Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

17 
 April 
 
2017


 

DICHTUNG Friedrich Hölderlin
LESUNG Mathias Wieman


 

Da ich ein Knabe war,
rettet’ ein Gott mich oft
vom Geschrei und der Rute der Menschen,
da spielt’ ich sicher und gut
mit den Blumen des Hains,
und die Lüftchen des Himmels
spielten mit mir.

Und wie du das Herz
der Pflanzen erfreuest,
wenn sie entgegen dir
die zarten Arme strecken,
so hast du mein Herz erfreut,
Vater Helios! und, wie Endymion,
war ich dein Liebling,
heilige Luna.

O all ihr treuen,
freundlichen Götter!
Daß ihr wüßtet,
wie euch meine Seele geliebt!

Zwar damals rief ich noch nicht
euch mit Namen, auch ihr
nanntet mich nie, wie Menschen sich nennen,
als kennten sie sich.

Doch kannt’ ich euch besser,
als ich je die Menschen gekannt,
ich verstand die Stille des Äthers,
Der Menschen Worte verstand ich nie.

Mich erzog der Wohllaut
des säuselnden Hains,
und lieben lernt’ ich
unter den Blumen.
Im Arme der Götter wuchs ich groß.

 
 
28 
 Februar 
 
2017


 


Hochgepriesenes Griechenland du,
das längst dem Bewusstsein
uns’rer ernüchterten Tage entfloh’n [1]entschwunden,
du zeugtest die einsten Helden antiker Vorwelt,
die allzeit verehrten.

Auf deinem Amboss
stählte die Gottheit
mit wuchtigem Hammer den Heros,
schmiedete funkenentfahrend
und makeltilgend den göttlichen Streiter.

Wohl dem Erdensohn,
der vom Götterschmied selbst, von Hephaistos,
auf den Amboss gezerrt
wahre Vollendung erlangt.

Fest im Zangengriff nimmt der Meister
das glühende Eisen
vom kohlebeschürten Glutherd
und rückt es gefügig
auf des Ambosses ebener Fläche zurecht.
Donnergleich fährt des Hammerschwungs Allmacht danieder
und zwingt das erweichte Metall
zur vollendeten Form.
Abgeschreckt im Wasserbad
taucht aus der Flut es empor
und erfreuet den prüfenden Blick.

So füllt sich mit allerlei Schmiedwerk,
mit allerlei kostbarem Kriegsgerät
die Waffenkammer der Götter.

* * *

Allen voran preis’ ich Herakles,
gehärtete Spitze des sühnenden Pfeils,
der siegesbeflügelt und zielgewiss im Gigantenkampf,
die entscheidende Wende herbeiführte,
den himmlischen Göttern zugunsten.
Siegreicher Kriegsheld,
in dir einst verklärte sich, nahm Gestaltung
der schaffende Wille und formte das Göttliche
mit dem Hammer allwaltenden Schicksals.

Auch Achilles
durchlief des Götterschmieds heimliche Werkstatt,
war in der Griechen Armee
der nie fehlende Speer zu den Mauern Trojas,
durfte sich rühmlich erzeigen,
bevor ihn am skäischen Tor
des Paris’ verderblich’ Geschoss
und damit sein Unheil ereilte.
Siegreicher Kriegsheld auch du!
Groß war dein furchtloser Kampfesmut,
nicht minder deine Verheißung.
So empfing dein sterbliches Haupt der Unsterblichkeit Krone!

* * *

Wunderwerke
vollbrachte der Schmied in geschäftigter Kammer.
Durch seiner Hände Tat
verlieh er der Vorstellung selbst,
dem Reich kühner Träume,
feste Natur in fassbaren Zügen,
half er doch einst auch mit spaltender Axt
dem Zeus bei der Kopfgeburt der Athene,
die in voller Rüstung Erstand’ne.
→ zu Mnemosynes Geleit
Hephaistos’ Kunstschmiede

Fußnoten[+]

 
 
28 
 Januar 
 
2017


 

Je differenzierter, je feinfühliger und beziehungsreicher wir zu lesen verstehen, desto mehr sehen wir jeden Gedanken und jede Dichtung in ihrer Einmaligkeit, in ihrer Individualität und engen Bedingtheit, und sehen, daß alle Schönheit, aller Reiz gerade auf dieser Individualität und Einmaligkeit beruht und zugleich glauben wir dennoch, immer deutlicher zu sehen, wir alle diese hunderttausend Stimmen der Völker nach demselben Ziele streben, unter anderem Namen dieselben Götter anrufen, dieselben Wünsche träumen, dieselben Leiden leiden.

Aus dem tausendfältigen Gespinste unzähliger Sprachen und Bücher aus mehreren Jahrtausenden blickt in erleuchteten Augenblicken den Leser eine wunderlich erhabene und überwirkliche Chimäre an:
das Angesicht des Menschen, aus tausend widersprechenden Zügen zur Einheit gezaubert.

 

Dichtung Hermann Hesse
Lesung Roger Willemsen
Bereitstellung Lyrik & Musik
Arrangement Schönherz & Fleer