abgelegt in
Huch, Ricarda

 

Von dem Turme im Dorfe klingt
Ein süßes Geläute;
Man sinnt, was es deute,
daß die Glocke im Sturme nicht schwingt.
Mich dünkt, so hört ich‘s als Kind;
Dann kommen die Jahre der Schande;
Nun trägt’s in die Weite der Wind,
Dass Friede im Lande.

Wo mein Vaterhaus einst fest stand,
Wächst wuchernde Heide;
ich pflück, eh ich scheide,
einen Zweig mit zitternder Hand.
Das ist von der Väter Gut
Mein einziges Erbe;
Nichts bleibt, wo mein Haupt sich ruht,
bis ich einsam sterbe.

Meine Kinder verwehte der Krieg;
Wer bringt sie mir wieder?
Beim Klange der Lieder
Feiern Fürsten und Herren den Sieg.
Sie freuen sich beim Friedensschmaus,
die müß’gen Soldaten fluchen –
Ich ziehe am Stabe hinaus,
mein Vaterland suchen.

Textdichterin Ricarda Huch
Lesung Rosel Zech