Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

18 
 Juli 
 
2016


 

DICHTUNG Hermann Hesse
LESUNG Dagmar Manzel
GESANG Knabenchor Hannover
BEREITSTELLUNG LYRIK & MUSIK


 

Ich dachte, mein menschliches Denken und Fühlen wäre erreicht … doch dann kam Hesse mit allgewaltiger Sprache und dieser herzdurchwebenden Musik und mir wurde gewahr, dass ich irrte!

Traum gibt, was Tag verschloß;
Nachts, wenn der Wille erliegt,
Streben befreite Kräfte empor,
Göttlicher Ahnung folgend.
Wald rauscht und Strom, und durch der regen Seele
Nachtblauen Himmel Wetterleuchten weht.

In mir und außer mir
Ist ungeschieden, Welt und ich ist eins.
Wolke weht durch mein Herz,
Wald träumt meinen Traum,
Haus und Birnbaum erzählen mir
Die vergessene Sage gemeinsamer Kindheit.
Ströme hallen und Schluchten schatten in mir,
Mond ist und bleicher Stern mein vertrauter
Gespiele.

Aber die milde Nacht,
Die sich über mich mit sanftem Gewölke neigt,
Hat meiner Mutter Gesicht,
Küßt mich lächelnd in unerschöpflicher Liebe,
Schüttelt träumerisch wie in alter Zeit
Ihr geliebtes Haupt, und ihr Haar
Wallt durch die Welt, und es zittern
Blaß aufzuckend darin die tausend Sterne.

 
 
13 
 Januar 
 
2016


 

DICHTUNG Antoine de Saint-Exupéry
LESUNG Oskar Werner
BEREITSTELLUNG LYRIK & MUSIK


 

 
Erbarme Dich meiner, o Herr, denn meine Einsamkeit lastet auf mir. Es gibt nichts, auf das ich wartete. Hier bin ich in dieser Kammer, in der nichts zu mir spricht. Und doch wünsche ich nicht die Gegenwart der Menschen herbei, denn ich weiß mich noch verlorener, wenn ich in der Menge untertauche. Aber sich jene andere, die mir gleicht und die sich in eben solch einer Kammer befindet und sich doch glücklich fühlt, wenn die Menschen, denen ihre Zärtlichkeit gehört, anderswo im Hause geschäftig sind. Sie hört sie nicht und sieht sie nicht. Sie empfängt nichts von ihnen im Augenblick. Aber um glücklich zu sein, genügt es ihr zu wissen, daß ihr Haus bewohnt ist.

Herr, auch ich erwarte nicht etwas, das ich sehen oder hören könnte. Deine Wunder sind nicht für die Sinne. Doch um mich zu heilen, genügt es, wenn Du meinen Geist erleuchtest, so daß ich mein Heim verstehe.

Wenn der Wanderer in seiner Wüste einem bewohnten Haus angehört, so freut er sich dessen, obwohl er weiß, dass es am anderen Ende der Welt liegt. Keine Entfernung hält ihn davon ab, sich von ihm nähren zu lassen, und wenn er stirbt, stirbt er in der Liebe … Ich erwarte also nicht einmal, Herr, dass mein Heim mir nahe sei.

Sieh den Spaziergänger, dem in der Menge ein Gesicht auffällt. Er verwandelt sich, selbst wenn das Gesicht nicht für ihn bestimmt ist. So geht es jenem Soldaten, der in die Königin verliebt ist: Er wird Soldat einer Königin. Ich erwarte also nicht einmal, Herr, dass jenes Heim mir verheißen sei.

Auf den weiten Meeren gibt es glühende Schicksale, die sich einer gar nicht vorhandenen Insel geweiht haben. Sie singen, während sie auf dem Schiff sind, die Hymne der Insel und fühlen sich glücklich dabei. Nicht die Insel ist es, die sie glücklich macht, sondern der Gesang. Ich erwarte also nicht einmal, Herr, dass jenes Heim überhaupt bestehe …

Die Einsamkeit, Herr, ist nur Frucht des Geistes, wenn er krank ist. Er bewohnt nur ein Vaterland, das der Sinn der Dinge ist. So ist es mit dem Tempel, wenn er Sinn der Steine ist. Nur für diesen Raum hat der Geist Flügel. Er freut sich nicht über die Dinge, sondern allein über das Gesicht, das man durch sie hindurch erkennt und das sie miteinander verknüpft.

Gib nur, dass ich es abzulesen lerne.

Dann, Herr, wird meine Einsamkeit überstanden sein…

 
 
8 
 August 
 
2015


 

DICHTUNG Georg Trakl
LESUNG Oskar Werner
BEREITSTELLUNG LYRIK & MUSIK


 

Die bunten Bilder, die das Leben malt
Seh’ ich umdüstert nur von Dämmerungen,
Wie kraus verzerrte Schatten, trüb und kalt,
Die kaum geboren schon der Tod bezwungen.

Und da von jedem Ding die Maske fiel,
Seh’ ich nur Angst, Verzweiflung, Schmach und Seuchen,
Der Menschheit heldenloses Trauerspiel,
Ein schlechtes Stück, gespielt auf Gräbern, Leichen.

Mich ekelt dieses wüste Traumgesicht.
Doch will ein Machtgebot, daß ich verweile,
Ein Komödiant, der seine Rolle spricht,
Gezwungen, voll Verzweiflung – Langeweile!