7 August 2016 | |
DICHTUNG | Josef Weinheber | |
LESUNG | Corinna Kirchhoff |
Du gabst im Schlafe, Gott, mir das Gedicht.
Ich werde es im Wachen nie begreifen.
Nachbildend Zug um Zug das Traumgesicht,
nur sehnen kann ich mich und Worte häufen.
Da es ein Klang war, sollt ich es nicht hören?
Da es ein Bild war, sollt ich es nicht sehn?
Nun wird die Oberfläche mich betören,
im Tonfall wird der Klang zuschanden gehn.
Wie war es doch? Es war in seligem Traume.
Nur noch in solchem Wachsein lebe ich.
Die Augen schließend, raubt es mich dem Raume.
Traum schlägt den Blick auf, und ich schaue dich.
12 April 2016 | |
Die Krähen schrein
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnein, –
Wohl dem, der jetzt noch – Heimat hat!
Nun stehst du starr,
Schaust rückwärts, ach! wie lange schon!
Was bist du Narr
Vor Winters in die Welt entflohn?
Die Welt – ein Tor
Zu tausend Wüsten stumm und kalt!
Wer das verlor,
Was du verlorst, macht nirgends Halt.
Nun stehst du bleich,
Zur Winter-Wanderschaft verflucht,
Dem Rauche gleich,
Der stets nach kältern Himmeln sucht.
Flieg, Vogel, schnarr
Dein Lied im Wüstenvogel-Ton! –
Versteck, du Narr,
Dein blutend Herz in Eis und Hohn!
Die Krähen schrein
Und ziehen schwirren Flugs zur Stadt:
Bald wird es schnein, –
Weh dem, der keine Heimat hat!
Dichtung | Friedrich Nietzsche | |
Lesung | Frank Suchland | |
Musik | Wolfgang Amadeus Mozart – Requiem d-Moll VII. Lacrimosa · Amor Artis Orchester & Chor |
7 Oktober 2012 | |
DICHTUNG | Erich Fried | |
LESUNG | Erich Fried | |
BEREITSTELLUNG | wortlover |
Triptychon (Frankfurt-Neckargemünd-Dilsberg)
1
Deutlich die Bilder
der Erinnerung
und der Sehnsucht
Deine wartende Hand
der Ausdruck deiner Augen
und die Haarlocke
die dein linkes Auge verschattet
Oder Bäume
die Bäume zu beiden Seiten
unserer Mainbrücke
als stünden sie mitten im Wasser
(aber stehen auf einer Insel
auf festem Grund)
2
Und ich mitten
in dieser Ferne von dir
denke in die Ferne
denke an die Nähe
denke an deinen Atem
an mein Leben mitten im Wasser
(auf meiner Insel
die nicht meine
und nicht im Main ist)
Zu viele Linien waren in meiner Hand
zu viele Menschen waren auf dieser Messe
zuviel Gesoll und Gehaben
zuviel Zeit ohne dich
3
Im Neckar gespiegelt
Herbstsonne ohne dich
Glänzende Flecken
wandern von Stunde zu Stunde
flußauf und beleuchten
die Hinterburg
rechts am Hang
Langsam erkaltendes Licht
auf dem Balkon ohne dich
Und im Zimmer die Bücher
in der Küche die Teemaschine
ohne dich
und das rötliche Buntsandsteinpflaster
auf dem ich noch einmal hinauf
zur „Sonne” und wieder
hinuntergehe
in das Haus ohne dich
Nun Nachdenken
nun Ausruhen
ohne dich
Kummer lernen
Er wird nicht der Einzige sein
Herbst lernen
Frösteln lernen
Ins Tal schauen
ohne dich.