Lyrik ~ Klinge
    Versuch einer Dichtung            

4 
 September 
 
2012

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DICHTUNG Gottfried Benn
LESUNG Gottfried Benn



Astern – schwälende Tage,
alte Beschwörung, Bann,
die Götter halten die Waage
eine zögernde Stunde an.

Noch einmal die goldenen Herden,
der Himmel, das Licht, der Flor,
was brütet das alte Werden
unter den sterbenden Flügeln vor?

Noch einmal das Ersehnte,
den Rausch, der Rosen Du –
der Sommer stand und lehnte
und sah den Schwalben zu,

Noch einmal ein Vermuten,
wo längst Gewissheit wacht:
Die Schwalben streifen die Fluten
und trinken Fahrt und Nacht.

 
 
17 
 Juli 
 
2012

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2

 

DICHTUNG Ingeborg Bachmann
LESUNG Ingeborg Bachmann
BEREITSTELLUNG wortlover


 

Der alte Mann sagt: mein Engel, wie du willst,
wenn du nur den offenen Abend stillst
und an meinem Arm eine Weile gehst,
den Wahlspruch verlorener Linden verstehst,
die Lampen, gedunsen, betreten im Blau,
letzte Gesichter! Nur deins glänzt genau.
Tot die Bücher, entspannt die Pole der Welt,
was die dunkle Flut noch zusammenhält,
die Spange in deinem Haar scheidet aus.
Ohne Aufenthalt Windzug in meinem Haus.
Mondpfiff – dann auf freier Strecke der Sprung,
die Liebe geschleift von Erinnerung.

Der junge Mann fragt: und wirst du auch immer?
Schwör’s bei den Schatten in meinem Zimmer,
und ist der Lindenspruch dunkel und wahr,
sag ihn her mit Blüten und öffne dein Haar,
und den Puls der Nacht, die verströmen will!
Dann ein Mondsignal, und der Wind steht still.
Gesellig die Lampen im blauen Licht,
bis der Raum mit der vagen Stunde bricht,
unter sanften Bissen dein Mund einkehrt
bei meinem Mund, bis dich Schmerz belehrt:
lebendig das Wort, das die Welt gewinnt,
ausspielt und verliert, und Liebe beginnt.

Das Mädchen schweigt bis die Spindel sich dreht.
Sterntaler fällt. Die Zeit der Rosen vergeht:
ihr Herren, gebt mir das Schwert in die Hand,
und Jeanne d’Arc rettet das Vaterland.
Leute wir bringen das Schiff durch’s Eis,
ich halte den Kurs, den keiner mehr weiß.
Kaufe Anemonen! Drei Wünsche das Bund,
die schließen vorm Hauch eines Wunsches den Mund.
Vom hohen Trapez im Zirkuszelt
spring ich durch den Feuerreifen der Welt,
ich gebe mich in die Hand meines Herrn,
und er schickt mir gnädig den Abendstern.

 
 
1 
 Juli 
 
2012


 

DICHTUNG Andreas Gryphius
LESUNG Ritter von Schönhering
BEREITSTELLUNG Ritter von Schönhering


 

Wo Lust ist / da ist Angst; wo Freud’ ist / da sind Klagen.
Wer schöne Rosen siht / siht Dornen nur dabey;
Kein Stand /kein Ort / kein Mensch ist seines Creutzes frey.
Wer lacht; fühlt wenn er lacht im Hertzen tausend Plagen.

Wer hoch in Ehren sitzt / muß hohe Sorgen tragen.
Wer ist / der Reichthumb acht’/ und loß von Kummer sey
Wo Armut ist; ist Noth. Wer kennt wie mancherley
Traur-würmer uns die Seel und matte Sinnen nagen?

Ich red’ es offenbahr / so lang als Titans Licht
Vom Himmel ab bestralt / mein bleiches Angesicht /
Ist mir noch nie ein Tag / der gantz ohn Angst / bescheret

O Welt du Thränen Thal! recht selig wird geschätzt;
Der eh er einen Fuß / hin auff die Erden setzt /
Bald aus der Mutter Schoß ins Himmels Lusthauß fähret.