Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

19 
 Oktober 
 
2012


 

Ich liebe dich, du sanftestes Gesetz,
an dem wir reiften, da wir mit ihm rangen;
du großes Heimweh, das wir nicht bezwangen,
du Wald, aus dem wir nie hinausgegangen,
du Lied, das wir mit jedem Schweigen sangen,
du dunkles Netz,

darin sich flüchtend die Gefühle fangen.

Du hast dich so unendlich groß begonnen
an jenem Tage, da du uns begannst, –
und wir sind so gereift in deinen Sonnen,
so breit geworden und so tief gepflanzt,
dass du in Menschen, Engeln und Madonnen
dich ruhend jetzt vollenden kannst.

Lass deine Hand am Hang der Himmel ruhn
und dulde stumm, was wir dir dunkel tun.

 

 

Textdichter Rainer Maria Rilke
Lesung Gudrun Landgrebe
Bereitstellung wortlover

 
 
4 
 September 
 
2012

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DICHTUNG Gottfried Benn
LESUNG Gottfried Benn



Astern – schwälende Tage,
alte Beschwörung, Bann,
die Götter halten die Waage
eine zögernde Stunde an.

Noch einmal die goldenen Herden,
der Himmel, das Licht, der Flor,
was brütet das alte Werden
unter den sterbenden Flügeln vor?

Noch einmal das Ersehnte,
den Rausch, der Rosen Du –
der Sommer stand und lehnte
und sah den Schwalben zu,

Noch einmal ein Vermuten,
wo längst Gewissheit wacht:
Die Schwalben streifen die Fluten
und trinken Fahrt und Nacht.

 
 
4 
 September 
 

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DICHTUNG Gottfried Benn
LESUNG Gottfried Benn



“Rot ist der Abend auf der Insel von Palau
und die Schatten sinken -”
singe, auch aus den Kelchen der Frau
läßt es sich trinken,
Totenvögel schrein
und die Totenuhren
pochen, bald wird es sein
Nacht und Lemuren.

Heiße Riffe. Aus Eukalypten geht
Tropik und Palmung,
was sich noch hält und steht,
will auch Zermalmung
bis in das Gliederlos,
bis in die Leere,
tief in den Schöpfungsschoß
dämmernder Meere.

Rot ist der Abend auf der Insel von Palau
und im Schattenschimmer
hebt sich steigend aus Dämmer und Tau:
“niemals und immer”,
alle Tode der Welt
sind Fähren und Furten,
und von Fremden umstellt
auch deine Geburten –

einmal mit Opferfett
auf dem Piniengerüste
trägt sich dein Flammenbett
wie Wein zur Küste,
Megalithen zuhauf
und die Gräber und Hallen,
Hammer des Thor im Lauf
zu den Asen zerfallen –

wie die Götter vergehn
und die großen Cäsaren,
von der Wange des Zeus emporgefahren –
singe, wandert die Welt
schon in fremdestem Schwunge,
schmeckt uns das Charonsgeld
längst unter der Zunge.

Paarung. Dein Meer belebt
Sepien, Korallen,
was sich noch hält und hebt,
will auch zerfallen,
rot ist der Abend auf der Insel von Palau,
Eukalyptenschimmer
hebt in Runen aus Dämmer und Tau:
niemals und immer.