31 Dezember 2017 | |
Erich Mühsam (1878 – 1934)
Die Welt, o glaubs nur, kann dich missen.
Kein Stern, um dessen Licht du wirbst,
Wird mit dir in den Tod gerissen.
Solang du lebst, wirst du gebraucht.
Soll dich das Leben nicht vergessen,
Sorg, dass die Tat nicht untertaucht,
An der du deine Kraft gemessen.
Leb, dass du stündlich sterben kannst,
In Pflicht und Freude stark und ehrlich.
Nicht dich – das Werk, das du begannst,
Mach für die Menschheit unentbehrlich!
Erich Mühsam (1878 – 1934)
im Zivilstand Lampenputzer;
ging im Revoluzzerschritt
mit den Revoluzzern mit.
Und er schrie: “Ich revolüzze!”
Und die Revoluzzermütze
schob er auf das linke Ohr,
kam sich höchst gefährlich vor.
Doch die Revoluzzer schritten
mitten in der Straßen Mitten,
wo er sonsten unverdrutzt
alle Gaslaternen putzt.
Sie vom Boden zu entfernen,
rupfte man die Gaslaternen
aus dem Straßenpflaster aus,
zwecks des Barrikadenbaus.
Aber unser Revoluzzer
schrie: “Ich bin der Lampenputzer
dieses guten Leuchtelichts.
Bitte, bitte, tut ihm nichts!
Wenn wir ihn’ das Licht ausdrehn,
kann kein Bürger nichts mehr sehen.
Lasst die Lampen stehn, ich bitt! –
Denn sonst spiel ich nicht mehr mit!”
Doch die Revoluzzer lachten,
und die Gaslaternen krachten,
und der Lampenputzer schlich
fort und weinte bitterlich.
Dann ist er zu Haus geblieben
und hat dort ein Buch geschrieben:
nämlich, wie man revoluzzt
und dabei doch Lampen putzt.
Erich Mühsam (1878 – 1934)
Der Reiche klappt den Pelz empor,
Und mollig glüht das Ofenrohr.
Der Arme klebt, dass er nicht frier,
Sein Fenster zu mit Packpapier.
Februar:
Im Fasching schaut der reiche Mann
Sich gern ein armes Mädchen an.
Wie zärtlich oft die Liebe war,
Wird im November offenbar.
März:
Achtzehnachtundvierzig schien
Die neue Zeit heraufzuziehn.
Ihr, meine Zeitgenossen, wisst,
Dass heut noch nicht mal Vormärz ist.
April:
Wer Diplomate werden will,
Nehm sich ein Muster am April.
Aus heiterm Blau bricht der Orkan,
Und niemand hat’s nachher getan.
Mai:
Der Revoluzzer fühlt sich stark.
Des Reichen Vorschrift ist ihm Quark.
Er feiert stolz den ersten Mai.
(Doch fragt er erst die Polizei.)
Juni:
Mit Weib und Kind in die Natur,
Zur Heilungs-, Stärkungs-, Badekur.
Doch wer da wandert bettelarm,
Den schnappt der würdige Gendarm.
Juli:
Wie so ein Schwimmbad doch erfrischt,
Wenns glühend heiß vom Himmel zischt!
Dem Vaterland dient der Soldat,
Kloppt Griffe noch bei dreißig Grad.
August:
Wie arg es zugeht auf der Welt,
Wird auf Kongressen festgestellt.
Man trinkt, man tanzt, man redet froh,
Und alles bleibt beim Status quo.
September:
Vorüber ist die Ferienzeit.
Der Lehrer hält den Stock bereit.
Ein Kind sah Berg und Wasserfall,
Das andre nur den Schweinestall.
Oktober:
Zum Herbstmanöver rücken an
Der Landwehr- und Reservemann.
Es drückt der Helm, es schmerzt das Bein.
O welche Lust, Soldat zu sein!
November:
Der Tag wird kurz. Die Kälte droht.
Da tun die warmen Kleider not.
Ach, wärmte doch der Pfandschein so
Wie der versetzte Paletot!
Dezember:
Nun teilt der gute Nikolaus
Die schönen Weihnachtsgaben aus.
Das arme Kind hat sie gemacht,
Dem reichen werden sie gebracht.
Erich Mühsam (1878 – 1934)
Bei Sturm und Höllenglut.
Wir lernten in den Tod zu gehn,
Nicht achtend unser Blut.
Und wenn sich einst die Waffe kehrt
Auf die, die uns den Kampf gelehrt,
Sie werden uns nicht feige sehn.
Ihr Unterricht war gut.
Wir töten, wie man uns befahl,
Mit Blei und Dynamit,
Für Vaterland und Kapital,
Für Kaiser und Profit.
Doch wenn erfüllt die Tage sind,
Dann stehn wir auf für Weib und Kind
Und kämpfen, bis durch Dunst und Qual
Die lichte Sonne sieht.
Soldaten! Rufts von Front zu Front:
Es ruhe das Gewehr!
Wer für die Reichen bluten konnt,
Kann für die Seinen mehr.
Ihr drüben! Auf zur gleichen Pflicht!
Vergesst den Freund im Feinde nicht!
In Flammen ruft der Horizont
Nach Hause jedes Heer.
Lebt wohl, ihr Brüder! Unsre Hand,
Dass ferner Friede sei!
Nie wieder reiß das Völkerband
In rohem Krieg entzwei.
Sieg allen in der Heimatschlacht!
Dann sinken Grenzen, stürzt die Macht,
Und alle Welt ist Vaterland,
Und alle Welt ist frei!
Erich Mühsam (1878 – 1934)
Denn ich ahne, es nahen Tage
Voll großer Klage.
Komm du, komm her zu mir!
Wenn die Blätter im Herbst ersterben,
Und die Flüsse sich trüber färben,
Und sich die Wolken ineinander schieben,
Dann komm du, komm
Schütze mich.
Fass meine Hand an.
Hilf mir lieben.
10 Mai 2016 | |
[…] Eine Quote der Verliebtheit, eine Regelmäßigkeit oder einen Durchschnittswert gibt es nicht. Liebe ist nicht häufig oder selten, sie ist nicht normal und schon gar nicht kategorisierbar. Aufmunternde Sätze wie “Der oder die Richtige ist einfach noch nicht gekommen” finden ihren Ursprung nicht zwingend darin, dass es nur eine Richtige oder einen Richtigen gibt, den man nun unter mehreren Milliarden Menschen finden soll. Nein, es meint den richtigen Menschen für den richtigen Zeitpunkt – was eben auch impliziert, dass es einen richtigen Menschen zum falschen Zeitpunkt gibt (oder umgekehrt).
Es gibt Menschen, die verlieben sich schnell und oft. Und nicht selten ist die Luft genauso schnell wieder raus, wenn die Liebe unerwidert bleibt. Und ebenso gibt es Menschen, die brauchen länger, schauen länger und prüfen länger, ehe ihr Herz sanft mit dem Kopf nickt. Keine der beiden Arten zu lieben ist echter oder wahrhaftiger, als die andere. Sie sind unterschiedlich, nicht zu bewerten und geben somit auch keinen Anlass zur Sorge. Denn welche Faktoren genau in den Prozess des Verliebens hineinspielen, weiß niemand so wirklich. Es mögen die eigenen Ansprüche sein, Wünsche, Hoffnungen, Muster, Hormone, Äußerlichkeiten, emotional oder rational gesteuerte Elemente, Einflüsse von Jahreszeiten und Weltgeschehen, Gezeiten oder Sternbildern. Die Liebe ist unendlich – genau wie ihre Facetten. Aber sie ist keine Fähigkeit, die man erlernt oder nicht. Sie ist höchstens eine Triebkraft, die es zu befreien gilt.
Quelle: Die Zeit