Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

19 
 Mai 
 
2017

abgelegt in
Gedankenschau

 

(Maß)Krug versus Rotweinflasche versus Sektglas?

Bier-Stemmer, Rotwein-Süffler und Sektglas-Swinger sind bekanntlich die drei Lager [1]Gelage unterschiedlicher Genuss-Religionen: Erstere glauben an ein Leben nach dem Rausch, zweitere an ein Leben im Rausch und letztere an gar keinen Rausch.

Die temporäre (Er-)Lösung aller Weltprobleme mit allversöhnlicher Absolution jeglicher Seelenlaster ist allerdings allen dreien gemeinsam.
Und damit sollten auch schlussendlich die Glaubenskriege beigelegt werden.

Fußnoten[+]

 
 
7 
 September 
 
2016


 

DICHTUNG Rainer Maria Rilke
LESUNG Oskar Werner
MUSIK Peter Tschaikowsky
BEREITSTELLUNG LYRIK & MUSIK



Herr, es ist Zeit. Der Sommer war sehr groß.
Leg deinen Schatten auf die Sonnenuhren,
und auf den Fluren lass die Winde los.

Befiehl den letzten Früchten, voll zu sein;
gib ihnen noch zwei südlichere Tage,
dränge sie zur Vollendung hin, und jage
die letzte Süße in den schweren Wein.

Wer jetzt kein Haus hat, baut sich keines mehr.
Wer jetzt allein ist, wird es lange bleiben,
wird wachen, lesen, lange Briefe schreiben
und wird in den Alleen hin und her
unruhig wandern, wenn die Blätter treiben.

 
 
29 
 August 
 
2016


 

DICHTUNG Georg Trakl
LESUNG Oskar Werner
BEREITSTELLUNG LYRIK & MUSIK


 

I

Vom Schatten eines Hauchs geboren
Wir wandeln in Verlassenheit
Und sind im Ewigen verloren,
Gleich Opfern unwissend, wozu sie geweiht.

Gleich Bettlern ist uns nichts zu eigen,
Uns Toren am verschloßnen Tor.
Wie Blinde lauschen wir ins Schweigen,
In dem sich unser Flüstern verlor.

Wir sind die Wandrer ohne Ziele,
Die Wolken, die der Wind verweht,
Die Blumen, zitternd in Todeskühle,
Die warten, bis man sie niedermäht.

II

Daß sich die letzte Qual an mir erfülle,
Ich wehr’ euch nicht, ihr feindlich dunklen Mächte.
Ihr seid die Straße hin zur großen Stille,
Darauf wir schreiten in die kühlsten Nächte.

Es macht mich euer Atem lauter brennen,
Geduld! Der Stern verglüht, die Träume gleiten
In jene Reiche, die sich uns nicht nennen,
Und die wir traumlos dürfen nur beschreiten.

III

Du dunkle Nacht, du dunkles Herz,
Wer spiegelt eure heiligsten Gründe,
Und eurer Bosheit letzte Schlünde?
Die Maske starrt vor unserm Schmerz –

Vor unserm Schmerz, vor unsrer Lust
Der leeren Maske steinern Lachen,
Daran die irdnen Dinge brachen,
Und das uns selber nicht bewußt.

Und steht vor uns ein fremder Feind,
Der höhnt, worum wir sterbend ringen,
Daß trüber unsre Lieder klingen
Und dunkel bleibt, was in uns weint.

IV

Du bist der Wein, der trunken macht,
Nun blut ich hin in süßen Tänzen
Und muß mein Leid mit Blumen kränzen!
So will’s dein tiefster Sinn, o Nacht!

Ich bin die Harfe in deinem Schoß,
Nun ringt um meine letzten Schmerzen
Dein dunkles Lied in meinem Herzen
Und macht mich ewig, wesenlos.

V

Tiefe Ruh – o tiefe Ruh!
Keine fromme Glocke läutet,
Süße Schmerzensmutter du –
Deinen Frieden todgeweitet.
Schließ mit deinen kühlen, guten
Händen alle Wunden zu –
Daß nach innen sie verbluten –
Süße Schmerzensmutter – du!