Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

3 
 Dezember 
 
2016


 

Ein Erziehungsstil der „Verwöhnung“ und „Verzärtelung“ und seine Auswirkungen in bürgerlichen Familien wurden erstmals 1904 von Alfred Adler beschrieben. Adler, der autoritäre Erziehung und Strafen ablehnte, zählte neben körperlichen Mängeln und einem lieblos-autoritären oder kalten Umgang mit dem Kind auch die Verwöhnung zu den schädlichen Erziehungseinflüssen, durch die Kinder „leicht die beste Unterstützung ihres geistigen Wachstums“ verlören, nämlich „das Vertrauen in die eigene Kraft.“

Quelle: WikiPedia

Das Kind, dem
ein fürstlich Kleid man anzog,
und das Juwelen
um seinen Nacken trägt,
verliert alle Freude an seinem Spiel,
behindert vom Kleid
bei jedem Schritt.

Aus Furcht, es könnte zerreißen,
vom Staube befleckt sein,
hält es sich fern
von der Welt und fürchtet
beinah sich zu regen.

Mutter, es ist kein Gewinn
im Zwang deines Putzes,
wenn er uns ausschließt
vom heilsamen Staube der Erde,
wenn er des Rechts uns beraubt,
hinzuzutreten zum großen Markt
des gemeinen menschlichen Lebens.

 

Dichter  Rabindranath Tagore   |   Sprecher  Jürgen Fritsche

 
 
22 
 Mai 
 
2016


 

im_falschen_licht_carlo_schäfer
Dann stampfte er [Erster Hauptkommissar Theuer] die vielen Treppen hoch, die ihm als Ausrede dienten, keinen Sport zu treiben. In seiner kleinen Zweizimmerwohnung angekommen, ließ er sich auf den alten Sessel plumpsen und dachte an seine tote Frau. […]

Es war ein Abend, um die erwachsenen Kinder anzurufen, die er nicht hatte, oder bei den Geschwistern nachzufragen, wie die Kontrolluntersuchungen an Brust und Prostata gelaufen waren – er hatte keine Geschwister. Ein paar Cousins und Cousinen gab es, mehrheitlich im Pfälzer Wald und Saargebiet mit der Ehe mindestens so geschlagen wie er mit dem Alleinsein. […]

“Im falschen Licht” (Carlo Schäfer), S. 35, 36.

Theuer hat sie erfahren, die Hölle der Einsamkeit und wog sie nicht minder als manche “Vergesellschaftung” in einer unglücklichen Ehe, in der der Einsamkeit Schwester, das Nicht-Verstanden-Wissen, stete Begleiterin ist und Traurigkeit der nacheilende Schatten.

Es gibt Atheisten, die nicht an die Hölle glauben.
Es gibt Christen, die an den Himmel glauben.
Und es gibt Christen, die nur an den Himmel gedenken zu glauben, um nicht in der allverzehrenden Hölle zu landen.
Letztgenannte glauben nicht an den Himmel aus Liebe zu Gott, sondern aus Angst vor dem Teufel.
Sie glauben nicht aus Überzeugung, aus Liebe, sondern aus Gründen der Vermeidung, der Schadensbegrenzung.

Liebe, Überzeugung und authentische Hingabe sollten die Triebkraft in einer Beziehung sein, nicht die Angst oder gar Flucht vor der Einsamkeit.
Es ist besser allein zu bleiben, als (weiterhin) bestehende Einsamkeit in Liebe zu verkehren.

Die Hölle der Einsamkeit sollten man nicht eintauschen gegen den Himmel der vermeintlichen Zweisamkeit, erst recht nicht, wenn man nicht daran glaubt.

 
 
12 
 Oktober 
 
2015


 

 

Kaum sproßten aus den Wassern, o Erde, dir
Der jungen Berge Gipfel und dufteten
Lustatmend, immergrüner Haine
Voll, in des Ozeans grauer Wildnis

Die ersten holden Inseln; und freudig sah
Des Sonnengottes Auge die Neulinge,
Die Pflanzen, seiner ewgen Jugend
Lächelnde Kinder, aus dir geboren.

Da auf der Inseln schönster, wo immerhin
Den Hain in zarter Ruhe die Luft umfloß,
Lag unter Trauben einst, nach lauer
Nacht, in der dämmernden Morgenstunde

Geboren, Mutter Erde! dein schönstes Kind;-
Und auf zum Vater Helios sieht bekannt
Der Knab, und wacht und wählt, die süßen
Beere versuchend, die heilge Rebe

Zur Amme sich; und bald ist er groß; ihn scheun
Die Tiere, denn ein anderer ist, wie sie,
Der Mensch; nicht dir und nicht dem Vater
Gleicht er, denn kühn ist in ihm und einzig

Des Vaters hohe Seele mit deiner Lust,
O Erd! und deiner Trauer von je vereint;
Der Göttermutter, der Natur, der
Allesumfassenden möchte er gleichen!

Ach! darum treibt ihn, Erde! vom Herzen dir
Sein Übermut, und deine Geschenke sind
Umsonst und deine zarten Bande;
Sucht er ein Besseres doch, der Wilde!

Von seines Ufers duftender Wiese muß
Ins blütenlose Wasser hinaus der Mensch,
Und glänzt auch, wie die Sternenacht, von
Goldenen Früchten sein Hain, doch gräbt er

Sich Höhlen in den Bergen und späht im Schacht,
Von seines Vaters heiterem Lichte fern,
Dem Sonnengott auch ungetreu, der
Knechte nicht liebt und der Sorge spottet.

Denn freier atmen Vögel des Walds, wenn schon
Des Menschen Brust sich herrlicher hebt, und der
Die dunkle Zukunft sieht, er muß auch
Sehen den Tod, und allein ihn fürchten.

Und Waffen wider alle, die atmen, trägt
In ewigbangem Stolze der Mensch; im Zwist
Verzehrt er sich und seines Friedens
Blume, die zärtliche, blüht nicht lange.

Ist er von allen Lebensgenossen nicht
Der seligste? Doch tiefer und reißender
Ergreift das Schicksal, allausgleichend,
Auch die entzündbare Brust dem Starken.


 

Textdichter Friedrich Hölderlin
Lesung Christian Brückner
Bereitstellung Lyrik & Musik